Mit dem Flowtech75 verspricht Sachtler nicht weniger als eine Revolution im Stativbau sowie das derzeit „schnellste“ Stativ. Wir haben uns den Sachtler Neuzugang in der 75mm-Stativ-Klasse in der Praxis näher angeschaut und berichten hier über unsere Erfahrungen in Sachen Handling, Arbeitshöhe(n), Gewicht und Transport - auch im Vergleich zum Speedlock 75 CF u.v.m.

Vorab unser kurzer Testclip mit dem Sachtler Flowtech75, bei dem wir die Canon EOS C200 mit dem Sigma Art 18-35 f1.8 sowie dem Canon 24-105 f4 mit einem Sachtler FSB8 Fluidkopf auf dem Flowtech75 kombiniert haben:
Zusätzlich haben wir die Canon C200 auch auf das Speedlock 75 CF aus gleichem Hause montiert, um einen Bildeindruck von den minimalen Auszugshöhen im Vergleich zu erhalten. Schließlich wurde mit dem FSB8 und dem Flowtech75 ein ca. 180° Schwenk gefahren.
Die technischen Fakten
Das Sachtler Flowtech75 zählt zu den „CF“ Stativen bei Sachtler. Die Schenkel bestehen entsprechend aus Kohlefaser. Auf den ersten Blick wird bereits klar, dass es sich hierbei allerdings nicht um den gewohnten Doppelrohr-Kohlefaser-Aufbau inkl. äußerer Klemmung handelt, sondern um eine komplette Neukonstruktion.

Die Klemmung wurde beim Flowtech75 neu konzipiert und nach Innen verlegt (mehr hierzu im folgenden Kapitel). Dadurch wurden deutlich größere Hohlräume bei den Stativschenkeln notwendig. Beim ersten in die Hand nehmen, klingen diese dann auch erstmal etwas hohl. Dass das Flowtech75 damit mind. genauso stabil steht, wie seine Doppelrohr-Pendants war für uns erstmal ein Lernprozess.
Das Sachtler Flowtech75 ist, wie der Name bereits sagt, als 75mm Halbschalenaufnahme ausgelegt. Die max. Traglast spezifiziert Sachtler wie bei seinen meisten 75mm Stativen mit 20 kg. Bemerkenswert bei den techn. Fakten sind vor allem die Max-und Minimalhöhen und hier insbesondere die Minimalhöhe von 26 cm - einzig das SOOM TriSpread schafft es noch etwas tiefer bei den 75mm Stativen.
Das Flowtech75 ist als sog. „2-Stage“ Stativ konzipiert. Es besitzt also pro Schenkel 3 Segmente, die auf 2 Ebenen arretiert werden. Verantwortlich für die Arretierung sind die völlig neu konzipierten Quick Release Brakes, die wir im nächsten Kapitel ausführlicher beleuchten. Die minimale Transportlänge liegt bei 68 cm. Das Gewicht gibt Sachtler mit 3,5 kg an.

Was uns gut gefallen hat, sind die zum Teil vom User selbst ausführbaren Justage und Service-Arbeiten am Flowtech. So lässt sich die Bremskraft der Schenkelarretierung nachstellen, das Hinge Lock ausbauen und säubern und auch wenn Schmutz in die Hohräume der Stativschenkel geraten ist, lässt sich dieser mit Wasser wieder ausspülen. Wie gut das Flowtech Umweltbelastungen trotzt, dürften längere Praxistests zeigen, auf die wir auch schon ziemlich neugierig sind.
Hier nun das Handling und die einzelnen Neuerungen des Sachtler Flowtech75 im Detail:
Neue Quick Release Brakes
Intelligente Verschlusssystem für die Arretierung von 2-Stage Stativsystemen wie das Sachtler Speedlock oder das Cartoni Smart Stop System erfreuen sich seit geraumer Zeit großer Beliebtheit und dies unserer Meinung nach zurecht: Wer einmal damit gearbeitet hat, wird kaum noch zu konventionellen Stativsystemen mit 2 Arretierungshebeln pro Schenkelseite zurückkehren wollen. Die Geschwindigkeits- und Handlingvorteile beim Stativaufbau und bei der Justage sind bei Speedlock und Co. beachtlich.

