Statt eines ausgewachsenen Sommerlochs wollen wir euch zum Ferienanfang noch ein kleines Test-Schmankerl bieten. So haben wir in einem sehr engen Zeitfenster noch schnell eine lang ersehnte ARRI ALEXA 35 unterbringen und testen können. Mit beachtlichen Ergebnissen...
Ein bisschen Geschichte(n)
Die Erwartungen an die neue ARRI ALEXA 35 könnten kaum größer sein. Der Vorgänger - die ALEXA - definierte für mindestens ein Jahrzehnt lang den Stand der Kameratechnik für Hollywood-Produktionen. Vor allem deren Dynamik galt jahrelang als unerreicht. Und auch wenn andere Hersteller auf dem Papier von 16 und mehr Blendenstufen sprachen, blieb ARRI immer bei seinen ursprünglichen 14 - was im Laufe der Zeit als Understatement gesehen wurde.
Doch nachdem sich in den letzten Jahren einige Hersteller mit kleinen Blendenstufen-Schritten immer näher an die ALEXA herangearbeitet hatten, kam ARRI mit dem nächsten Knaller: Die nach ungewöhnlich langer Entwicklungszeit präsentierte ALEXA 35 soll gleich 2,5 Blendenstufen mehr bieten als die klassische ALEXA. Was die aktuelle Konkurrenz ein weiteres mal deklassieren könnte - zumindest wenn ARRI auch weiterhin nicht zur Übertreibung in seinen technischen Angaben neigt.
Der komplett neu entwickelte ALEV 4 CMOS-Sensor bringt (für ARRI erstmals) echte 4K-Auflösung auf einer S35-Sensorfläche unter. Trotz der deutlich höheren Dynamik sind die neuen Photodioden gegenüber dem ALEV 3 Sensor nur noch ungefähr halb so groß und besitzen eine Kantenlänge von 6.075µm. Dies bedeutet bei einer 28mm breiten, nutzbaren Sensorfläche eine Gesamtauflösung von 4.608 x 3.164 Senseln.
Aufgezeichnet wird wahlweise unkomprimiert in ARRIRAW oder komprimiert in Apple ProRes 4444 (XQ) und 422 HQ auf einem SSD Wechselmagazin (Codex Compact Drive), das aktuell mit 1TB oder 2TB verfügbar ist. Nur mit dem 2TB Drive können momentan die maximalen ARRIRAW Datenraten der ALEX35 aufgezeichnet werden.
In einem 1:1 Sensorcrop mit 4.096 Horizontal-Senseln kann der neue Sensor mit max 120 fps ausgelesen werden, bei voller Sensorbreite (4.608 Pixel) sind aktuell maximal 75 fps (in ARRIRAW) bzw. 60 fps (in ProRes) möglich.
Rolling Shutter ARRI ALEXA 35
Im neuen Open Gate Format (4608 x 3164 Sensel) wird die gesamte aktive Sensorfläche in ca. 7,9 Millisekunden ausgelesen. Will man die volle 4,6K Sensorbreite in 16:9 nutzen (4608 x 2592), so fällt die Auslesezeit durch die reduzierten Zeilen auf 6,5 Millisekunden. Das ist zwar ein sehr guter Wert, jedoch führt hier weiterhin die Sony VENICE 2, die mit Auslesezeiten zwischen 2,1 und 3,9 Millisekunden aufwarten kann. Bei rasanten Actionszenen können solche Unterschiede im Ausleseverhalten als durchaus relevant eingestuft werden.
Filmt man im 4K Crop mit 4096 x 2304 Senseln, so maßen wir hier eine Auslesezeit für dieses Fenster um die 7,7 Millisekunden, also mehr als eigentlich in Analogie zum, 4,6K Modus zu erwarten wäre. Wahrscheinlich ist hier der Signalweg grundsätzlich geändert, um die 120 fps in diesem Modus zu ermöglichen.
Debayering 4K ARRI ALEXA 35
Das Debayering der ARRI ALEXA 35 fällt sehr nach unserem Geschmack aus. Im 4,6K Open Gate Modus sorgt ein geringes Downsampling nach 4K UHD für eine Unterdrückung der allerfeinsten 4K-Details - jedoch ohne sichtbare Artefakte zu erzeugen:
Um mit bis zu 120 fps aufzuzeichnen, bietet die ALEXA 35 auch noch einen Readout mit 4096 Horizontal-Senseln an, dessen Debayering ebenfalls noch erstaunlich gut aussieht:
Trotz eines (nahezu) 1:1 Readouts gibt es auch hier erstaunlich wenig Artefakte zu entdecken.
