Eine Doku mit Tiefgang, die "zu gut" aussieht, und auch noch im Fernsehen läuft? Gibt´s nicht alle Tage. "Surf on, Europe" kratzt an der Oberfläche der typischen Klischees, die mit diesem Sport verbunden sind, indem einige Surfer-Leben abseits des Mainstreams vorgestellt werden. Auch die Freiheit, die mit dem Surfen gern assoziiert wird, ist ein zentrales Thema dabei, denn diese droht zunehmend auf der Strecke zu bleiben. Und so ist der Film, der auf dem diesjährigen Filmfestival Max Ophüls Preis seine Premiere feierte und aktuell in der WDR-Mediathek zu sehen ist, nicht zuletzt auch eine Art Liebeserklärung an ein offenes Europa.
Produziert wurde er von Constantin Gross und Lukas Steinbrecher ( VeyVey Films) über mehrere Jahre aus einem VW-Bus heraus – gedreht wurde u.a. in Spanien, Frankreich und Irland – mit einer ständig sich weiterentwickelnden Technik und beachtlichem Durchhaltevermögen. Hauptkamera war dabei über weite Strecken die Blackmagic URSA Mini Pro G2, zum Teil wurde auch mit der Canon C70 gedreht. Im und auf dem Wasser kamen die Panasonic GH5 und die Canon R5 zum Einsatz.
Wir wollten von Constantin und Lukas wissen, wie man in 6 Grad kaltem Wasser bei 3 Meter Welle filmt und aus über 450 Stunden & 75TB unterschiedlichstes Material eine so ansehnliche und ebenso inhaltlich interessante Doku webt. Außerdem geht es im Interview natürlich etwas näher um die verwendete Technik, um die Finanzierung eines solchen Projekts und auch darum, inwieweit KI-Techniken bei der Dokumentarfilmproduktion von nutzen sein könnten (und dürften).
Gesucht: Mehr Story im Actionsport-Film
Erstmal kurz zu euch - wie seid ihr zum Filmemachen gekommen?
Wir sind zusammen zur Schule gegangen und haben mit 16 die ersten Surf-Urlaubsvideos mit einem DV-Camcorder gefilmt. Danach haben wir unabhängig voneinander "Digital Media Production” bzw. “Multimedia Production” studiert und uns erst nach dem Studium und 1-2 Jahren Freelance-Arbeit wiedergetroffen. 2014 haben wir uns dann mit einem Fotorucksack, zwei Canon DSLRs und einem Satz Linsen mit VeyVey Films selbstständig gemacht.
Also seid ihr selbst Surfer, sonst könnte man einen solchen Film wahrscheinlich nicht machen... Wußtet ihr von anfang an, welche Art Film es werden sollte oder hat sich das nach und nach entwickelt?
Wir sind mit Surf-Filmen im Kinderzimmer aufgewachsen und waren immer beeinflusst von der Ästhetik und dem Editing von Action-Sport-Filmen – dynamische Bilder, auf den Beat geschnitten und sehr visuelles Storytelling.

Gleichzeitig haben wir immer nach mehr Story in Actionsport-Filmen gesucht. Ich glaube, der Wunsch, einen Surffilm zu drehen, der auch Menschen erreichen kann, die nicht surfen, war immer in meinem Hinterkopf. Wir sind in einer Generation aufgewachsen, für die die EU mit Frieden, offenen Grenzen und Reisefreiheit immer eine Selbstverständlichkeit war – 2016 wurde das dann mit Brexit und nationalistischen Tendenzen in Europa das erste Mal fundamental in Frage gestellt, und irgendwie entstand die Idee, einen Hybrid-Film zu schaffen, der die Freiheit Europas von seiner schönsten Seite zeigt und doch die Augen nicht vor den allgegenwärtigen politischen Diskussionen verschließt. Surfen ist letztendlich nur das visuelle Medium, um über andere Themen zu sprechen – wie wirken sich die sehr abstrakten Diskussionen über z.B. neue Grenzen in Nordirland auf Menschen aus, die direkt gar nichts mit Politik zu tun haben? In diesem Fall auf Surfer.
Wie lange habt ihr an dem Film gearbeitet?
Zu lang :-D
Die erste Idee hatten wir Ende 2016. Also vergingen circa 7 Jahre von der ersten Idee bis zur Premiere auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis letzten Januar. 2017 haben wir das erste Konzept entwickelt und einen Testdreh in Frankreich gemacht, um zu sehen, ob die Idee überhaupt funktioniert.

