Adobe zeigte mit Premiere 6.5 gegenüber der frischen Konkurrenz bereits deutliche Altersspuren. Da die neue Version praktisch eine komplette Neuentwicklung darstellt, hat sich der Hersteller entschlossen die Versionsnummer nicht mehr weiter herauf zu treiben, sondern dem Programm einfach das modische Suffix „Pro“ zu verpassen.
Bei der Installation gibt es bereits eine erste Enttäuschung: Premiere Pro läuft ausschließlich unter Windows XP. Nachdem viele Videoanwender bisher lieber auf Windows 2000 gesetzt haben, werden diese nun von Adobe zu einem Updateschritt auf das überladene Betriebssystem mit Zwangsaktivierung gezwungen.
Doch nach der Installation wird man für dieses Ärgernis erst einmal entlohnt. Die neue Oberfläche des Programms unterstreicht den professionellen Anspruch des Programms. Der Workflow ist praktisch perfekt. Hier stand offensichtlich Final Cut Pro Pate, welches der PC-Welt bisher vorenthalten blieb. So können nun Keyframes direkt neben den Filterlisten gesetzt und manipuliert werden. Jeder Parameter lässt sich dabei zusätzlich als Rubberband direkt auf einem Clip in der Timeline darstellen. Auch alle Editing- und Trimming-Funktionen lassen nichts zu wünschen übrig und sind direkt per Tastatur erreichbar. Um alte Gewohnheiten nicht aufgeben zu müssen lässt sich die Tastatur selbstredend auch frei (um-)belegen. Außerdem wurde die lang ersehnte Szenenerkennung im Capturing-Modul integriert. Allerdings nicht zur vollen Zufriedenheit vieler Anwender. Denn Premiere Pro hält bei jeder Szene den Camcorder an. Dies ist nicht nur nervtötend sondern führt auch zu einem überflüssigen Verschleiß der DV-Geräte.

Effektvoll
Und auch die neuen Effekte können sich sehen lassen: Allen voran die die üppig ausgestattete Farbkorrektur, die nun echte Kurven und Wheels besitzt. Diese sind auch immer gleichzeitig für alle Grundfarben sichtbar. Dank einer Splitscreen Funktion können Vorher-/Nachhervergleiche direkt am Kontrollmonitor durchgeführt werden. Profis werden die Integration von Vektorskop und Waveformmonitor begrüßen, die nun eine durchgehende Farbkontrolle ermöglichen. Auch die übrigen Effekte lassen nichts zu wünschen übrig und werden mittlerweile dank Subpixel-Rendering durchgehend in professioneller Qualität ausgegeben. Sollte ein spezieller Effekt fehlen, können sogar viele After Effects Plugins von Drittanbietern direkt eingebunden werden.

Die Audiosektion ist ebenfalls kaum wiederzuerkennen. So wurde nun echte 5.1-Unterstützung mit Raummix-Funktion integriert. Enthalten ist sogar eine Testversion eines AC3-Encoders, die jedoch nur dreimal benutzt werden kann. Danach muss man die Vollversion für ca. 350 Euro lizensieren. Erstmals werden auch Profi-Soundkarten unterstützt, indem Premiere Pro ASIO-Treiber ansteuern kann. Dazu können VST-Plugins eingebunden werden, die im Audiobereich den professionellen Standard darstellen.

