Sony Vegas Pro war schon in der letzten Version ein universeller Tausendsassa, der wenig Wünsche offen ließ. Im Fazit wünschten wir uns noch Unterstützung für Panasonic Pro Formate, einen Motion Tracker, sowie eine detailliertere Keyframe-Verwaltung. Nichts von alledem wurde erhört, und dennoch konnte uns die neue Version begeistern...
Oberfläche
Die Oberfläche des Programms ist gegenüber den Vorgängerversionen kaum verändert worden. Erfahrene Nutzer müssen nicht umlernen, Neulinge aber vor allem Wechsler reiben sich dagegen an der vielleicht etwas zu Windows-konformen Oberfläche. Diese erinnert dazu mehr an Audio- denn an Videobearbeitung, was zugleich Stärke und Schäche des Programms ist. Stärke, weil das Programm tatsächlich aus einer Audio-Schnittsoftware hervorgegangen ist und im Audiobereich mehr Features bietet als sämtliche Konkurrenten. Und Schwäche, weil für viele Anwender die Quasi-Gleichbehandlung von Audio- und Video-Clips etwas ungewöhnlich vorkommt. Wer jedoch eine kleine Einarbeitungszeit nicht scheut findet auch unter Vegas viele altbekannte Schnittkonzepte und Tastatur-Kommandos die das Zusammensetzen von von Videoclips schnell und effektiv ermöglichen.
Scripting
Ziemlich einzigartig und in unseren bisherigen Tests immer wenig erwähnt ist die Script-Unterstützung des Programms. So lassen sich fast alle Vegas-Funktionen über eigene Scripte fernsteuern, was die Anpassung an persönliche Bedürfnisse gerade in einem heterogenen Produktionumfeld sehr effektiv macht. Vor allem wiederkehrende Abläufe lassen sich hiermit bequem automatisieren. Ähnliches gehört in Compositing-Programmen zum guten Ton, bei den Schnittprogrammen der Konkurrenz ist Vergleichbares jedoch bisher nicht zu finden. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht verwunderlich, dass Vegas besonders viele Compositing-Funktionen mitbringt. In der neuen Version lassen sich Clips noch leichter zu Gruppen zusammenfassen, und können nun auch als ganzes solo geschaltet oder gemutet werden.
Performance
Die größte Überraschung erwartete uns jedoch beim Import von AVCHD-Material. Denn bisher war einer unserer größten Kritikpunkte an Vegas, dass eine Vorschau in voller Qualität niemals so flüssig gelang, wie bei den meisten Konkurrenten. Auf unserem neuen Testsystem (i7-2600K) ist Vegas Pro nicht mehr wiederzuerkennen. So konnten wir problemlos eine 3 Wheel-Farbkorrekur in voller Auflösung inklusive Vektorskop mit 24P-Material einer GH2 durchführen. Auch 50p-AVCHD-Material lies sich mit nur äußerst seltenen Rucklern sehr bequem in voller Auflösung bearbeiten. Zum Vergleich installierten wir das Programm auch noch einmal auf unserem alten, schon recht betagten Testsystem mit Intel Q6700. Uns selbst dort konnten im Gegensatz zur stotterigen Wiedergabe der alten Vegas Pro 9 Version nun auf einem AVCHD-Videoclip diverse Effekte stacken, die allesamt bei bester Qualität im Vollbild praktisch ruckelfrei angezeigt wurden. Wie es aussieht hat Sony bei der neuen Decoding-Engine also ganze Arbeit geleistet, was das Programm in eine komplett neue Liga hebt. Denn gegenüber Adobes Mercury Engine fühlt sich Vegas auf dem selben System kaum weniger responsiv an, nur dem Performance-Helden Edius 6 muss sich Vegas beim Schnittgefühl geschlagen geben. Adobe kann aber immerhin noch echte 32 Bit Verarbeitung für seine Mercury Engine in die Waagschaale werfen, was Vegas zwar ebenfalls beherrscht, jedoch nur mit deutlich Perfomance-Einbußen.
