Das Filmen mit dem Smartphone unterscheidet sich wesentlich vom Filmen mit anderen Bewegtbildlösungen. Tatsächlich ergeben sich bei mobilen Android / iOS Geräten teils völlig andere Prioritäten bei den zentralen (Video)funktionen. Hier unser Ratgeber worauf bei der Wahl eines Handys für´s Filmen zu achten wäre ...

Nachdem wir uns hier mit den Vorteilen - und hier mit den Nachteilen beim Filmen mit dem Smartphone auseinandergesetzt haben - hier jetzt unser Ratgeber worauf wir bei der Wahl eines Smartphones für den Videobetrieb achten würden.
Stabilisierung
Smartphones sind in noch viel stärkerem Maße „Handheld Devices“ als dedizierte Videokameras, (die nicht ohne Grund Gewinde für die Stativmontage im Gehäuse integriert haben.) Entsprechend kommt der Stabilisierungsleistung von Smartphones beim Videobetrieb eine viel stärkere Bedeutung zu.
Die Videoqualität eines Smartphones kann in Sachen Auflösung, Farbtiefe, LOG-Fähigkeit etc. noch so gut sein – verwackelte Smartphone-Aufnahmen aus der Hand ruinieren jede mobile „High-End Videofootage“ binnen Sekunden. Eine gute Stabilisierung kann daher durchaus wichtiger sein, als eine lange Liste an (auf den ersten Blick) beeindruckenden Video-Specs.
Verschärfend kommt hier noch hinzu: Viele Smartphones bieten mittlerweile 4K-Videoauflösungen an. Doch häufig beschränkt sich die Stabilisierungsleistung auf niedrigere Auflösungen (auch höhere Frameraten wie bsp. 50 oder 60p können zur Deaktivierung der Videostabilisierung führen) . Hier gilt es genau hinzuschauen, ob auch das jeweilig gewünschte „maximale Videoformat“ von der internen Stabilisierung unterstützt wird.
Wenn nicht, steht der Kauf eines Smartphone-Gimbals an – was durchaus eine sinnvolle Anschaffung für ambitionierte Smartphone Filmer sein kann – nur sollte dies dann eine informierte Entscheidung sein (und nicht eine Notlösung für nicht (mehr) vorhandene Stabilisierungsfunkionen).
Videoapps und Funktionen
Von Hause aus werden fast alle Smartphones mit eher eingeschränkten manuellen Videofunktionen ausgestattet. Die Möglichkeit höhere Bitraten, LOG-Funktionen, manuelle Audiopegel uvm. Zu aktivieren bieten in der Regel erst entsprechende Video-Apps. Aber auch hier heisst es aufpassen!

Zunächst einmal sind nicht alle Videoapps für beide großen Smartphone-Platformen verfügbar. Mavis ist beispielsweise nur für iOS verfügbar, Filmic Pro hingegen sowohl für iOS als auch für Android. Aber es wird noch komplizierter:
Nicht jedes Handy unterstützt automatisch alle möglichen Funktionen einer Videoapp. Teilweise unterscheiden sich bei einer Handyversion sogar je nach Land die verbauten CPUs was sich wiederum auf die in einer App unterstützten Videofunktionen auswirkt. Beispiel gefällig?

Das aktuelle High-End Smartphone Samsung S9+ wird in Europa mit dem hauseigenen Samsung EXYNOS Prozessor ausgeliefert - in den USA und China aber mit einer Snapdragon CPU. Die Snapdragon CPU unterstützt jedoch deutlich weniger Videofunktionen in Filmic Pro als der Samsung Prozessor.
Hier gilt es also auch noch das Land in dem das Handy gekauft wurde zu beachten. Gleiches gilt für das aktuelle Betriebssystem. Unterschiedliche Betriebssystem-Versionen können unterschiedliche Videofunktionen bedeuten.

Smartphone-Funktionen wechseln enorm schnell – wer hier nicht aktuelle Informationen zu Rate zieht, erhält schnell veraltete oder falsche Entscheidungsgrundlagen.
Videocodecs & Postproduktion
Auch beim Smartphone halten neue Kompressionsformate wie H.265 (HEVC) verstärkt Einzug - vor allem, um 4K Auflösungen bei höheren Frameraten zu ermöglichen. So unterstützt bsp. Apple H.265 seit iOS 11 und auch unter FCPX 10.4 ist die Verarbeitung von H.265 (und VFR) möglich. Aktuelle Smartphones wie das iPhone X, das Samsung S9, S9+, u.a. bieten zur etablierten H.264 Aufnahme auch optional H.265 Recording an.

