Warum sollte ein Smartphone für eine Videoproduktion besser geeignet sein, als die seit Jahrzehnten bewährten Werkzeuge? Im ersten Teil dieses Artikels haben wir ja bereits ausführlich dargelegt, warum Smartphones eigentlich keine guten Kameras sein können. Doch tatsächlich gibt tatsächlich auch gute Gründe für den Einsatz eines Smartphones in der Videoproduktion. Und das sind (unter anderem):
Ein Smartphone ist klein, schnell und unauffällig
Je nach Projekt kann eine kleine, unauffällige Kamera für das Gelingen einer Szene sogar unabdingbar sein. Gerade in solchen Fällen schlägt die Stunde für ein Smartphone. Denn man findet gemessen an der Größe kaum eine wandlungsfähigere Kamera, die gezieltes Filmen mit vielen Extras ermöglicht. Zwar konkurrieren in diesem Einsatzgebiet eventuell noch ActionCams, jedoch sind deren technische Möglichkeiten (unter anderem durch das meist nur stark weitwinklige Filmen ohne Vorschaumöglichkeit) nicht mit einem guten Smartphone vergleichbar.

Der vielzitierte Satz: "Die beste Kamera ist die, die man dabei hat" trägt ebenfalls einen sehr wahren Kern in sich. Wenn ein Projekt eher darauf basiert, als Kameramann ständig überrascht werden zu können, ohne zu wissen, wann man was filmen wird, kann ein Smartphone als Kamera eine gute Wahl darstellen.
Und auch für Rebel-Filmer, die im öffentlichen Raum ohne Drehgenehmigung szenisch arbeiten wollen, bietet ein Smartphone einen gewissen Stealth-Schutz. Die Kamera ist in der Regel schnell einsatzbereit und wirkt für Außenstehende erst einmal unauffällig und damit unverdächtig. Was für den Dreh selber natürlich nicht automatisch gilt.
Weiters gibt es natürlich immer wieder Doku-Themen, die überhaupt nur mit einer "unverdächtigen Kamera" funktionieren können. Und nicht zuletzt kann ein Smartphone auch eine Interview-Situation entspannen, wo ein großer Kamera-Aufbau vielleicht die persönliche Atmosphäre zerstören würde.
Kurz gesagt: Vor allem im Doku-Bereich kann der Einsatz eines Smartphones durchaus relevante Vorteile mit sich bringen. Im szenischen Bereich ist ein Smartphone dagegen wohl eher Notnagel, wenn sich partout keine andere Kamera auftreiben lässt. Oder man vorsätzlich an vielen "kritischen" Orten unauffällig und schnell ohne Drehgenehmigung arbeiten will.
Automatik - Nicht nur Nachteil
Auch wenn es gelernte Kameramänner wahrscheinlich nicht gerne hören: Spezielle Produktionen können gerade von Automatiken profitieren. Smartphone an, draufhalten und gleich schnell weiter gilt nicht nur für den szenischen Rebel Filmer mit der Mordszene neben dem Eingang vom Bundestag.
Wer heute schnell produzieren will, schätzt vielleicht Quantität vor Qualität. Um zum Beispiel kurze Statement-Meinungen nach einem Großkonzert einzufangen, hat man nicht viel Zeit, um die scheidenden Konzertbesucher zu befragen, bevor sich die Menschenmasse aufgelöst hat. Um viele Menschen in kurzer Zeit "abzuklappern" muss man sich auf die Automatiken der Kamera verlassen können. Und tatsächlich finden sich in aktuellen Top-Smartphones häufig sehr potente Automatiken, die professionellen Run and Gun-Kameras kaum nachstehen oder diese sogar übertreffen.

Bildqualität und neue Ästhetik
Zumal die Bildqualität der mit den automatiken gefilmten Clips ebenfalls nicht von schlechten Eltern ist. Puristen bemängeln zwar sicherlich schnell die geringe Dynamik und die meist überschärften Kanten in den Aufnahmen eines Smartphones. Doch man darf auch nicht vernachlässigen, dass diese Eigenschaften von der jüngeren Generation oft als moderne Ästhetik wahrgenommen wird. Gerade wenn etwas so aussieht, wie mit dem neuen iPhone gefilmt, kann dies für Millennials gerade besonders authentisch sein. Und was die Alten als künstlich und digital bezeichnen, wird von jungen Menschen vielleicht gerade darum als besonders modern empfunden. Schon alleine weil es anders als das übliche wirkt.
Neue Workflows, neue Tools
Tatsächlich öffnet die Arbeit mit einem Smartphone auch komplett neue Workflows. Man stelle sich z.B.ein Youtube-Format vor, dass nach jeder Großveranstaltung die schon oben erwähnten Zuschauermeinungen beim Verlassen des Events direkt einfängt und zeitnah ins Netz stellt. Womit könnte ein One-Man-Team wohl schneller agieren und online sein? Kamera mit Laptop und UMTS-Modem oder vielleicht doch einfach ein Smartphone mit einer geeigneten App?
Tatsächlich bieten Smartphones schon ohne weitere Hardware-Investitionen sogar direkte Möglichkeiten zum Streamen. Auch das Sammeln von Material während einer Veranstaltung mit mehreren Kameramännern/frauen an einer zentralen Stelle kann über Cloud praktisch ohne Mehrkosten realisiert werden. Dazu gibt es für viele spezielle Produktions-Einsätze spezialisierte Apps, welche die Smartphone Kamera schnell zum günstigen universellen Produktionstool mutieren lassen.