Sollte die Echtzeit-Leistung einmal in die Knie gehen, lässt sich die Vorschau in mehreren Qualitätsstufen reduzieren, was auch deutlich besser funktioniert (und auch mehr bringt), als z.B. bei Premiere. Zusätzlich kann man im Zwei-Monitor-Betrieb gleichzeitig die Videovorschau innerhalb das Programmfensters abschalten, was die Performance bei uns ebenfalls etwas erhöhte. Dabei wollen wir auch nicht unerwähnt lassen, dass die Bildkontroll-Funktionen wie RGB-Parade, Vektorskop oder Waveformmonitor ebenfalls sehr flink berechnet werden. Diese können im Vorschaufenster angezeigt werden, während die Preview auf dem zweiten Monitor läuft. Gekoppelt mit der flüssigen Wiedergabe von Vegas fühlt man sich so schnell wie an einem Sende-Schnittplatz mit permanent laufenden Kontroll-Gerätschaften...
Vorschauoptionen
Apropos Vorschau. Auch mit keinem anderen Programm lassen sich herkömmliche PC-Monitore so gut zur Preview verwenden wie in Vegas. Denn hier kann man aus dem Programm heraus Auflösung und Bildwiederholfrequenz des Vorschaumonitors umschalten. Auch Farbprofile und Deinterlacing können bequem eingestellt werden. Besser haben wir so etwas noch in keinem anderen Schnittprogramm gesehen.
Premiere CS5 und Edius stellen dagegen immer nur die aktuell unter Windows definierte Vorschaufrequenz zur Verfügung. Dabei kann es dann auch vorkommen, dass es der Nvidia Treiber nicht zulässt, zwei Monitore mit unterschiedlichen Frequenzen zu betreiben. In so einem Fall muss zwangsweise der Monitor mit der Programm-Oberfläche dann auch in einen 50 Hz oder 24P-Modus. Probleme sind dann vorprogrammiert, wenn nicht beide Monitore die gleichen Frequenzen beherrschen. Vegas kennt dagegen solche Probleme nicht.
Ebenfalls erwähnenswert: Der Hochkantschnitt (z.B. für einen um 90 Grad gedrehten HD-Fernseher), der ja gerade im POS-Bereich recht angesagt ist, ist mit Vegas ebenfalls durch eine einfache Einstellung den Vorschauoptionen machbar. So muss man keine Projekteinstellungen selbst verändern, was die Distribution von “gedrehten” Projekten mit einer üblichen BluRay oder einem Media-Player ermöglicht.
Stabilisator
Ebenfalls eine Neuerung, die ja gerade von Apple mit Final Cut Pro X groß gehyped wurde findet sich in Vegas 10 bereits implementiert. So lassen sich Videoclips mittels eines Optical Flow Algorithmus entwackeln, sogar inklusive Rolling Shutter Korrektur. Wie auch bei der Konkurrenz muss der Clip hierfür erst einmalig analysiert werden. Im Gegensatz zu Apple, ist dies jedoch nicht im Hintergrund möglich, sondern blockiert den Rechner. Ist die Analyse abgeschlossen stellt Vegas diesen Clip als zweiten Subclip im Media Browser bereit, der die Verwackelungs-Korrekurvektoren enthält. Die eigentliche Korrektur (also das Abfahren der Keyframes) erledigt Vegas anschließend in Echtzeit. Ab diesem Zeitpunkt lässt sich der Clip also ohne Neurendering wahlweise mit oder oder Bewegungskorrektur nutzen. Die Qualität der Korrektur ist dabei stark vom Ausgangsmaterial abhängig. Mit einem sehr guten Camcorder-Bildstabilisator konnte die Korrektur jedoch meistens nicht mithalten. Schon alleine, weil die bei der Aufnahme entstehenden unregelmäßigen Bewegungsunschärfen zwischen zwei Frames ja kaum herauszurechnen sind. Doch dieses Problem hat jeder aktuelle Software-Stabilisator.
Neue OFX Plugin-Schnittstelle
Besonders begrüßenswert: Vegas hat eine neue Plugin-Architektur bekommen, die voll dem Open Effects Association Standard entspricht (OFX). Damit können nun ab sofort Plugins eingesetzt werden, die sonst nur für Nuke und Konsorten erhältlich waren. Grundsätzlich ist eine Unterstützung solch eines offenen Standards schon deswegen begrüßenswert, weil sich so einmal gekaufte Effekte auch mitnehmen lassen, sollte man einmal sein angestammtes Schnitt- oder Compositing-Programm wechseln. Für den Anwender bedeutet dies in jedem Fall eine gewisse Investionssicherheit. Und für Plugin-Entwickler ist das natürlich ebenfalls ein Gewinn, weil sich so ein Plugin gleich für mehrere Plattformen entwickeln und vermarkten lässt.
