Estelle McGechie hat eine bewegte Vergangenheit in der Branche (u.a. bei Apple) und ist seit drei Monaten der neue CEO von Atomos. Wir konnten uns mit ihr über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft von Atomos unterhalten...
slashCAM: Covid ist für die meisten Unternehmen weltweit eine große Herausforderung. Wie ist Atomos bisher mit der Pandemie fertig geworden, vor allem in Anbetracht der sehr harten Lockdowns von denen wir aus Australien, bzw. Melbourne gehört haben?
Estelle McGechie: Es war für niemanden aus dem Team während dieser Sperrungen einfach. Doch wenn man sich unsere Finanzergebnisse ansieht, kann man gut sehen, wie hart und fleißig das Team trotz aller Widrigkeiten gearbeitet hat. Wir hatten fast zwanzig verschiedene Produktvorstellungen in diesem Jahr und daneben haben wir natürlich auch noch an zukünftigen Produkten gearbeitet.
Atomos hat also in dieser schwierigen Zeit bestmöglich weitergemacht. Und ich sage immer wieder zu allen, die ich hier in Deutschland und in Melbourne treffe, dass es außergewöhnlich ist, was sie erreicht haben. Wenn ich mir all diese Dinge zusammen anschaue, dann bin ich einfach nur erstaunt - über den Teamgeist, die Fähigkeit, Widrigkeiten unter außergewöhnlichen Umständen zu überwinden und über die Fähigkeit, durchzuhalten. Wir haben führende Mitarbeiter, die sich neben dem Job auch noch um drei oder sogar vier Kinder kümmern müssen.
Wir kümmern uns uns darum alle gegenseitig und üben uns in der Fähigkeit, uns zu managen und uns in jeder Hinsicht zu unterstützen. Wir machen das ja alle gemeinsam durch. Überall auf der Welt, in Amerika, in London, hat jede Region ihre eigenen Herausforderungen zu bewältigen. Wir haben in Deutschland andere Ziele als in London oder in Amerika, aber wir sind ein globales Team. Als Führungskräfte müssen wir immer im Blick haben, dass jedes unserer Teammitglieder anders durch die Pandemie geht.
Aber es ist tatsächlich erstaunlich, was wir unter den Bedingungen in Melbourne geschafft haben, wo der Lockdown schon extrem war. Ich glaube nur in Rio gab es noch mehr totale Lockdown Tage.
Zusammengefasst würde ich sagen das Geheimnis ist die gegenseitige Unterstützung. Es geht wirklich nicht nur um die persönliche Stärke, sondern es funktioniert nur als Stärke des Unternehmens, der Führungskräfte und der Teams als ganzes. Ich denke, es bleibt eine außergewöhnliche Situation auf die man außergewöhnlich reagieren muss.
Wie stark ist Atomos unmittelbar und mittelbar von der Halbleiter-Knappheit betroffen?
Das ist eine sehr spannende Sache, da wir ja weltweit in allen Bereichen der Wirtschaft, von Möbeln bis hin zu Chips und diversen anderen Gütern Lieferprobleme haben.
Ich konnte viele unserer Lieferanten persönlich treffen und wollte von ihnen erfahren, wie es um unsere Lieferketten steht, was wir besser machen können und wie wir zusammenarbeiten können. Und das faszinierende daran war, dass das Team bei der Bewältigung all dieser Herausforderungen tatsächlich sehr schnell reagiert und umgesteuert hat. Das heißt, sie haben nicht nur überlegt, wie wir mit unserem Lieferanten zusammenarbeiten können, um andere Komponenten zu bekommen, sondern sie haben viele unserer Produkte an verfügbare Komponenten angepasst, also für bestehende Produkte neue Lieferketten aufgebaut. Dies hat natürlich wiederum eine Menge Anpassungen für die neuen Komponenten in bestehenden Produkten erfordert, also beispielsweise eine Anpassung der Firmware oder ein Umcodieren einiger Low-Level Funktionen.