2018 wurde das Projekt dann in der Documentary Campus Masterschool entwickelt. Hier vielleicht eine kurze Empfehlung: Die Documentary Campus Masterschool ist so ziemlich das Beste, was ich im Bildungssektor erlebt habe – wir haben ehrlich gesagt mehr gelernt als im kompletten Studium und ein super Netzwerk knüpfen können. DocCampus endete mit einem Pitch auf der DOK Leipzig, wodurch dann der WDR in die Preproduktion eingestiegen ist. Bis alle Protagonists gecastet waren, die Stories und Verträge standen, war dann Februar 2020. Dann kam Corona, und wir mussten z.B. in Spanien komplett neu beginnen, auch in Frankreich haben wir drei Drehs ad acta gelegt und 2021 nochmal neu gestartet.
Der Film wurde also teilweise vom WDR finanziert?
Der Film war eine Koproduktion mit dem WDR, der uns bereits in der Vorproduktion unterstützt hat. Leider ist uns eine Filmförderung durch Verfahrensfehler abhandengekommen, und so haben wir uns entschieden, den Rest quer zu finanzieren. Geplant hatten wir mit 3 Drehs pro Location – ich glaube, am Ende waren es 26 Trips über 6 Jahre.
Wir haben uns auch bewusst entschieden, den Film trotz mehrerer Angebote von Produktionsfirmen komplett selbst zu produzieren. So konnten wir zwar die Freiheit haben, finanziell komplett unsinnige Entscheidungen zu treffen, und z.B. nach 1 1/2 Jahren Dreh und Masterinterview in Frankreich nochmal neu zu starten – andererseits hatten wir auch viel mehr Arbeit und ein kleineres Budget. Da hat ein VW-Bus auf jeden Fall geholfen, die Hotelkosten zu senken ;-)
Wieviel Technik passt in einen VW-Bus?
Soweit ich weiß, hattet ihr mehrere verschiedene Kameras im Einsatz – welche denn genau, und weshalb?
Da der Film über einen so langen Zeitraum gedreht wurde, haben wir die Kameras im Produktionsprozess mehrmals upgegradet, sehr zum Horror des Coloristen. (An der Stelle nochmals einen riesigen Dank für die super Arbeit und Unterstützung an Swen und Jonas von WeFadeToGrey.)
Konzeptuell muss man unseren Dreh in zwei Bereiche teilen: Den situativ-dokumentarischen Dreh und den ästhetischen “Sport”-Dreh.
Ganz am Anfang hatten wir noch eine Sony FS5 mit externem Recorder – der Großteil des Films ist aber auf der Blackmagic URSA Mini Pro G2 gedreht, ein Teil am Ende mit der Canon C70. Die URSA hat bei genug Licht nach wie vor ein unglaublich schönes Bild, und Blackmagic RAW bietet ein gutes Verhältnis von Qualität und Speichergröße. In den situativen Szenen ist eine große Schulterkamera, mit der man schnell reagieren kann und lange Takes mitnehmen kann, unersetzlich. Für das dokumentarische Drehen ist es wichtig, eine Schulterkamera mit Sucher und den richtigen Knöpfen zu haben, mit der man auf wechselnde Situationen reagieren kann und gleichzeitig auf Eye-Level der Protagonist:innen ist.