Mit den von Sachtler „Quick Release Brake“ genannten Arretierungshebeln beim neuen Flowtech75 Stativ geht Sachtler jetzt noch einen Schritt weiter in Sachen Geschwindigkeit und Komfort (zwar auf Kosten von etwas höherem Gewicht - doch dazu später mehr):
Die neuen Quick Release Brakes sitzen kurz unterhalb der Halbschale und bleiben dort auch - im Vergleich zum Speed Lock System - beim Auszug des Stativs. Damit muss sich der Operator nicht mehr für das Schließen der Schenkel nach unten beugen. Das einfachere Handling ist bereits beim Erst-Auszug des Stativs zu spüren. Während bei unserem Speedlock System (Sachtler Speedlock 75 CF) mittlerweile gerne mal beim Auszug etwas hakelt (ein Stativ-Bein nicht voll ausfährt oder beim Auszug an einem anderen hängen bleibt) fahren die Stativschenkel des Flowtech75 butterweich und ohne Hindernisse aus. Nicht das wir uns falsch verstehen: Unser Speedlock-System funktioniert im Großen und Ganzen seit Jahren einwandfrei und hat sich entsprechend bewährt - aber das Flowtech75 fährt konstruktionsbedingt spürbar weicher in die Höhe - „flow“ also im wahrsten Sinne der Wortes.
Zusammen mit dem unkomplizierten Auszug beschleunigt die obere Platzierung der Quick Release Brakes den Aufbau des Stativs deutlich. Wir waren mit dem Sachtler flowtech75 mit unterschiedlichen Kameras bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mit Handschuhen unterwegs und sowohl die Form als auch die Mechanik der angenehm groß dimensionierten Quick Release Brakes vereinfachen die Bedienung.

Auch wenn das Stativ mit der Kamera bereits montiert ist und die Gesamt-Höhe oder ein Stativschenkel nochmal schnell nachjustiert werden soll, spielen die neuen Quick Release Brakes ihre Vorteile aus: Die Höhennivellierung bei montierter Kamera geht deutlich einfacher und schneller von Statten - vor allem die Akrobatik zum entfernteren Stativschenkel bei gleichzeitig gestützter Kamera für eine Justage zu gelangen, fällt hier komplett weg. Dies ist vor allem bei schwereren Kamera-Setups sowie für Solo-Operator ohne Assistenz von Bedeutung.
Konstruktiv unterscheiden sich die Quick Release Brakes des Flowtech 75 vom Speedlock-System in mehreren Punkten: Zunächst einmal verläuft die Kraftübertragung auf die unteren Bremsen beim Flowtech75 System intern im Stativbein während beim Speedlock System die Übertragung aussen stattfindet. Auch die Art der Übertragung unterscheidet sich. Wenn wir es richtig verstanden haben, laufen beim Flowtech75 intern Kabel von den oberen Klemmhebeln zur unteren Bremse – beim Speedlock-System sind es bekanntlich aussenliegende Stäbe. Pro Flowtech75 liesse sich nun argumentieren, dass die Klemmung - da innenliegend - besser vor Witterungseinflüssen geschützt ist (bei unseren Sachtler Speedlock 75 CF ist 1 äussere Metal-Hülse der Klemmung korrodiert). Pro Speedlock System liesse sich hingegen argumentieren, dass hier die Mechanik einfacher zu warten und im Servicefall auszutauschen ist.
Interessant in diesem Zusammenhang: Die Bremskraft der Flowtech75 Quick Release Brakes lässt sich - wie bereits erwähnt - vom User selbst mit einem Inbusschlüssel im Bedarfsfall nachjustieren. Sachtler/Vinten verlangen von den QuickRelease Brakes eine Haltekraft zwischen 20-30kg (bei 20 kg spezifizierter max. Traglast). Beim Vergleich in der Redaktion hatten die Bremsen des neuen Flowtech75 deutlich höhere Haltekraft als unser altgedientes Speedlock 75 CF (hier dürfte demnächst ein Austausch der Klemmung anstehen).
Spannend bei den unterschiedlichen Bremssystemen wird vor allem die Langzeit-Erfahrung sein. Sollten die neuen Quick Release Brakes genauso lange und so zuverlässig arbeiten wie die Speedlocks hat Sachtler hier alles richtig gemacht. Dafür ist es allerdings noch etwas zu früh.
Arbeitshöhe, Hinge Lock und Mittelspinne
Die Arbeitshöhe des Sachtler Flowtech75 reicht von 26 – 153cm. Damit bietet das Flowtech75 im aktuellen 75mm Sachtler-Line-Up unter den Dreibeinstativen sowohl die niedrigste als auch die höchste Arbeitshöhe. Bemerkenswert ist hierbei vor allem die niedrige Arbeitshöhe von 26 cm. Diese wird durch das Abnehmen der Mittelspinne in Kombination mit dem Hinge-Lock Mechanismus erreicht.