Dynamik ARRI ALEXA 35
Um einen vergleichbaren Eindruck von der Dynamik zu bekommen, haben wir auch mit der ARRI ALEXA 35 unseren "Augen-Test" gemacht. Hierfür richten wir unsere Testkasten-Szene mit festem Weißabgleich auf 3200K ein. Dann tasten wir uns mit Blende und Belichtungszeit an eine Einstellung heran, in der die Haut unseres Puppenkopfes nicht mehr clippt und definieren diese Einstellung als ETTR-0. Von dieser Einstellung aus blenden wir sukzessive in Schritten von ganzen Blendenstufen ab (primär über die Belichtungszeit und dann - falls anschließend noch weiter notwendig - über ND-Filter oder Blendenring.)
Die hierbei entstehenden Aufnahmen bilden eine Blendenreihe mit jeweils einer zusätzlichen Blendenstufe "Unterbelichtung". Diese Aufnahmen korrigieren wir in Blackmagic DaVinci Resolve wieder zurück auf die Helligkeitsverteilung der ETTR-0 Referenz und vergleichen diese Aufnahmen mit anderen Kameras.
So hatten wir es aus Gründen der Vergleichbarkeit zumindest immer gemacht, doch die ARRI ALEXA 35 hat schlichtweg unseren Messaufbau überfordert: Trotz offener Blende und 1/25 Belichtungszeit schafften wir es nicht die Kamera bei unserem Testmotiv in die Überbelichtung zu treiben. Deswegen konnten wir den ETTR-0 Startpunkt auch nur bestmöglich mit den Scopes schätzen. Diese konservative Schätzung könnte der Alexa sogar im schlechtesten Fall noch einen "Start-Nachteil" von bis zu einer halben Blendenstufe auf den Weg gegeben haben - jedoch konnten wir aus Zeitmangel unseren Test nicht kurzfristig erweitern.
Doch selbst vor diesem suboptimalen Hintergrund fielen die Ergebnisse der ARRI ALEXA 35 beeindruckend aus. Im folgenden Clip sieht man die ALEXA 35 im Vergleich mit den bisher besten Dynamik-Kandidaten aus unseren vergangenen Tests (ARRI ALEXA LF, Canon EOS C70 sowie Nikon Z8 mit Tico RAW):
Um den Abstand noch deutlicher zu zu machen, haben wir ein zweites Video erstellt, in dem wir die ALEXA 35 mit zwei Blendenstufen "später starten" lassen:
Hier kann man besonders eindrücklich sehen, wie die ALEXA 35 alle übrigen Kameras bei der Dynamik-Aufzeichnung deklassiert. Selbst wenn man den anderen Kameras zwei Blendenstufen Vorsprung gewährt, ist die ALEXA 35 noch mindestens "auf Augenhöhe" mit dem übrigen Testfeld. Die neue ARRI ist in diesem Test somit mindestens zwei Blendenstufen besser als alle anderen bisher von uns getesteten Kameras. Das ist schon ein sehr bemerkenswertes Ergebnis, welches ARRIs technische Vorherrschaft im professionellen Filmbereich sichtbar untermauert.
Fazit
Schön, dass ARRI weiterhin den Marketing-Ball flach lässt und mit seinen Angaben zu Understatement und nicht zu Marketing-Übertreibungen neigt. Die 17 Blendenstufen sind definitiv plausibel und zeigten uns zugleich die Grenzen unseres Dynamik-Vergleichs. Wir können der ALEXA 35 dennoch mindestens zwei Blendenstufen gegenüber der alten ARRI (LF) attestieren - wobei sogar noch bis zu einer halben Blendenstufe durch den nur grob schätzbaren Clipping Punkt "oben drauf" kommen könnten. Doch selbst ohne diese ungewisse halbe Blendenstufe lässt die ALEXA 35 die gesamte Konkurrenz in der Dynamik mehr als deutlich hinter sich.
Das Debayering fällt ebenfalls tadellos aus, wobei die Aufzeichnung in 4,6K für die besten Ergebnisse zu empfehlen ist. Doch selbst der 4K-Readout mit bis zu 120p gelingt noch erstaunlich gut, obwohl es sich nahezu um einen 1:1 Readout handelt.
Allerdings ist die neue ALEXA 35 nicht mehr in allen Bereichen technischer Marktführer. Beim Rolling Shutter hat Sony mit der VENICE 2 aktuell die Nase vorn - und dies sogar mit gehörigem Abstand. Und sogar eine Red KOMODO kann hier mit dem Global Shutter einen technischen Vorteil in die Waagschale werfen. Beide Alternativen schaffen dies allerdings nur zum Preis einer deutlich geringeren Dynamik.
Unsere Test-Alexa 35 kam von Seeyourent in Berlin, die mittlerweile über zwei ARRI ALEXA 35 verfügen: Ein super freundliches, stets kompetentes Rental Team :-)