Showdown...
Nachdem ich also einige Lektionen bereits erfahren hatte, stand mir die größte Herausforderung mit der Vergewaltigungsszene noch bevor. Zu meiner Erleichterung war der Kamerawinkel fix und so gewählt, dass wir noch nicht einmal unsere Sachen ausziehen mussten. Und außerdem hat der Regisseur vor allem mir, denn sie verblieb eher passiv in der Szene, die Arbeit erleichtert, indem er sie stark rhythmisiert hat. Ich hatte also zumindest ein bisschen eine Struktur von Handlungsanweisungen, an die ich mich halten konnte. Nichtsdestotrotz blieb es eine Herausforderung, denn es war eine lange Szene mit viel Text, bevor es zur Tat kam, die dann sehr genau rhythmisiert ablaufen sollte, und er wollte sie als Plansequenz drehen.

Dass wir bereits seit 15 Stunden drehten und mir wortwörtlich die Augen zuzufallen begannen, mag der Authentizität unserer Spielweise für die nächtliche Szene, in der ich zudem betrunken sein sollte, zuträglich gewesen sein, allerdings war das ein schmaler Grat. Und so hatte ich auch ernsthafte Schwierigkeiten mich beim ersten Take, der abgebrochen wurde, und zweiten an meinen Text und die komplexen Handlungsabläufe in der richtigen Reihenfolge oder überhaupt zu erinnern. Als dann der zweite Take, der dennoch ganz gut gelaufen war, leider nicht voll aufgezeichnet worden war, weil, entschuldigt bitte, der Penner von Kameraassistent nicht darauf geachtet hat, dass noch genug Platz auf der Speicherkarte war, blieb nur noch Kaffee.
Es war ein heikler Moment: Ich war nahe dran, nicht mehr spielen zu können, es war die entscheidene Szene, das Team wollte nach Hause, bis zu letzten U-Bahn war es nicht mehr lang, und vor allem war es der letzte Drehtag in der Wohnung und der Aufwand, alles noch einmal machen zu müssen, wäre enorm gewesen. Auch das also ein Druck, der sich letztenendes beim Schauspieler sein Ventil sucht. Entweder ich bringe es jetzt, oder alles ist am Arsch. Ich exte zwei Tassen kalten Kaffee, der eigentlich Espresso war, und war dem Herzinfarkt nahe, aber so ging es. Einmal haben wir die Szene dann noch gedreht. Und ich hatte noch genug Koffein im Blut, skeptisch zu bleiben. Das soll es gewesen sein?
Was bleibt?
Wie gesagt ist fast nichts schlimmer als das Vertrauen in das Urteil des Regisseurs zu verlieren und doch von ihm abhängig zu sein. Vielleicht beschreibt die Fähigkeit zur Hingabe diesen Beruf am besten.
Die Erschöpfung nach Drehschluß war kaum zu beschreiben. Und der Wunsch, Drogen in Form von Alkohol und Zigaretten zu konsumieren, war übermächtig. Wie auch sonst mit dieser Zumutung umgehen? Eben noch Vergewaltiger, jetzt wieder normaler Mensch unter anderen?
Zu Hause habe ich dann gedacht, wenn ich für diese Arbeit bezahlt worden wäre, hätte ich mich wahrscheinlich wie eine Hure gefühlt. Und nicht umsonst wurden Schauspieler*innen und Schauspieler ja oft in diese anrüchige Ecke gestellt. Laut David Mamet waren sie den Menschen in früheren Zeiten so unheimlich, dass sie nicht auf Friedhöfen, sondern an Wegkreuzungen beerdigt wurden. Ob sie auch noch gepfählt wurden wie die Wiedergänger in Rumänien, habe ich vergessen.
Für mich gibt es aber einen Fehler in der Analogie zur Prostitution. Während diesen immer unterstellt wird, ihre Gefühle nur zu spielen, genauer, vorzuspiegeln, obwohl sie eben nicht da sind, und damit die Imagination in dem Falle beim Freier liegt, der sich geliebt, begehrt uns sonst was fühlt, ist es bei der Schauspielerei anders und vielleicht komplizierter. Die Gefühle müssen echt sein, und das kann nur geschehen, indem die Imagination beim Schauspieler liegt. Auch wenn Regie, Kamera, Schnitt entscheidend zur schließlichen Vorstellung beim Zuschauer beitragen, ist doch ohne den Schauspieler und seine Imagination alles nichts.

Da das unheimlich ist, auch ihm selbst, weil es möglich ist, und weil es Fragen aufwirft auch für alle anderen Bereiche des Lebens, deswegen vermutlich die Abwehr und der Vergleich mit der Prostitution. Und auch die Gefahr, sich in Süchten zu verlieren. Denn die Frage, was ist oder wer bin ich wirklich, ist eine schwer zu ertragende.
Ich habe mehrere Tage gebraucht, mich von den emotionalen Strapazen dieser Arbeit zu erholen. Wäre es nicht so, beruhigte mich mein Kumpel und Schauspiellehrer, wäre ich ein Psychopath. Der bin ich offenbar nicht, Glück gehabt.
Würde ich es wieder machen? Ich denke schon, auch wenn ich zwischendurch gerne die Seite gewechselt hätte. Aber ich möchte wissen, ob mir gelingen kann, was meine Kolleg*innen empfehlen, um Rollen zu spielen, die ihnen fremd sind, nämlich sich zu freuen, dass man Dinge tun darf, die man sonst nicht ohne weiteres machen kann. Ob das allerdings wirklich eine Freude ist, da bin ich mir nicht so sicher. Auf jeden Fall aber habe ich gelernt, wie viel Schauspieler*innen geben. Und das verdient meinen Respekt und meine Nachsicht für die damit einhergehenden Auffälligkeiten. - Wenn ihr mich casten wollt, nur zu, und gerne für eine Komödie!
Kai Ehlers