Hinge Lock steht für „Scharnierschloss“ und bedeutet nichts anderes, als dass die Stativbeine (auch ohne Mittelspinne) definierte Rasterstufen (3 Stück) bei der Spreizung nach außen haben. Entsprechende Mechanismen sind von Fotostativen bekannt. Sachtler hat diese Rasterung optional gestaltet. Wir empfehlen bei deaktivierter Rasterung immer mit Mittelspinne zu arbeiten.

Spannend finden wir beim Flowtech allerdings vor allem den Betrieb des Flowtech75 ohne Mittelspinne, weil es dann noch einmal schneller auf- und abgebaut werden kann und vor allem für den schnellen Wechsel der Arbeitshöhen optimal vorbereitet ist.

Bei der seitlichen Torsionssteifigkeit ist uns mit und ohne Mittelspinne kein Unterschied aufgefallen. Die Mittelspinne dient vor allem der Kontrolle der Spreizung der Beine bei deaktiviertem Hinge Lock und in diesem Zusammenhang dann der Gesamtstabilität des Stativsystems. Wer besonders schmal sein Stativ aufstellen muss, der sollte mit Mittelspinne arbeiten, weil die erste Rasterung des Hinge Locks die Stativbeine weiter nach außen stellt als der minimale Mittelspinnenauszug.

Die Mittelspinne des Flowtech75 ist deutlich einfacher zu lösen und zu montieren - wer die extra Stabilität benötigt, kann diese innerhalb von Sekunden montieren (und auch wieder abnehmen) – ähnlich wie bei den federgelagerten Verschlüsse beim 100mm Speedlock CF. Die montierte Mittelspinne macht - neben der schlanken Aufstellung - vor allem für schwerere Kamerasetups Sinn.

Im Vergleich zur Mittelspinne des Speedlock 75CF besitzt die Mittelspinne beim Flowtech in links/rechts Richtung etwas mehr Spiel. Eine beeinträchtigte Stabilität haben wir hierdurch (zumindest bislang) nicht feststellen können.
Neue Stativfüße
Mit dem Flowtech75 hat Sachtler auch der Aufhängung der Stativfüße ein Update spendiert. Zu den Gummischlaufen ist nun ein Hebel hinzugekommen, der am Stativ eine entsprechende Aufnahme besitzt. Mit Hilfe des Hebels lassen sich die Füße nun völlig mühelos zwischen den Dornen befestigen. Das zuvorige „Rumgezerre“ an den Fußgummis entfällt.

Dies dürfte für die meisten Sachtler User eine recht willkommene Neuerung sein. Wenn wir auf unsere persönliche Erfahrung hier zurückblicken, tauchen ein Paar gerissene Fuß-Gummis zu den denkbar schlechtesten Gelegenheiten in unserer Erinnerung auf. Zwar hat Sachtler diese problemlos ausgetauscht aber wenn man Mitten in einem Shoot ist, kann das recht nervenaufreibend werden. (Wie sich später herausstellte Materialfehler wegen einer fehlerhaften Gummimischung).

Vor allem diejenigen, die häufig zwischen Spikes und Füssen wechseln, haben hier eine echte Arbeitserleichterung. Hinzu kommt, dass die neue Füsse eine deutlich größere Standfläche bieten. Damit steht das Flowtech75 auch im eingeklappten Zustand merklich stabiler.
Genauso einfach wie sich die neuen Fußverschlüsse schließen, lassen sie sich allerdings auch öffnen. Wir hatten bei unseren Tests keine Probleme mit sich öffnenden Fuß-Verschlüssen – aber bei ruppigeren Transporten würden wir - zumindest bis mehr Erfahrungswerte vorliegen - die Klappbügel der Fussverschlüssen immer wieder mal bei Entnahme des Stativs bsp. aus dem Kofferraum etc. mal kurz checken.
3/8 Zoll Gewinde für Zubehör
Ein echtes Novum für Sachtler ist (endlich) die Integration von 3/8“ Gewinden für Zubehör wie Magic Arms, Monitore etc. am Stativ. Wir haben sowohl unseren altgedienten ULCS Magic Arm als auch den 244 Micro von Manfrotto inkl. Verdrehschutz am Flowtech problemlos befestigen können.