Der Ton lief immer extern, da wir teils 4 Funkstrecken in Betrieb hatten. Daher waren auch die Tentacle Sync für Timecode essentiell, gerade wenn mit zwei Kameras gedreht wurde. Das Tonequipment wäre nochmal eine Rubrik für sich; am Ende haben wir auf einem Wisycom System gedreht…
Für die Surfaufnahmen war Slow-Motion wichtig. Die allerersten Wasseraufnahmen sind 2017 noch mit einer Canon 5D Mark III und Magic Lantern RAW entstanden, davon ist aber kein Shot im Film gelandet. Bei 2-3 Meter Welle in einem dicken Neoprenanzug mit Flossen über ein glitschiges Riff zu laufen, um dann 20 Minuten gegen die Wellen rauszuschwimmen, ist anstrengend genug – Aufhänger von Magic Lantern sind dann das Letzte, was man braucht. Zum Glück läuft unser heutiges Equipment stabiler.
Als zweite Wasserkamera kam eine GH5S zum Einsatz, danach folgte die R5.
Zum Glück spielte das Overheating nach dem Softwareupdate irgendwann keine Rolle mehr. Das ist ein paar Mal im Wasser vorgefallen, bei langen Aufnahmen ohne große Pausen zwischendurch, und das möchtest du wirklich nicht haben, wenn du draußen im Wasser bist.

Die Wasserkameras doppelten auch immer als Gimbalkamera an Land.
Drohnen: Phantom 4 Pro und Mavic 3 Pro – alles Größere wäre in einem kleinen Team von 2-3 Leuten schwer handlebar gewesen.
Ehrlich gesagt waren wir mit 2-3 Kameras, Wassergehäuse, Drohne, Stative, Gimbal, Lichtsetup, Tonequipment, Flossen, Neoprenanzügen etc. sowieso schon ziemlich am Limit des Machbaren. Sowohl unser Übergepäck als auch der Stauraum im VW Bus ist aus allen Nähten geplatzt.
Kleine Randnotiz: Ihr hattet vor einiger Zeit einen Artikel über DGO Sensoren - uns ist dann aufgefallen, dass wir unbewusst mit den zwei Kameras drehen, die DGO Sensoren haben - C70 & URSA Mini Pro G2… ich denke in unkontrollierter Umgebung ist Dynamik einfach superwichtig für ein cinematisches Bild.
Was waren denn eure wichtigsten Brennweiten?
Dokumentarisch-situativ: Canon EF 24-70 2.8 ii – das Arbeitstier. Das Objektiv musste zwar nach der Produktion in den Service, weil Sand aus halb Europa im Getriebe war, ist aber immer noch in Betrieb.

Surf-Aufnahmen: mit Stativ von Land aus hatten wir das Sigma 150-600mm mit 1.4er Telekonverter an der URSA, was mit Crop dann effektiv 1200mm Brennweite ergibt.
Im Wassergehäuse: Canon 24-70 2.8 ii und 16-35 2.8 ii
Luftaufnahmen: Erst Phantom 3, dann Phantom 4, dann die Mavic 3 Pro - hier hat es sogar ein Shot von der qualitativ eigentlich viel zu schlechten Zoom-Kamera in den Film geschafft. Mit genug Licht und dem richtigen Grading funktioniert das erstaunlich gut.
Weitere Linsen waren Canon EF 70-300 4-5.6 L | Canon 50mm 1.4 | Canon 100mm 2.8 L | Sigma ART 18-35 1.8 | Sigma ART 24-70 2.8
Worauf habt ihr bei der Bildästhetik besonders geachtet?
Eine Kritik zu unserem Film hat geschrieben, der wäre “ein bisschen zu schön” für einen Dokumentarfilm, das würde “nicht zum inhaltlichen Anspruch passen” - was für ein schönes Kompliment!
Für uns sind schöne Bilder und inhaltliche Tiefe kein Widerspruch, es war von Anfang an das Konzept des Films, mit diesen Bildebenen zu spielen: Den fast werbigen Surf- und Landschaftsaufnahmen und den direkten, situativ gedrehten Szenen nah an den Protagonist:innen.

Surfen ist Freiheit, aber auch Eskapismus: man vergisst alles um sich herum und ist voller Endorphine. Das wollten wir auch darstellen, diese Momente erleben alle unsere Protagonist:innen. Gerade z.B. an der Küste Spaniens bildet dieser Ästhetikwechsel eine Realität ab: Wunderschöne Strände mit wohlhabenden Touristen, die in den gleichen Wellen surfen, in denen Migranten ertrinken.
Diese Parallelität wollten wir auch auf der Bildebene abbilden.