Hierbei gilt es jedoch aufzupassen. Wie bei H.264 stehen auch auch für HEVC-Formate diverse Profile zur Verfügung und nicht jedes Schnittprogramm kann mit allen H.265 Smartphone-Formaten umgehen. Am besten also vor dem Kauf informieren, ob die zu nutzende Schnittsoftware auch den spezifischen HEVC-Flavor des gewünschten Smartphones verarbeiten kann.
Gleiches gilt für das Thema HFR (High Framerate Recording). Viele Smartphones nutzen HFR bei der Videoaufnahme - vor allem bei den On-Board-Video-Apps - aber nicht jede Schnittsoftware weiss mit VFR von diversen Smartphones umzugehen. Wir haben uns hier bereits grundsätzlich mit dem Thema Variable Frameraten beim Smartphone-Filmen auseinandergesetzt.
Aufnahmezeiten
Wer mit den derzeitigen Maximalauflösungen mit seinem Smartphone aufzeichnen möchte, sollte sich vorab informieren, wo die max. Aufnahmezeiten für welche Videoauflösung und FPS liegen. Nicht alle aber viele Smartphones begrenzen bsp. die max. Aufzeichnungszeit von 4K Video.
Max 5 Minuten Aufnahmezeit in 4K sind auch bei Top Smartphones durchaus vorzufinden.
Wer am Stück länger in höheren Auflösungen und/oder Frameraten aufzeichnen muss, erspart sich unangenehme Überraschungen durch eine entsprechende Recherche vor dem Kauf.
Akkulaufzeit und Anschlüsse
Einen eher hohen Stellenwert messen wir den Themen Akkulaufzeit und Anschlüssen bei der Videoproduktion mit dem Smartphone bei. Viele High-End Smartphones kommen mit großen Dispays mit hohen Auflösungen daher, deren Betrieb viel Energie benötigt.
Kommen dann noch 4K Videoaufnahmen hinzu, können sich Betriebszeiten schnell minimieren. Auch hier gilt es vorbereitet zu sein - z.B. mit extra Akku-Blöcken, an denen in Drehpausen das Smartphone geladen werden kann.
Auch das Thema Anschlüsse bietet ein weites Feld für Diskussionen. Derzeit befindet sich der Smartphone Markt im Umbruch. Einige Hersteller setzen verstärkt auf drahtlose Lösungen für Peripheriegeräte wie Kopfhörer und auf neue Wege beim externen Audiorecording. Andere Hersteller behalten drahtgebundene Anschlüsse für Kopfhörer und Mikrophone weiter im Programm. Welche Lösung die effektivste für die eigene Smartphone Videoproduktion darstellt, hängt vom persönlichen Workflow und der jeweiligen Drehsituation / dem Motiv vor Ort ab.

Wer bsp. drahtgebundene Kopfhörer für möglichst minimale Latenzen beim Audio-Monitoring benötigt, muss sich unter Umständen überlegen, über was für ein Mikrofon das Audio aufgenommen werden soll und vor allem wie das Audio mit dem Video gesynct wird, wenn die Miniklinken-Buchse für den Mikro-Eingang bereits mit dem Kopfhörer belegt ist. Audiohersteller bieten auch hierfür Lösungen an.
Letztlich gilt es ein Gesamtsystem zusammenzustellen, dessen einzelne Komponenten auch tatsächlich miteinander funktionieren. Hier ist viel Recherche oder auch Testen vorab gefragt.
Videoauflösung und -qualität
Die Pixelphysik können auch Smartphone Foto-Sensoren nicht außer Kraft setzen. Immer höhere Pixeldichten sind nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit realistischem Auflösungs- oder Qualitätsgewinn. Bei der Kaufentscheidung raten wir, sich nicht von immer höheren Pixelzahlen blenden zu lassen. Weniger Pixel können auch hier mehr Videoqualität bedeuten. Allerdings greifen Smartphones in höherem Maße auf Postprocessing-Tricks zurück um die Mankos ihrer winzigen Sensoren und Optiken zu kompensieren.