3D
Die großen, neuen Hauptfeatures sind eindeutig um die 3D-Editing-Funktionen angesiedelt. So beherrscht Vegas 10 nun ohne zusätzliche Tools den Import, die Anpassung, eine Preview und den Export von 3D-Projekten in diversen Formaten. Die Vorschau im Schnitt ist dabei sowohl anaglyph, als auch mit der "neuesten nVidia Technologie" möglich. Letzteres bedeutet leider im Klartext, dass eine externe Vorschau nur mit Nvidias 3D Vision Pro für Quadro-Grafikkarten funktioniert. Die viel günstigere GeForce Lösung 3D-Vision Home wird leider aktuell nicht unterstützt. Dazu beherrscht Vegas auch noch diverse SidebySide-Darstellungen, untereinander und sowie Schachbrett und Interlaced-Verfahren, die ein über HDMI angeschossener Fernseher direkt interpretieren kann.
Die 3D-Integration war letztlich auch der Grund, warum sich unser Test immer wieder verzögert hat. Denn erst mit Version 10.0d lassen sich erstmals auch Sonys eigene MVC-Dateien direkt importieren, die beispielsweise die Sony HDR-TD10 erzeugt. Gerade hiermit öffnet sich ein bemerkenswerter Workflow, der grundsätzlich auch schon rund funktioniert. Aber auch der 3D-Import von Panasonics SDT750 Dateien klappte problemlos. Mann muss einzig die Clips von Hand interpretieren, und zwar korrekt als “Nebeneinander(Halb)”.
Falls man mit zwei Kameras gefilmt hat (oder die Konvergenz schlecht eingestellt hatte), kann man nach einem Import die stereoskopische 3D-Anpassung für entsprechenden Korrekturen benutzen. Die Einstellmöglichkeiten fallen sehr praxisnah aus. So lässt sich nicht nur die horizontale Verschiebung korrigieren, sondern auch eine vertikale Verschiebung, Zoom, Keystone und Drehung der Bilder zueinander. Wer mit Spiegel-Rigs gearbeitet hat, kann zusätzlich das Bild horizontal und vertikal kippen bzw. spiegeln.

Da bei jeder dieser Aktionen ungewollte Schnittränder entstehen, können diese auch automatisch durch Zoom und Crop entfernt werden. All dies erlaubt schnell und bequem die Anpassung von zwei Bildströmen in einer 3D-Komposition. Gleichzeitig kann der Filter stereoskopische 3D-Anpassung auch dazu genutzt werden, vorgelagerte 2D-Effekte (u.a. Titel) in der Raumtiefe zu platzieren.
Bemerkenswert geht es anschließend im Workflow weiter. Denn nach der stereoskopischen 3D-Anpassung stehen in der Filterliste zwei Effekt-Ströme (für das linke und das rechte Auge) parallel zur Verfügung. Der Effekt-Strom wird sozusagen in zwei separate 2D-Kanäle gesplittet. Ziemlich genial, denn so lassen sich alle integrierten 2D-Effekte direkt im 3D-Raum nutzen, da diese somit einfach mit Pixelverschiebungen auf 2 Ströme verteilt werden. Per default werden dabei die Parameter für beide Bildkanäle zusammen eingestellt, jedoch kann man die Parameter auch für jeden Kanal einzeln anpassen. Eine Farbkorrekur ist so beispielsweise sehr leicht möglich.
Einfache Filter werden dabei allerdings nicht “echt” 3D, sondern auch Effekte wie Lichtstrahlen spielen sich weiter auf einer Ebene ab. Diese lässt sich jedoch beliebig in der Raumtiefe platzieren, z.B. indem man einfach Sonys stereoskopische 3D-Anpassung separat anwendet. Bei der Konstruktion einer 3D-Szene hilft dann auch die Flexibilität, jeden Effekt sowohl auf Clips als auch auf ganze Tracks anzuwenden.
