Vor ein paar Jahren wäre unsere Begeisterung vermutlich noch weitaus enthusiastischer ausgefallen, doch auch heute darf man das ambitionierte Projekt sicherlich bewundern: Die Octopus Camera soll eine Kamera werden, die aus frei verfügbaren Komponenten zusammengesetzt wird. So bildet das Herz ein Intel NUC-Board, das einem einfachen 8 Kern PC entspricht. Das Betriebssystem wird eine Linux-Variante sein und bei den Sensoren soll man schon zum Start die Auswahl zwischen verschiedenen Typen bekommen. Das Top-Modell setzt dabei auf einen 5K-CMOSIS Global Shutter FullFrame-Sensor (CMV20000). Sowohl das NUC-Board als auch die Sensoren sollen austauschbar werden, wodurch die Kamera recht updatefreundlich werden soll.
Die Maße (110 x 110 x 110mm, <1kg) erinnern dabei entfernt an Red/Kinefinity/Z-Cam Modelle und belegen, dass man mit einer unergonomischen Kastenform im Cinebereich nichts falsch zu machen glaubt. Aufgezeichnet wird wahlweise in CinemaDNG, Lossy Raw oder 10 Bit HEVC.
All dies scheint aufgrund der Hardware prinzipiell plausibel möglich und sollte auf modernen Intel CPUs zusammen mit der Quick Sync-Engine ohne großen Energieeinsatz zu stemmen sein. Doch unser großes "Aaaber" lautet: Wir denken, dass hier ein weiteres mal der Entwicklungsaufwand der Software-Ebene deutlich unterschätzt wird.
Eine NUK-Platine an einem Akku dazu zu bringen, unter Linux einen Videostrom von einem Sensor abzunehmen, macht noch keine kommerziell erfolgreiche Kamera aus. Wenn man den holprigen, fünfjährigen Weg verfolgt hat, den es beispielsweise bei Blackmagic gedauert hat, um eine runde Kamera-Oberfläche zu entwickeln, der ahnt, dass der Schritt vom lauffähigen Hardware-Prototyp zu einer praktisch nutzbaren Kamera extrem groß ist.
Ein ähnliches Konzept versprach schon die Cinemartin 8K-Kamera, die letztlich peinlich gescheitert ist. Oder auch die viel zu viel versprechende Craft-Kamera.
Bemerkenswert konstant gelingt dagegen die Entwicklung bei Apertus/Axiom, die jedoch nur mit relativ kleinen Schritten voranschreitet. Und natürlich bei Magic Lantern, die jedoch ebenfalls der Entwicklung großer Kamerahersteller schon deswegen hinterherhinken, weil die stabil nutzbare Hardware in der Regel ein paar Generationen auf dem Buckel hat, bis alle Modifikationen letztlich rund laufen.
Für diese Projekte gilt, dass sie in erster Linie für Bastler interessant sind, die an ihrer Kamera viel herumbasteln (und lernen!) wollen. Finanziell kommt dagegen eine einsatzfertige Apertus Axiom Beta deutlich teurer als eine Systemkamera oder eine Blackmagic Pocket 4K mit SpeedBooster, die zudem im Betrieb auch ohne größere Basteleien und mit weitaus mehr Komfortfunktionen aufwarten können. Einzig in speziellen Nischenbereichen (wie bei der Octopus Camera z.B. der monochrome Sensor) kommen solche "Bastel-Kameras" bei Produktionen auch real zum Einsatz.
Im Sommer 2020 soll es auf jeden Fall so weit sein, dass man die ersten Octopus Cameras dann für einen noch unbestimmten Preis kaufen können soll. Wobei hier dann wahrscheinlich das letzte, typische Problem zum Stolperstein wird. Für Hersteller von Kamera-Kleinserien sind Sensoren meistens schon im Einkauf teurer als der Preis für eine komplette Kamera mit dem gleichen Sensor im Elektroeinzelhandel. Und bis zum Sommer 2020 dürften wir sicherlich bereits erste 4K-Oversampling-FullFrame-Modelle mit 10 Bit interner Log-Aufzeichnung von Nikon, Panasonic und anderen Verdächtigen deutlich unter 2.000 Euro im Markt sehen.