Unsere Ingenieure waren dabei außerordentlich gut. Ich weiß, dass ich diesen Begriff zu oft verwende, aber es hat mich umgehauen, wie sehr sie sich dafür eingesetzt haben, dass weiterhin eine nahtlose Lieferung unserer Produkte möglich war, indem man interne Veränderungen bestehender Produkte so agil umgesetzt hat, dass der Endverbraucher keinen Unterschied bemerkt.
Dazu befinden wir uns in einer wirklich guten Cash-Position, die uns notwendige Komponenten auch bei schwerer Verfügbarkeit teurer kaufen lässt, ohne dass wir diese Kosten über Preiserhöhungen an den Endkunden weitergeben mussten. Wir hatten im Einkauf einige Preiserhöhungen, von denen wir so viele wie möglich abgefangen haben. Auch wirklich signifikante, doch wir haben das nicht nach außen gezeigt.
Das gilt für jeden Aspekt unseres weltweiten Geschäfts: Wir passen uns den Erfordernissen schnell an. Ein gutes Beispiel ist dafür auch die signifikante Veränderung des Streaming Marktes, in dem wir kurzfristig eine unerwartet hohe Nachfrage befriedigen konnten.
Es war wirklich erstaunlich, wie schnell sich Atomos in Richtung Streaming-Lösungen bewegt hat. Streaming ist ja fast über Nacht zu einem großen Thema geworden.
Das ist etwas, was meiner Meinung nach sehr wichtig ist und woran wir sehr hart arbeiten - nämlich nicht nur langfristig innovativ sein zu können. Wir haben selbstredend einen langfristigen Fahrplan, sind aber auch in der Lage, innerhalb kürzester Zeit auf Markttrends zu reagieren. So konnten wir innerhalb weniger Monate neue Hardware für ganz neue Produktsegmente entwickeln.
Wir hatten noch nie zuvor Streaming für den PC gemacht - und dennoch ist der Ninja Cast ein ernstzunehmendes Produkt für die Streaming-Industrie geworden. Es ist eben kein aufgesetztes Produkt auf bestehende Hardware, sondern wirklich ein für sich stehendes Gerät, dass die typischen Kanten von schnell zusammengewürfelter Hard- und Software umschifft. Es ist auf die direkte Streaming-Funktionalität ausgerichtet und wir freuen uns natürlich extrem, dass wir unseren Kunden immer mehr dieser wirklich funktionalen Lösungen anbieten können, die letztlich einfacher und zuverlässiger zu benutzen sind als eine Softwarelösung auf einem Laptop.
Wie man aus ihrem Lebenslauf sehen kann, haben sie vor einiger Zeit bei Apple an ProRes mitgearbeitet. Und aus dieser Zusammenarbeit sind ja nicht nur die ProRes Recorder sondern zuletzt auch ProRes RAW entstanden. Wie darf man sich da die Zusammenarbeit mit Atomos bzw. Jeremy vorstellen?
Es ist nicht so, dass solche Entwicklungen einer einzelnen Persönlichkeit zugeschrieben werden können, sondern eigentlich immer einem ganzen Team. Viele Leute von uns spielten eine große Rolle dabei, die Technologie zum Leben zu erwecken.
Ich habe Jeremy vor einigen Jahren kennengelernt, als er zum ersten Mal die Atomos-ProRes Aufzeichnung entwickelt, bei Apple lizenziert und sie anschließend auf den Markt gebracht hat. Seitdem hat es es viele bei Atomos viele Iterationen von dieser Idee gegeben.
Apple hat von da von Anfang an sehr eng mit dem Team von Atomos zusammengearbeitet, denn Apple wollte sicherstellen, dass sein ProRes-Format in den richtigen Geräten landet. Quasi, dass es in der Industrie ein Zuhause in einem verbreiteten und zuverlässigen Aufnahmegerät findet. Die Atomos Geräte waren damals sehr gut aufgestellt: Interne Aufzeichnung mit hohen Datenraten, große Displays und sehr viel Rechenleistung in einem kleinen Gerät. Das zeigte Apple, dass es sich hier um ein sehr ambitioniertes Team handelte.