Ab 2022 hat Noah von Thun uns als DoP begleitet, mittlerweile ist er fester Bestandteil von VeyVey Films. Auch für Noah war es eine spannende Herausforderung, am Set zwischen den sehr unterschiedlichen Drehsituationen zu switchen. Während man in den situativen Momenten alles für den Schnitt "liefern" muss und bewusst die Szene auflöst, kann man bei den ästhetischen, konzeptuellen Szenen auf die Schnittbilder verzichten und voll in die ästhetische Welt eintauchen.
Wie habt ihr die Wasseraufnahmen realisiert? Ich stelle mir das unheimlich schwer vor - alles ist im Fluss, man hat wenig Kontrolle, gerät unter Umständen auch mal in den Weg…
Das Faszinierende an Wasseraufnahmen ist, dass es keine Abkürzung gibt. Man steckt die Kamera in ein Unterwassergehäuse, zieht sich kurze Flossen an, in Irland einen dicken Neoprenanzug und schwimmt gegen die Wellen hinaus auf das Meer.
Man sollte definitiv etwas Erfahrung im Surfen mitbringen, denn man muss viel antizipieren: die Welle, das Licht, die Strömung, die Bewegungen der Surfer:innen und deren Linienwahl auf der Welle.
Du musst die Welle verstehen und dich so positionieren, dass du sozusagen versetzt zum Surfer oder zur Surferin schwimmst. Die Tretbewegungen der Flossen müssen dabei vom Oberkörper “entkoppelt” werden, ähnlich wie beim “Steadycam-Walk” – halt nur im Wasser.

Dabei bekommt man alle großen Wellen auf den Kopf, wird genauso durchgewaschen wie die Surfer, und gleichzeitig zieht die Strömung oft dahin, wo man nicht sein will. Körperlich ist das sehr anstrengend und es gibt extrem viel Ausschuss – manchmal hat man nach 1-2 Stunden im Wasser vielleicht ein paar Sekunden gutes Material. Das Ganze hat ein analoges Feeling, weil man erst beim Sichten wirklich weiß, ob alles geklappt hat. Es muss viel zusammenkommen für eine gute Aufnahme. Dafür sitzt man dann abends manchmal jubelnd vorm Laptop und feiert einen guten Shot.
Die dramaturgische Schere
Apropos Laptop, wie seid ihr den Schnitt und die Postproduktion angegangen? Es gab bestimmt viel Material, dazu die parallelen Erzählstränge und den langen zeitlichen Rahmen...
Wir haben 450 Stunden Material – was aber auch an den Wasser- und Surfaufnahmen liegt, die alle in 100-200 fps gedreht wurden.
Über die Jahre wurde kontinuierlich geschnitten, Szenen angelegt, Interviews transkribiert, erste Selects erstellt. Wir haben lange nach einem Editor oder einer Editorin gesucht, der oder die das Material nativ schneiden könnte – in Französisch, Spanisch, Englisch und Deutsch. Da sich die letzten Drehs wegen Covid aber immer wieder verschoben haben, konnten wir nie einen klaren Postproduktionszeitraum nennen.
Letztendlich haben wir den Film selber geschnitten. Wir haben für jedes Land einen 2h Rohschnitt erstellt, danach wurden die Erzählstränge ineinander verwoben. Dieser Rohschnitt war dann die Grundlage, um mit einer externen Dramaturgin an der inhaltlichen Struktur zu arbeiten. Mir ist irgendwann klar geworden, dass wir nicht nur einen, sondern eigentlich vier Filme gedreht haben - Surf on, Europe! hatte bis in den Rohschnitt noch einen vierten deutschen Handlungsstrang, der komplett recherchiert, gedreht und geschnitten wurde. Die komplette Story fiel dann schweren Herzens der dramaturgischen Schere zum Opfer.