Dazu lassen sich einzelne Tracks/Clips/Assets auch wirklich im 3D-Raum drehen und bewegen, indem man den Compositing-Modus des Tracks auf 3D-Source Alpha stellt. Anschließend sind die Parameter der Trackanimation um entsprechende 3D-Funktionen erweitert. So lässt sich beispielsweise hier auch der synthetische Objektiv-Abstand für jeden Track separat einstellen.

Nvidia Quadro 4000
Etwas Kopfzerbrechen bereite uns die Einstellung der Nvidia Quadro 4000 Karte, weil wir zuerst unter Vegas die Vorschau einfach nicht in 3D auf einem zweiten Monitor mit 100-120 Hz hinbekommen wollten und es noch wenig Dokumentation im Netz dazu gibt. Als Lösung fanden wir schließlich die Möglichkeit, ein eigenes Profil in den Quadro-Treibern für Vegas von Hand zu erstellen.
Hierfür muss man in der Nvidia Systemeinstellung unter “3D-Einstellungen/3D-Einstellungen Verwalten” den Reiter Programmeinstellungen wählen. Anschließend wählt man aus dem Vegas Programmordner die Vegas-Exe Datei (1).
Dann stellt man für Vegas in einem zweiten Schritt (2) die Punkte “Stereo aktivieren” auf “Ein” sowie den “Stereo Anzeige-Modus” auf “generisches aktives Stereo (mit Nvidia 3D Vision).

Dies bewirkt, dass Nvidia immer wenn Vegas gestartet wird den 3D-Monitor in den 3D-Modus zwingt. Anschließend funktioniert der 3D-Schnitt relativ problemlos. Relativ, weil sich gelegentlich auch ein “Flimmerbereich” auf den zweiten Monitor verirrte, der eigentlich die Programmobefläche zeigt. Auch Redraw-Probleme der Oberfläche traten in diesem Zusammenhang auf. Allerdings immer erst, nachdem man zwischenzeitlich den Desktop für andere Aufgaben zwischen genutzt hat. Ein Neustart des Programms behob diesen Treiber-Fehler immer schnell.
Insgesamt funktionierte der Schnitt mit eingeschalteter 3D-Preview erstaunlich intuitiv, ohne dass man zum Handbuch greifen muss. Allerdings ist auffällig, dass bei mir wirklich schon nach kurzer Editing-Zeit sich leichte Benommenheit und Kopfbrummen einstellten, obwohl ich eigentlich nicht sonderlich anfällig für die üblichen „3D-Seekrankeiten“ bin. Der Grund dürfte sein, dass der Blick immer zwischen der 2D-Programmoberfläche und dem 3D-Monitor hin- und herschweift. Das ist schlichtweg anstrengend, wurde aber mit der Zeit der Gewöhnung letztendlich schnell besser.
Was fehlt?
Bequemes Tagging von Clips zum Sortieren und Suchen wurde scheinbar nicht implementiert. Auch eine integrierte Unterstützung von Panasonics Profi-Formaten lässt gegenüber der Konkurrenz noch eine deutliche Funktions-Lücke klaffen. Der Import von DVCPRO HD und Konsorten wäre daher nicht nur wünschenswert, sondern dürfte Vegas Pro auch im professionellen Umfeld zu mehr Akzeptanz verhelfen.
Fazit
Was Sony hier vorgelegt hat, ist schon beeindruckend. Gerade die gute Skalierung auf mehrere Prozessorkerne wertet das Programm gegenüber der Vorgängerversion so extrem auf, dass es gar keiner anderen neuen Funktionen bedürfte, um unsere Begeisterung für das aktuelle Update zu wecken. Durch die schnelle Decodierung gewinnen alle Effekte an Geschwindigkeit, was Vegas gegenüber der Mercury Engine von Adobe unerwartet konkurrenzfähig erscheinen lässt.
Am bemerkenswertesten ist jedoch der 3D-Bereich. So ist uns im direkten Konkurrenzumfeld kein anderes Programm bekannt, das eine derart integrierte 3D-Produktionsumgebung zur Verfügung stellen kann. Da alle bisherigen Effekte durch die doppelte Signalführung auch in 3D einsetzbar sind und der 3D-Quellalpha-Modus sogar echte 3D-Compositings erlaubt, lässt sich hiermit schon eine Menge anstellen, ohne zusätzliche Programme bemühen zu müssen.