Ratgeber Mit dem Smartphone filmen -- ernsthaft? Teil 1: die Nachteile

Mit dem Smartphone filmen -- ernsthaft? Teil 1: die Nachteile

Das Thema polarisiert die Videowelt: Kann, soll oder muss man sogar neuerdings mit dem Smartphone filmen? Wir wollten mal versuchen, das Für und Wider möglichst wertfrei nebeneinander darzustellen. Im ersten Teil gibt es dazu erst mal kräftig Contra...

// 11:35 Do, 2. Aug 2018von

Für die einen ist es unvorstellbar, für die anderen mittlerweile unverzichtbar: Das Smartphone als primäre Kamera zur Videoproduktion. Tatsache ist, dass sich das Smartphone auch vermehrt in professionellen Produktionsprozessen wiederfindet, die weit über den typischen Amateur-Einsatz für Urlaubs- und Familienfilme hinausgehen.





Nachteile des Smartphone Filmens

Doch warum sollte ein Smartphone für eine Videoproduktion besser geeignet sein, als die seit Jahrzehnten bewährten Werkzeuge? Um dieser Frage nachzugehen wollen wir zuerst die grundsätzlichen Nachteile eines Smartphones betrachten:





Haptik und Bedienung

Den augenscheinlichsten Nachteil erkennt man bereits beim Formfaktor. Professionelle Filmkameras wurden unter dem Gesichtspunkt gestaltet, möglichst ablenkungsfrei und produktiv filmen zu können. So findet man dort für starkes Sonnenlicht oft einen Sucher und viele externe Tasten und Regler um schnell und ohne tiefe Menüs relevante Einstellungen vornehmen zu können. Außerdem liegen "echte" Kameras in der Regel ganz gut in der Hand, um auch relativ stabil ohne Stativ filmen zu können.



Das Smartphone ist dagegen eine flache Scheibe, die keinen stabilisierenden Handgriff besitzt. Da das Smartphone ein Tausendsassa ist, muss ein Großteil der Bedienung ohne externe Tasten über Menüs stattfinden für deren Einstellung man die Vorschau aufs Motiv in der Regel unterbrechen muss.



Menüs versperren beim Smartphone-Filmen oft die Sicht auf das Motiv
Menüs versperren beim Smartphone-Filmen oft die Sicht auf das Motiv


Dazu bieten die meisten Smartphones nach wie vor nicht die Fülle an Einstellungsmöglichkeiten, die typische Filmkameras bieten. Kurz gesagt: Wer die Arbeit mit "echten" Kameras gewohnt ist, dürfte am Smartphone extreme Einschränkungen bei der Bedienung empfinden.





Sensor und Signalverarbeitung

Schon aufgrund der kompakten Abmessungen ist es schlichtweg unmöglich in einem Smartphone einen größeren Sensor zu verbauen. Da diese Geräte auch gleichzeitig eine attraktive Fotoauflösung bieten müssen, sind die einzelnen Sensel des Smartphones nicht sehr "lichtstark". Damit sind Smartphones in der Regel das, was man früher gemeinhin als Schönwetter-Kamera bezeichnet hat: Bei genügend Licht können gute Bilder zustande kommen, bei wenig Licht bricht die Bildqualität schnell und stark ein.



Diesem Problem setzen die Hersteller immer mehr digitale Korrekturen entgegen. Da werden Bilddetails durch kräftige Denoiser weggebügelt, Tiefenschärfe wird digital reduziert oder auch schon mal eine reale Struktur durch ein ähnliches digitales Muster ersetzt. Man darf daher wohl durchaus behaupten, dass die Videoqualität von Smartphones stark von digitalen Eingriffen geprägt ist. Was gerade bei älteren Generationen nicht unbedingt als moderne Bildästhetik ankommt.







Optik und digitale Ästhetik

Dies führt uns natürlich direkt zu den stark eingeschränkten Möglichkeiten der verbauten Smartphone-Optik. Meist ist nur ein digitaler Zoom möglich. Solange man keine Qualitätseinbußen durch faktisch geringere Auflösung in Kauf nehmen will, ist man dadurch auf die verbaute, feste Brennweite des Smartphones festgelegt.