Der Anspruch an die Videoqualität mag sich hierdurch auch für manche User verändern. Heftige digitale Eingriffe werden hier häufiger als weniger gravierend empfunden als bei dedizierten Videokameras. Letztlich ist dies eine Frage des persönlichen Geschmacks und der jeweiligen Anforderung. Auch hier gilt es eine bewußte Entscheidung zu treffen und sich nicht vom Pixelmarketing blenden zu lassen.
Reale Vorteile sehen wir bei der Konstruktion von Mehr-Linsen-Kamera-Systemen mit unterschiedlichen, realen optischen Brennweiten. Was bei Smartphone-Kameras mit einer Linse über digitales Scaling stets zu einer Verschlechterung der Bildqualität führt wird bei Mehr-Linsen Systemen optisch in der Regel qualitativ hochwertiger gelöst.
Allerdings sollte man sich vorher überlegen, ob man tatsächlich auch Telebrennweiten am Smartphone benötigt, da Mehr-Linsen-Systeme häufig teurer sind.
Lowlightfähigkeit
Lowlightfähigkeit und Rauschverhalten bei schwachem Umgebungslicht stellen derzeit noch eines der ausgeprägtesten Unterscheidungsmerkmale aktueller Smartphones dar. Von ausgeprägtem Rauschen bis hin zu glattbügelndem Denoising finden sich nahezu alle Spielvarianten.

Als einen ersten Indikator für die jeweilige Lowlightqualität würden wir zumeist die maximale Blendenöffnung heranziehen. Je größer die Anfangsblende desto mehr Licht erhält der Sensor.
Doch insgesamt sind Smartphones zumeist keine Lowlight-Monster. Wer unter schwierigen Lichtbedingungen Bewegtbilder aufnehmen muss, sollte an extra Licht denken.
Log-Formate
Logformate auf den Smartphones beginnen soeben erst von spezialisierten Video Apps hin zu den Onboard Videofunktionen zu wandern. Auch stehen erste Smartphone mit 10 Bit Videoaufnahme in den Startlöchern. Siehe hierzu auch unsere slashCAM News zum Sony Xperia XZ2 und XZ2 Compact.
Allerdings stecken Log-Formate auf dem Smartphone tatsächlich noch in den Kinderschuhen. Erste Praxistests sehen recht vielversprechend aus. Inwieweit bearbeitungsintensivere Formate auf dem Smartphone tatsächlich gut aufgehoben sind, wird die Zukunft zeigen - wir sind auf jeden Fall recht gespannt auf erste Tests und Videosamples. Zum derzeitigen Zeitpunkt auf jeden Fall eher etwas für „Early Adopters“.
Spezial: Zeitlupen, IP-Zertifizierung …
Viele Smartphones bieten mittlerweile Zeitlupen und auch Super-Zeitlupenfunktionen mit max. ca. 1000 fps an. Hierbei sollte man im Hinterkopf behalten, dass die maximalen Auflösungen für die Slowmotions um die 200 fps meist bei 1080p liegen und für Super-Zeitlupenfunktionen bei 720p.
Videofunktionen wie AF aber auch Videostabilisierungen werden bei höheren Auflösungen im Zeitlupen-Modus häufig nicht mehr unterstützt. Die genauen Grenzen wann welche Funktion bei der Aufnahme von Zeitlupen nicht mehr funktioniert unterscheiden sich bei den jeweiligen Smartphones teils deutlich.

Wer also die Zeitlupenfunktion häufig nutzen will, tut gut daran, sich vorab zu informieren, mit welchen Einschränkungen hierbei zu rechnen ist.
Zu den Spezialanwendungen gehören auch die diversen IP-Zertifizierungen von Smartphones gegen das Eindringen von Wasser und Staub. Die erste Kennziffer des IP Codes gibt den Schutz gegen Staub an, wobei 6 = staubdicht bedeutet. Die zweite Kennziffer gibt den Schutz gegen Wasser an , wobei eine maximale 8 hierbei „Schutz gegen dauerndes Untertauchen“ bedeutet.
Wer mit seinem Smartphone auch in Wassernähe Videos aufnehmen möchte, sollte also auf eine entsprechend hohe IP-Zertifizierung achten.
Mikrofone und Audio Monitoring
Wer mit seinem Smartphone höherwertigere Videos erstellen will, sollte das Thema Audio mindestens genauso ernst nehmen wie die Videoqualität. Die eingebauten Smartphone-Mikrofone nehmen meist eher eine bescheidene Tonqualität bei der Videoaufnahme auf. Hierfür sind die verbauten Mikrofone häufig auch nicht ausgelegt.

Für externe Mikrofonierungen bieten sich ganz unterschiedliche Lösungen an: Es finden sich klassisch drahtgebundene Mikrofone, die sich via Miniklinken-Buchse anschließen lassen, Bluetooth Mikrofonierungen sind ebenfalls möglich sowie die externe Audioaufzeichnung mit anschließendem automatischen Syncen per App.
Welche Audio-Lösung die beste ist hängt vom jeweiligen Anwendungsszenario und von der gewünschten Audioqualität ab. Bei alle dem sollte man jedoch auch eine Monitoring-Lösung für das Audiosignal mitdenken. Einige Mikrofonhersteller haben hier bereits mitgedacht und bieten entsprechende Extra-Anschlüsse an.