Kurz gesagt: Vom Funktionsumfang und der Bedienung her gesehen ist Adobe mit Premiere Pro ein Volltreffer gelungen. Für Editing und und leichte Compositing-Aufgaben stellt das Programm eine nahezu optimale Umgebung bereit. Für speziellere Aufgaben wie DVD-Authoring, Compositing oder Audionachbearbeitung integriert sich das Programm auch perfekt in den Workflow der anderen Programme aus dem eigenen Haus (After Effects, Encore, Audition, Photoshop). So können viele Dateien und Projektinformationen zwischen den Applikationen transparent ausgetauscht werden.
Echtzeit?
Leider wurde unsere Euphorie durch die versprochenen Echtzeitfähigkeiten gebremst. Zwar ist Premiere in der Lage, alle Effekte auch direkt über die Firewire-Karte in voller Qualität auszugeben, jedoch lag die Performance des Programms deutlich unter allem, was die Konkurrenz zu bieten hat.
Selbst ohne Firewire-Vorschau gelang es uns nicht auf einem Pentium 4 mit 2 Ghz und 512 MB-Rambus auch nur einen Effekt in Echtzeit ohne Ruckeln zu erzeugen, wenn als Ausgabeoption die beste Bildqualität eingestellt war. Während Edius oder Edition auf diesem 2 GHZ-System bereits zwei Videospuren mit einigen Effekten noch in Echtzeit abspielen können, schaffte Premiere Pro hier noch nicht einmal eine Farbkorrektur. Und selbst auf einem 3GHz-Boliden war bereits nach wenigen Effekten Schicht im Schacht.
Das ist besonders verwunderlich, da die neue Version sowohl einen beschleunigten DV-Codec von MainConcept sowie einen YUV-basierten Workflow besitzt. Eigentlich sollte das Programm daher deutlich schneller sein, als frühere Premiere-Versionen. In der Realität liegt die Performance jedoch höchstens auf dem Niveau der Vorversion, wenn nicht sogar subjektiv etwas darunter.
Ohne dies bestätigen zu können, hegen wir einen Verdacht, der sich auch als Gerücht in der Branche hartnäckig hält: Die Effekte von Premiere werden nach wie vor in RGB berechnet, weil Adobe noch keine Zeit hatte, diese auf YUV zu optimieren. Dies würde zumindest den ausgebliebenen Performancesprung erklären. Denn bei jedem Effekt muss das Videobild nun von YUV nach RGB und vice versa gewandelt werden. Falls dem wirklich so ist, bleibt immerhin die Hoffnung, dass Premiere Pro in Zukunft noch einmal deutlich in der Performance zulegen kann.
Ein Blick ins SDK des Programms unterstützt übrigens diese Theorie: Dort wird nach wie vor zwingend verlangt, dass jedes Plugin RGB beherrschen muss, YUV ist dagegen optional.

Diese niedrige Performance schlägt sich natürlich auch auf das gesamte Bedienungsgefühl des Programms nieder. Während man in Edius oder Edition butterweich durch die Timeline scrubben kann, wirkt die Ansprache des Interfaces bei Premiere nicht sonderlich direkt. Selbst Vegas, das im rechenintensiveren RGB-Farbraum arbeitet fühlt sich hier deutlich responsiver an. Mit schnelleren Systemen wird sich dieser Effekt sicherlich etwas reduzieren, allerdings bietet die Konkurrenz auf solchen Rechnern dann weiterhin deutlich mehr Echtzeit-Effekte.
Fazit:
Premiere Pro besitzt dagegen schon praktisch alle Funktionen, die man sich als Cutter wünschen kann: Das Interface, die Audiosektion und der Berg an brauchbaren Effekten lassen wirklich kaum noch Wünsche für die perfekte Schnittumgebung offen. Allerdings kann die Performance des Programms noch nicht überzeugen. Die uns für diesen Test vorliegende Version 1.0 bot in dieser Hinsicht ein eher trauriges Bild. Es gibt zwar neue Anpassungen der DV-Storm oder der Matrox RT-Serie an Premiere Pro. Jedoch zerstören die beiden Hersteller wieder einmal mit ihren Treibern den fanstastischen Workflow von Premiere, indem Sie für ihre Effekte eigene Fenster und Oberflächen nutzen. Schade, aber vielleicht setzt an diesem ewigen Kritikpunkt noch irgendwann ein Umdenken ein. Denn der Hersteller, der Premiere um integrierte und stabile Echtzeiteffekte erweitert, könnte damit den Traum von einer perfekten Schnittumgebung Wirklichkeit werden lassen. Vielleicht schafft Adobe dies jedoch auch ohne fremde Hilfe mit der nächsten Version. Denn was Echtzeit-Effekte und flüssiges Arbeiten angeht, spielen Pinnacle Edition und Canopus Edius momentan in einer komplett anderen Liga.
Adobe Premiere Pro |
+kompletter Funktionsumfang |
+Professioneller Workflow |
+Sehr gute Audiofunktionen |
-Geringe Echtzeitfähigkeiten |
-Hohe Hardwareanforderungen |
-Nur unter Windows XP lauffähig |



