Einen ND-Filter sucht man ebenso vergeblich, wie ein Filtergewinde um eventuell etwas Vergleichbares überhaupt vor der Optik befestigen zu können. Zoom- und Weitwinkel-Vorsätze reduzieren die Qualität der Smartphone-Aufnahmen in der Regel deutlich.



Durch den kleinen Sensor und die meist geringe Brennweite sind große Bereiche der Bildtiefe immer scharf, was grundsätzlich eine digitale Ästhetik vermittelt. Abhilfe verschaffen hier neuerdings Algorithmen, die bei sehr teuren Smartphones aus (mindestens) zwei Optiken eine digitale Tiefenschärfe errechnen, die allerdings im bewegten Bild vor allem mit viel digitalen Charme glänzt.



Ein künstliches Bokeh sieht an den Kanten nicht immer natürlich aus
Ein künstliches Bokeh sieht an den Kanten nicht immer natürlich aus


Cinematische Techniken wie analoge Schärfeverlagerungen sind somit am Smartphone kaum praktizierbar und werden ebenfalls -wenn überhaupt möglich- auf der digitalen Ebene der Postproduktion in einer App gelöst.





Codec und Datenhandling

Aufgrund der großen Datenmengen, die bei einer Videoaufnahme anfallen und dem gleichzeitig meist stark beschränktem Speicher im Smartphone, werden Videoclips meist extrem komprimiert. Auch hier hat eine möglichst geringe Datenrate höchste Priorität. Schon bei leichten Farbkorrekturen in der Nachbearbeitung werden hier schnell Artefakte sichtbar. Höhere Datenraten oder "bessere" Codecs zur Aufnahme lassen sich in der Regel nicht auswählen.



Dazu "leiden" die meisten Smartphones bei der Aufzeichung unter variabler Framerate, VFR. Tatsächlich werden hier (wohl auch unter anderem aus Datenreduzierungsgründen) immer wieder einzelne Frames verlängert oder gezielt ausgelassen. Außer Final Cut Pro X lernen erst gerade ein paar andere Schnittprogramme mit dieser Anomalie korrekt umzugehen. Beherrschen sie dagegen den Umgang mit VFR nicht, kommt es immer wieder zu Problemen mit der Synchronisation. Nach unserem Wissen gibt es auch keine Möglichkeit VFR bei der Aufzeichnung zu deaktivieren.



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Auch das Datenhandling verliert am Smartphone seine Trivialität. Während man bei einer normalen Kamera das Speichermedium einfach wechseln, kopieren oder auch mechanisch archivieren kann, will der meist fest verbaute Speicher eines Smartphones erst einmal ausgelesen sein. Hier gilt es schon als Pluspunkt, wenn man den Speicher per USB-Kabel auslesen darf, meist führt der Weg jedoch über eine drahtlose Verbindung quer durch die Cloud. Selbst ein Dateimanager, der einem wahlfreien Zugriff auf die Clipdateien hat. will erst einmal organisiert sein, sofern das Smartphone-Betriebssystem den Zugriff auf einzelne Files zur Übertragung mit Apps von Drittherstellern nicht sogar komplett unterbindet. Ein Zugriff auf die Dateien kann dazu die Kamera-App blockieren, weshalb man in diesem Fall die Kamera während der der Datenübertragung nicht weiter nutzen kann.





Kosten und expliziter Einsatz

Der Preis für ein Smartphone mit guter Kamera ist meistens deutlich höher angesiedelt, als bei einer weitaus besseren, dedizierten Kamera. Eine Panasonic LX100 kostet beispielsweise gerade mal 500 Euro und bringt fast keinen der hier genannten Nachteile mit. Top-Smartphones mit aktueller Kameratechnologie kostet dagegen deutlich mehr, teilweise sogar das doppelte. Und nicht zuletzt kann eine LX100 erst gar nicht in einer wichtigen Szene zu klingeln anfangen, wenn man vergißt, in den Flugmodus zu wechseln…



Schon eine Panasonic LX100 für ungefähr 500 Euro kennt die hier aufgezählten Probleme kaum
Schon eine Panasonic LX100 für ungefähr 500 Euro kennt die hier aufgezählten Probleme kaum




Warum in aller Welt sollte man sich also ein Smartphone als Kamera antun? Dieser Frage wollen wir im zweiten Teil dieses Artikels nachgehen…



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