Apple wollte aber nicht nur einen Proof-of Concept, sondern einen soliden Partner der auf dem Markt vorne mitspielen konnte. Jeremy war wirklich sehr überzeugt und überzeugend, dass es bei Atomos eine Entwicklung in diesem Sinne geben wird. Und das hat es Atomos mit viel Energie ermöglicht, diese Idee auf sehr viele Kameras von vielen relevanten Herstellern auszuweiten. Ich finde es immer noch revolutionär, dann man heute jede Kamera mit einem HDMI-Ausgang dazu bringen kann in hochwertigen Codecs aufzuzeichnen. Auch wenn der Kamerahersteller dies selber nicht mit hoher Priorität verfolgt.
Um es kurz zusammenzufassen: Es passte einfach alles zusammen. Auch dass Jeremy früh deutlich machte, dass es das alles wirklich durchziehen wird. Er zeigte bei Apple einen extrem festen Glauben an ProRes RAW. Dazu spielte auch Canon eine große Rolle, die für die erste Präsentation von ProRes RAW in 2018 einen von den zwei verfügbaren 8K-Prototypen zur Verfügung stellten.
Ich denke, das war echte Synergie. Und es ist wirklich ein Geschenk, derart inspirierend und beharrlich zu sein, um etwas in unserer Industrie zu bewegen.
So wie wir es verstehen, hat Atomos eine Lizenz von RED für die Aufzeichnung von komprimierten Rohdaten für seine Geräte erworben. Können Sie etwas mehr zu dieser Lizenzsituation sagen und auch dazu, wie Sie die Entwicklung des Marktes in diesem Bereich sehen?
Hinter all dem steckt natürlich auch ein für uns manchmal nicht so einfach zu verstehendes "Lizenz-zu-Lizenzsystem", vor allem, wenn man bedenkt, dass es um die Lizenzierung von RAW geht. Es ist ein riesiges Thema.
Ich kann allerdings nur für unsere Geräte sprechen. ProRes RAW ist von Apple lizenziert. Allerdings ist es eine Lizenz, die jeder beantragen kann. Sie kostet kein Geld. In erster Linie soll damit sichergestellt werden, dass die Qualität der Aufzeichnung bei jedem Hersteller stimmt. D.h. es geht nicht nur um die Anordnung der Einzelbilder in der richtigen Reihenfolge. Die Qualität jedes einzelnen Pixels soll entsprechend der Lizenzierung bestmöglich sein. Man liest gelegentlich, dass die Lizenz von Apple kostenpflichtig sein soll, aber das ist nicht der Fall.
Und dann gibt es noch die Lizenzen von RED - und das ist eigentlich auch ganz einfach: Wir haben eine Lizenzvereinbarung mit RED und wir schalten diese Vereinbarung für den Endanwender des Gerätes online frei.
Eine Frage, die vielen Lesern auf den Fingern brennt: Gibt es irgendetwas zur einer kommenden Unterstützung von ProRes RAW in DaVinci Resolve zu sagen?
Nun, bei DaVinci Resolve handelt es sich ja nicht um ein Produkt von uns und darum können wir uns nicht dazu äußern. Wir wissen nicht wie die Pläne bei Blackmagic Design in der Entwicklung aussehen, noch ein weiteres RAW-Format zu unterstützen. Ich glaube, derzeit unterstützt Resolve etwa 12 RAW-Formate. Wir hoffen für unsere Kunden - von denen wir den gleichen Wunsch hören -, dass auch irgendwann ProRes RAW von Resolve unterstützt wird.
Vielleicht kommen wir noch einmal ein wenig auf das große Ganze zurück. Wir haben mit Covid und den Herausforderungen begonnen, die Covid in Bezug auf das Produktionsprofil mit sich bringt. Aber wenn wir jetzt einen Blick in die Zukunft werfen, wo sehen Sie die wichtigsten potenziellen Wachstumsbereiche für Atomos?