Gut gefallen hat uns hierbei, dass Sachtler den Manfrotto Verdrehschutz beim Gewinde mitgedacht zu haben scheint: Allerdings für unseren Geschmack mit etwas zu viel Spiel. Der Verdrehschutz funktioniert zwar bei unserem Manfrotto 244 Micro, hat jedoch in beide Drehrichtungen etwas Spiel, bevor er anschlägt. Das lässt sich noch etwas besser lösen.

Doch das ist bereits Jammern auf hohem Niveau. Schön zu sehen, dass Sachtler überhaupt ein entsprechendes 3/8“ Gewinde anbietet.
Gewicht und Transport
Mit (von uns gewogenen) 3549 g inkl. Mittelspinne stellt das Flowtech75 mit das schwerste Stativ im 75mm Line-Up von Sachtler dar. Das Speedlock 75 CF wiegt inkl. Mittelspinne (von uns gewogen) nur 2550 g. Damit ist Flowtech75 rund 1 kg schwerer. Für wen also minimales Gewicht eine höhere Priorität hat als schnellere Auf- und Abbaugeschwindigkeiten, Min- und Maxauszüge sowie das Gesamthandling, dürfte bei anderen 75mm Setups besser aufgehoben sein.
Für eine Entscheidung zwischen Gewicht versus Handling würden wir folgende Gleichung hinzuziehen: Je deutlicher das Pendel im alltäglichen Betrieb zwischen einerseits Transport (auf der Schulter) und andererseits häufigem Auf- und Abbau sich Richtung Auf/Abbau verschiebt, desto wichtiger wird das komfortable Handling und desto unwichtiger wird das Mehrgewicht - und umgekehrt. Voraussetzung bei all dem bleibt eine vergleichbare Solidität auch im Langzeitbetrieb.

Die Transportlänge des Flowtech75 liegt (ohne Kopf) bei angenehmen 68cm - nur 3 cm mehr als beim Speedlock CF.
Auch in Sachen Transport-Funktionen hat Sachtler beim Flowtech75 kleine aber feine Details verändert. So entfällt beim Flowtech75 das Zusammenbinden der Stativschenkel mit einer Schnur oder einem Klettband (bei den grösseren Sachtler Stativen gibt es eine selbstaufrollende, integrierte Transportsicherung). An Stelle von dessen hat Sachtler Magnete im unteren Teil des Flowtech75 verbaut, die für eine ausreichend hohe Haltekraft beim Transport sorgen. Damit wurde der Auf- und Abbau des Flowtech75 nochmals um einen Tick beschleunigt.
Darüber hinaus lässt sich das Flowtech in mehr Positionen angenehmer auf der Schulter auf Grund der breiteren Stativschenkel tragen. Zwar finden wir mit etwas Drehung auch recht angenehme Transportpositionen mit dem Speedlock75 CF aber das Flowtech passt unkomplizierter auf die Schulter und lässt sich zudem mit der stabilisierenden Hand besser fassen. Da jede Schulter anders geformt ist – ein eher subjektiver Wert – wir empfehlen es selbst auszuprobieren.
Fazit
Wer hätte gedacht, wieviel Innovationspotential noch im gemeinen Videostativ steckt? Sachtler stellt mit dem Flowtech75 eindrucksvoll unter Beweis, was sich an einem Videostativ noch alles optimieren lässt. Die Stärken des Flowtech75 liegen hierbei beim Min- und Maximal-Auszug, bei der Auf- und Abbaugeschwindigkeit sowie beim deutlich komfortableren Gesamt-Handling.
Wir sind vom Flowtech75 ziemlich angetan. Einziger Kritikpunkt ist ein im Vergleich zu anderen 75mm Stativen aus gleichem Hause spürbar höheres Gesamtgewicht - zudem muss sich das Flowtech75 konstruktiv als „Newcomer“ erst noch in Langzeittests beweisen.
Wenn sich Sachtlers bisherige Konstruktionsqualität auch beim Flowtech75 wiederfindet, sehen wir allerdings wenig Grund zur Sorge. Preislich bewegt es sich mit einer UVP von 960,00,- Euro in etwa auf gleicher Höhe wie das Speedlock 75 CF (894,-).
Mit dem Flowtech75 setzt Sachtler die Meßlatte für den modernen Stativbau auf ein neues Niveau. Klare Empfehlung von unserer Seite.