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Fokus Indie-Film : Mini-Doku-Serie JUGENDLAND - Produzent C. Heymann über Authentizität und Technik

von Do, 11.März 2021 | 4 Seiten | diesen Artikel auf einer Seite lesen

 Einleitung
 JUGENDLAND - Kurzinfo
 Prinzessinnenbad in Niedersachsen?

Viruswarnung

Die Mini-Doku-Serie JUGENDLAND von Christoph Heymann porträtiert junge Menschen, die nicht mehr zur Schule gehen, aber auch keine Aus- oder Fortbildung machen. Frisch volljährig verleben Timo, René und Sarah ihre Tage mit anderen "Dagebliebenen" in einem Niedersächsischen Dorf auf dem Dorfplatz oder in der nahegelegenen Kiesgrube.



JUGENDLAND - Kurzinfo



Christoph Heymann und sein Kameramann Jannis Keil haben René an einer Bushaltestelle kennengelernt, der sich vor der Kamera mit seinen Vorstrafen brüstet. Nach Einbruch, Körperverletzung und Drogendelikten darf er sich keine weiteren Fehltritte erlauben, sonst droht ihm eine Gefängnisstrafe. Da er selbst wohnungslos ist, übernachtet er aktuell bei seinem Freund Timo.
Timo, der sich eigentlich vorgenommen hat, sein Leben auf die Reihe zu bekommen, ist arbeitslos und verdient sich ein Taschengeld durch kleinere Arbeiten bei seiner Großmutter.

Den Jugendlichen ist durchaus bewusst, wie ihre Lebensführung für manche erscheinen muss. "Die denken halt immer so: 'Boah, das sind Asis', aber ganz ehrlich, diese Menschen, die haben halt wirklich schlimme Sachen durchgemacht", sagt Sarah, die sechs Jahre alt ist, als das Jugendamt sie von ihren Eltern trennt. Erst lebt sie in einer Pflegefamilie, später in einer Wohngruppe. "Meine Mutter ist halt drogenabhängig", sagt sie, und Kinder könnten sich ihre Eltern nicht aussuchen.



Fast zwei Jahre lang hat Produzent Christoph Heymann die jungen Erwachsenen für JUGENDLAND mit der Kamera begleitet. Dabei führt er sie nicht vor, sondern gibt ihnen viel Raum, um sich selbst und ihre Sicht auf die Welt darzustellen. Wir hatten die Möglichkeit, ihm ein paar Fragen zu seiner Serie zu stellen...



Prinzessinnenbad in Niedersachsen?



Als ich JUGENDLAND das erste Mal gesehen habe, wurden bei mir sofort viele Assoziationen zu Prinzenssinenbad von Bettina Blümner geweckt. Dieser Film ist nun schon fast 15 Jahre alt und war seinerzeit ein Überraschungserfolg für eine Doku dieser Machart. Kennst du den Film überhaupt, siehst du dich irgendwie in dessen Linie oder ist JUGENDLAND komplett ohne dieses Vorbild entstanden?

Ein Kollege vom Spiegel hat Parallelen zu Kids gesehen. Prinzessinnenbad thematisiert ja auch eine ähnliche Lebensphase - ich kannte den Film nicht, hab ihn nur kurz gegoogelt. Aber es sind alles Coming-of-Age-Filme. Das Genre hatte ich jetzt zu Drehbeginn auch nicht unbedingt im Kopf. Vorbilder waren das Buch Deutschboden von Moritz von Uslar, vor allem für die Herangehensweise und dann viele Filme und Serien, die im Produktionszeitraum aktuell waren: Last Chance U, True Detektiv, Making a Murderer, Tiger King. Aber der Ausgangspunkt war die Frage: "Wer hängt auf dem Dorf noch an der Bushaltestelle rum?"



Warum ich darauf komme: Claudia Nitsche schrieb 2007 in einer Kritik zu Prinzessinnenbad: "Die Offenheit des Zuschauers entscheidet bei dieser Doku über Gut oder Böse. Jeder, der mit diesem Alltag umgehen kann, weil er ihn akzeptiert, wird Bettina Blümners Arbeit für ein Meisterwerk halten. Denn sie hat alles richtig gemacht, kein einziger Fehler. Nur schlucken muss man das schon alleine."
Ich denke, dass man dies 1:1 auch über JUGENDLAND schreiben könnte, und dass euer Film von einer entwaffnenden Authentizität geprägt ist. Wie gelang diese unverstellte Selbstdarstellung der Protagonisten vor der Kamera? Wie habt ihr es geschafft, dass die Kamera immer so nah dran sein konnte, ohne die Situation künstlich werden zu lassen?


Wenn sie das auch über JUGENDLAND schreibt, freu ich mich. Auf Augenhöhe zu erzählen und dabei offen zu sein für die Menschen und das was sie tun. Wir haben sehr viel Zeit vor Ort verbracht. Wir waren ab Sommer 2018 regelmäßig da. Die Protagonisten René, Sarah, Timo haben wir ernst genommen mit ihren Wünschen, Zielen und Träumen. Und auch mit ihren Fehlern. Aber wir haben nicht über sie geurteilt. Ich denke, dass alle drei das sonst sehr oft erleben. Von Familie, Freunden und auch von allen Institutionen im Dorf.

Die Nähe war auch möglich, weil ich immer mit Jannis Keil zusammengearbeitet habe. Sie wussten also auch, dass sie uns wiedersehen. Und das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Faktor, dass auch die Menschen mit denen wir drehen wissen, auf wen sie sich da einlassen. Die Arbeit im 2er Team war für die Drehsituation immer von Vorteil. Wir konnten dadurch besser ein Teil von den Gruppen werden und sind oft nicht sonderlich aufgefallen. Trotzdem waren wir natürlich immer auch etwas besonderes, dass sich Medien für sie interessieren, da waren wir dann immer „das Kamerateam“.



Eine Frage des Formats? / Das Setup


4 Seiten:
Einleitung / JUGENDLAND - Kurzinfo / Prinzessinnenbad in Niedersachsen?
Eine Frage des Formats? / Das Setup
Schnitt und Ton / Geht noch was?
  

[1 Leserkommentar] [Kommentar schreiben]   Letzter Kommentar:
eliostamm    17:13 am 12.3.2021
Das sind super Beiträge, auch wenn es weit weniger Kommentare dazu gibt als bei Kamera-Artikeln. Kompliment. Freue mich, mir die Serie bald anzusehen. Dok-Filme profitieren immer...weiterlesen
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