Ich denke, dass es sogar schon vor der Pandemie eine Entwicklung gab, die von einer gemeinsamen (Post)produktion zu der Flexibilität führte, Produktion und Postproduktion an diversen Orten zu haben.
Viele Dinge, die früher undenkbar waren, sind jetzt plötzlich möglich und in Ordnung. Beispielsweise, dass ein Regisseur remote arbeiten kann, ohne am Set vor Ort zu sein. Wir akzeptieren heute die Tatsache, dass sich Talente überall über die Welt verstreut befinden. Und wenn man bereit ist, sich mit der Zeit, den Zeitzonen und allem auseinanderzusetzen, sind hybride Produktionsmethoden plötzlich keine Zukunftsmusik mehr.
Ich glaube, Hybrid hat uns gezeigt, dass sich die Produktion und die Postproduktion in diesem Herbst vom Solo-Kreativen bis hin zu den großen Filmstudios in Richtung Cloud bewegt hat. In verschiedenen Iterationen ging es in diese Richtung, die nun immer flexiblere Möglichkeiten etablieren.
Es geht auch in die Richtung des virtuellen Raums. Ich meine, vor fünf Jahren oder selbst vor zwei Jahren, sah das alles noch sehr utopisch aus. Niemand hat ernsthaft über ein virtuelles Set gesprochen, abgesehen von Sportreportern oder Wettermoderatoren, die sich schon immer in einem virtuellen Set befanden - allerdings sind mittlerweile neue zeitgemäße Möglichkeiten hinzugekommen...
Plötzlich sind nahtlose, virtuelle 180- oder oder sogar 360 Grad Sets technisch möglich. Und plötzlich ist es auch nicht mehr abwegig, diese als Teil einer Produktion zu akzeptieren. Oder jedenfalls als ernsthafte Option in Betracht zu ziehen. Und mit der Cloud akzeptieren heute auch immer mehr Produzenten, Unternehmen, Filmstudios und Rundfunkanstalten, dass es sich dabei um eine Erweiterung eines Büroarbeitsplatzes handelt. Man befindet sich jetzt einfach in der Cloud an verschiedenen Standorten und nicht mehr in verschiedenen Büroräumen im selben Gebäude. Ich denke, dass diese Entwicklung für Atomos sehr interessant ist. Und natürlich arbeiten wir bei Atomos auch mit unserer ganzen Leidenschaft dafür, unseren Kunden wirklich außerordentliche Produkte für diese neuen Möglichkeiten anzubieten.
Würden Sie also so weit gehen zu sagen, dass Ihre Vision für Atomos darin besteht, sich mehr in Richtung eines Softwareunternehmens zu engagieren, bei dem Cloud-basierte Dienste eine wichtige Rolle spielen könnten, im Gegensatz zur Hardwareentwicklung?
Wenn man sich die Zukunft anschaut und eine Entwicklung zu erkennen glaubt, die wirklich interessant für die Firma ist, bleibt die große Frage: Wie kann man für die Zukunft innovieren? Wenn man dafür ein Zusammenspiel von Software und Hardware benötigt und gleichzeitig große Ambitionen hegt, geht das nicht über Nacht. Das passiert auch nicht drei Wochen vor der Ankündigung einer Markteinführung. Das geht über Monate, manchmal über Jahre.
Wenn man mit einer neuen Idee startet, muss man parallele Gespräche führen, bei denen potentielle Partner und Entwickler gleichzeitig eingebunden werden müssen. Man muss an vielen Strängen ziehen und viele Dinge müssen gleichzeitig passieren. Manchmal ergibt es sich, dass es gut läuft, und dann sieht man, wie sich alles mit der Zeit entwickelt und die Dinge plötzlich zusammenfinden. Das ist wie ein Tetris-Spiel. Wenn man das richtig macht, sieht man plötzlich das ganze Konstrukt und das ist dann, was wirklich, wirklich Spaß macht. Wir sind darum selber höchst gespannt, in welche Richtung sich Atomos in den nächsten Jahren entwickeln wird...