So fangen etablierte Branchengrößen wie Adobe an, den Schnitt auf dem Smartphone ernst zu nehmen. Und kürzlich wurde sogar eine waschechte Compositing-App angekündigt.
Es ist gerade die fast unbeschränkte Wandlungsfähigkeit durch Apps, die das Smartphone über seinen reinen Kamera-Einsatz hinauswachsen lassen und den Workflow-Rahmen gleich mitliefern können. Eben diese Einbettung in ein flexibles Workflowsystem können klassische Kameras nicht bieten. Hier ist stattdessen oft teures Spezialzubehör notwendig.
Ausgefallenes UND dabei günstiges Zubehör
Tatsächlich scheint der professionelle Zubehör-Markt für Smartphones relativ voluminös zu sein. Anders sind die günstigen Preise für üblicherweise eher teureres Filmzubehör für Smartphones kaum zu erklären. Wer beispielsweise einen XLR-Input mit Phantomspeisung für eine semiprofessionelle Kamera sucht, zahlt gerne das dreifache eines professionellen XLR-Adapters für das iPhone. Dazu gibt es sehr innovative Lösungen meist ausschließlich für Smartphones, wie besipielsweise das drahtlose Sennheiser Memory Mic.

Anderes Beispiel: Wer mit einer professionellen Kamera filmt, hat meist ein kleines Vermögen in seinen Akku-Vorrat investiert. Die Aufnahmezeit eines Smartphones lässt sich dagegen mit einer preislich kaum zu schlagenden Powerbank extrem günstig erweitern. Und die beherrscht sogar den Hotplugging-Austausch des externen Akkus bei laufender Kamera.
Und während man bei vielen Mittelklasse Kameras oftmals einen Kopfhöreranschluss vermisst, war dieser selbstredend schon immer am Smartphone vorhanden. Allerdings hat Apple diese Selbstverständlichkeit mittlerweile auch als "alten Zopf" abgeschnitten.
Erlesene Hardware-Ausstattung
Auch nicht zu verachten ist die Ausstattung vieler Top-Smartphones. So bekommt man hier zur Videovorschau teilweise großformatige extrem farbtreue OLED-Displays mit vollem P3-Farbraum und feinster Auflösung geboten, die sogar bei direkter Sonnenbestrahlung noch ein erkennbares Vorschaubild liefern. So gute Displays werden aus Kostengründen in der Regel bei normalen Kameras erst gar nicht verbaut. Aufgrund der großen Stückzahlen und des Konkurrenzdrucks finden sie sich jedoch bei den Smartphones in fast allen Topmodellen.
Dazu scheint die Entwicklung der Sensortechnologie bei den klassischen Kameras nicht mehr in großen Schritten weiter zu gehen. Hier bekommt man als Anwender jedes Jahr in der Regel nur noch rudimentäre Verbesserungen bei einem jährlichen Modellwechsel zu gesicht.
Ganz anders wirkt dagegen der revolutionäre Entwicklungsdruck bei den Kamera-Modulen und den Signalprozessoren in Smartphones. Hier gibt es bislang immer noch jedes Jahr signifikante Verbesserungen bei den Kameramodulen in den Top-Modellen. Natürlich basieren die meisten Verbesserungen hier auf neuen, digitalen Korrekturen. Doch für den Endanwender werden die Ergebnisse subjektiv immer besser, was ja letztlich am meisten zählt.
Preis
Und das bringt uns abschließend, wie schon bei den Smartphone-Nachteilen zum Preis: Wer tatsächlich beim Filmen ein helles, farbtreues HDR-Display sucht, dazu ein drahtloses Mikro für Interviews braucht, die er gleich anschließend auf dem Smartphone schneidet und per LTE zeitnah online stellt, bekommt all diese Technik mit einem Smartphone zu einem unschlagbar günstigen Preis. Es kommt eben schlichtweg auf den Anwendungsfall an, ob eine Kamera oder das Smartphone das bessere Tool für den Job ist.
Und auch wenn es für alte Desktop-Editoren undenkbar erscheint: Die nächste Generation kommt weitgehend ohne PC gut klar und schreibt ihre Abschlussarbeiten auf dem Tablet. Vielleicht ist ein mobiles Gadget tatsächlich in zehn Jahren der zentrale Produktionshub und die Workstation im Büro wird nur noch als Dinosaurier belächelt.
