Sound Design ist viel mehr als nur Geräusche
Doch ein Geräusch richtig nachzumachen, ist noch lange nicht alles. Letztlich geht es darum, eine Art "Tonsprache" (sonic language) für einen Film zu entwerfen. Wie soll eine Szene klingen? Welches Gefühl entsteht dadurch automatisch? Wenn sich etwa ein Paar in einem Café unterhält, ist es dort laut? Dann müssen sie beinahe rufen, um sich zu verständigen. Ist es leise, werden sie eher flüstern -- emotional eine ganz andere Situation. Peter Albrechtsen, der mittlerweile oft schon im Drehbuchstadium ins Team geholt wird, liest ein Script gerne ganz ohne die für ihn ablenkenden Dialoge, um ein Gefühl für die (benötigte oder vorhandene) Audiokulisse zu bekommen. Vor allem bei begrenzten Mitteln stellt sich auch die Frage, welche Szenen vor allem zusätzliche Unterstützung durch eine nachträgliche Vertonung brauchen.
Dies gilt, und das mag zunächst überraschen, mindestens genauso für einen Dokumentarfilm. Denn aus Sicht des Sound-Duos macht es keinen größeren Unterschied, ob an einem fiktionalen oder dokumentarischen Film gearbeitet wird -- das einzige wäre wohl, dass bei letzterem die Protagonisten nie ins ADR-Studio geholt würden, um ihre Texte sauber nachzusprechen. Ansonsten würde auch bei Dokumentationen sehr viel Sound Design betrieben -- und warum auch nicht? Auch die Montage sei ja ein kreativer Eingriff in die "Realität", wie auch die Entscheidung, worauf die Kamera gerichtet wird. Das gezielte Hinzufügen von Geräuschen könne eine große Bereicherung sein, damit das, was zu sehen ist, sich echt anfühlt; Stichwort "Emotionaler Realismus".
Was damit gemeint ist, zeigten die beiden am Fallbeispiel Distant Barking of Dogs von Simon Lereng Wilmont, bei dem sie zusammen am Sound gearbeitet haben. Die dänische (übrigens für einen Oscar nominierte) Dokumentation zeigt das Leben des 10-jährigen Oleg, der zusammen mit seiner Großmutter in der ostukrainischen Kriegszone lebt. Der Titel ist hier Programm: die Tonebene ist entscheidend bei diesem Film, denn die Kämpfe sind vor allem zu hören, die Artillerie und die Bomben, das Bellen der Hunde. Die Leute vor Ort -- die wenigen, die in ihren Häusern geblieben sind -- achten vor allem auf das, was sie hören. Wie nah sind die Einschläge, von wo kommen sie? Wann ist es höchste Zeit, Sicherheit im Haus zu suchen?
Doch da der Film im 1-Mann-Team gedreht wurde, mit einem auf der Kamera montierten Richtmikrofon und einem Ansteckmikro am Protagonisten, ist vieles, was vor Ort zu hören war, gar nicht auf der originalen Tonspur gelandet (dem "production sound"). Die Jungs drehen erschrocken den Kopf, aber das Krachen des Einschlags fehlt -- das funktioniert filmisch natürlich nicht. Also mußte die Tonkulisse als tragender, aber unsichtbarer Akteur nachträglich reproduziert werden.
Es gibt jedoch, wie die beiden immer wieder betonen, einen weiteren Grund, sehr aufmerksam mit der Tonebene umzugehen, auch wenn die Geräusche für das Verständnis der Handlung nicht wichtig sind. Sie stellen nämlich automatisch auch eine Nähe zum Protagonisten her, sozusagen als emotionaler Trick: indem Dinge zu hören sind, die normalerweise nur über eine geringe Entfernung wahrzunehmen sind. Diese kleinen, einfachen Geräusche tragen dazu bei, das Bild lebendig machen, beispielsweise bei Alltagsszenen im Haus, beim Essen, beim Spielen, beim Lagerfeuer. Hört man das leise Knacken der Zweige, wenn Oleg sie kleiner macht, ist es beinahe, als säße man neben ihm. Gerade bei einer Doku ein durchaus erwünschter Effekt.
Und nicht zuletzt dienen Geräusche dazu, einem Film Intensität zu verleihen, indem eine gewisse Atmosphäre geschaffen wird -- bei diesem Film ging es darum, das Gefühl eines fast verlassenen Dorfes zu evozieren, und die unsichtbar lauernde Gefahr. Quietschendes Metall in unterschiedlichen Variationen war hierfür die Lösung der Wahl.
Wir sind uns ziemlich sicher, nach diesen Ohren-öffnenden anderthalb Stunden doch einen anderen Blick auf das filmische Bild bekommen zu haben und können nur jedem ans Herz legen, sich mit dem Thema Sound Design zu beschäftigen -- die Mühe lohnt sich.