Perspektive und Bildachsen
Die Größe des Ausschnitts entscheidet also darüber, wieviel in einer Einstellung von der Filmwelt zu sehen ist. Außerdem muss jedoch zwischen den Inhalten gewichtet und das Bild möglichst interessant und ansprechend gestaltet werden. Hier kommt es darauf an, wo die Kamera platziert wird, denn dies legt die Perspektive auf das Gesehene fest. Je nachdem, welche Aufnahmeperspektive gewählt wird, werden verschiedene Achsen das Bild dominieren. Viele Kompositionen sind dabei deutlich interessanter als unsere zu Demonstrationszwecken recht statische Abbildung 12 – sie besitzt zwar Tiefe, zeigt aufgrund des symmetrischen Aufbaus aber wenig Gewichtung zwischen den Bildbereichen auf. Doch gerade um diese zu erreichen sind Bildachsen ein wichtiges Mittel, denn sie verbinden beziehungsweise trennen Bildelemente und Ebenen (wie Vorder- und Hintergrund), lenken den Zuschauerblick und sorgen für Dynamik (siehe Abbildung 13). Vor allem bei einem Medium wie Video, welches aufgrund seiner großen Schärfentiefe ein sehr flaches Bild produziert, sollten Bildachsen als Gestaltungsmittel Beachtung finden. Dabei müssen die Achsen keineswegs immer physikalisch im Bild vorhanden sein (durch Gebäude, Straßen etc.) Auch beispielsweise durch die Anordnung von Personen in einem Raum können Achsen entstehen. Besonders spannend wird es, wenn Bewegungen entlang von vor allem diagonalen Linien verlaufen.
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Bild 13: Hier wurde der Bildausschnitt so gewählt, dass die Bildachsen den Blick auf den Dom in Hintergrund lenken. Die Tiefenwirkung wird durch das Schiff verstärkt, das sich entlang der Hauptachse bewegt.
Auf welcher Höhe die Kamera platziert wird ist natürlich von großer Bedeutung in diesem Zusammenhang. Frosch- und Vogelperspektive zeigen das Geschehen auf ungewohnte Weise (siehe Abb. 10 und 11), sollten jedoch – ebenso wie der „dutch angle“, der gekippte Bildausschnitt (siehe Abb. 9) – mit Vorsicht genossen werden. Sinnvoll eingesetzt werden Aufnahmen aus diesen ungewöhnlichen Perspektiven, wenn zum Beispiel etwas aus der Sicht einer Person im Film selbst gezeigt werden soll, oder um eine besondere Stimmung zu generieren.
Ein Film, dessen Wirkung in hohem Maße auf dem besonderen Umgang mit Bildachsen und Perspektive beruht, ist „Der dritte Mann“ von Carol Reed (1949). Es ist einer der ersten Filme, in dem vielfach mit gekipptem Bildausschnitt gearbeitet wurde, was in Kombination mit der ebenfalls sehr prägnanten Lichtsetzung (große Kontraste zwischen Licht und Schatten) ein Nachkriegs-Wien gezeigt, das auf bedrohliche Weise aus den Angeln geraten scheint (siehe Abbildung 14). (Der Kameramann Robert Krasker erhielt für seine Arbeit übrigens einen Oscar.)

Bild 14: Eine der prägnantesten Einstellungen in Carol Reeds „Der dritte Mann“ mit auffällig gekipptem Bildausschnitt. (Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Kirch Media GmbH.)