Nachdem ihr ja mit verschiedenen Kameras gedreht habt (außerdem an Land, unter Wasser, aus der Luft), wie anspruchsvoll war das Grading und wie seid ihr da vorgegangen?
Da wir eine Kinotour angestrebt haben, wurde der Film bei WeFadeToGrey auf Leinwand gegraded – ein absoluter Traum. Swen Linde von WeFadeToGrey ist selbst begeisterter Surfer und hat uns sehr unterstützt. Bei den vielen Kameras, Locations und Codecs haben die Jungs auf ihre jahrelange Erfahrung zurückgegriffen und vermutlich trotzdem das ein oder andere Mal geflucht.
Konzeptuell hat jedes Land eine eigene Farbstimmung.
Wie hat es sich denn ergeben, dass Euer Film sogar im Kino gezeigt wurde?
Mit der Surffilmnacht hatten wir einen super Partner für die Distribution im Kino - Eventkino funktioniert, und die Surfcommunity hat den Film sehr gut aufgenommen. Darüber hinaus gab es einzelne reguläre Vorstellungen in Programmkinos, vor der Europawahl Events über das Europäische Parlament und weitere Sonderveranstaltungen. Die französische Tour ist gerade vorbei, und wir planen weitere Screenings im Kino auf politischen Kinoveranstaltungen mit begleitender Diskussion oder im Bildungskontext. Momentan wird pädagogisches Begleitmaterial erstellt, um den Film als Diskussionsgrundlage in Schulen verwenden zu können.
Aktuell ist der Film in der WDR Mediathek zu sehen - freut uns sehr, dass es so ein besonderer Film wie eurer ins TV schafft!
Das freut uns auch :-)
Es gibt da ja teils strenge Auflagen, mit welchen Kameras gedreht werden muss und in welchen Formaten. Wie war das bei euch?
Im Film gibt es sogar eine Handyaufnahme, die aber inhaltlich so wichtig für das Storytelling ist, dass die Bildqualität in dem Fall irrelevant ist. Da die gesamte Postproduktion bei uns lag, musste nur die finale Datei durch die technische Abnahme kommen, da kommt es mehr auf die richtigen Levels an, als auf die Kameras.
Wie geht es weiter bei euch, welches sind eure nächsten Projekte?
Wir veröffentlichen im Oktober eine Webserie mit Tim Elter, der bei Olympia für Deutschland im Surfen angetreten ist, und arbeiten an einer semi-fiktionalen Docu-Drama-Serie über Private Banking. Nach 6 Jahren mit Surf on, Europe! freuen wir uns gerade auch, schnelllebigere Produktionen umzusetzen und sind offen für Kollaborationen. Wir haben immer auch Documercials und Werbung produziert und lieben es, pure Bildästhetik mit relevantem Storytelling zu verweben, um Formatgrenzen zu dehnen.
Abschließend noch ein ganz anderes Thema: Wie steht ihr zu den aufkommenden KI-Tools, mit denen man beispielsweise seine Bilder nachträglich ein bißchen aufräumen kann, etwa störende Details entfernen, oder vielleicht ein paar Frames künstlich dranrechnen, damit ein Schnitt weniger abrupt ausfällt. Was meint ihr, wäre sowas OK bei Dokumentationen?
Haha, gute Frage. Wir haben am Ende der Postproduktion z.B. viel mit StorytoolkitAI gearbeitet. 15h Interviews in 4 Sprachen transkribieren und dann semantisch durchsuchen zu können, ist ein Traum. So konnten wir hier und da noch das ein oder andere Statement finden, das bei der ersten Auswahl nicht beachtet wurde.
Im Film gibt es außerdem Radiobeiträge als Stilmittel, die wir geschrieben haben. Einerseits um pointiert Kontext zu geben, andererseits weil wir damit Lizenzkosten von z.B. BBC-Beiträgen umgehen. Dabei orientieren sich die Beiträge eng an echten Zeitungsartikeln.
Um den Effekt im Schnitt auszutesten, haben wir im Roughcut mit KI-Stimmen gearbeitet und erste Layouts erstellt. Für den finalen Schnitt haben wir dann alles nochmal “richtig” einsprechen lassen. Als Endresultat stehen anstatt der Stimm-KI jetzt Sprecher bei den Radiobeiträgen; im Film würde man den Unterschied vermutlich nicht merken.
Im Rohschnitt gab es auch eine Szene, in der sich ein Protagonist versprochen hatte und zwei Wörter vertauscht waren. Das könnte man durch geschicktes Editing lösen oder indem man das fehlende Wort mit einer Stimm-KI generiert. Wir haben uns für “traditionelles” Editing entschieden, das Resultat wäre auch hier dasselbe.
Ich denke, am Ende geht es um die Intention und die Integrität als Filmemacher:
Was will ich zeigen, und verhalte ich mich mit dem Gezeigten, dem Publikum und den Protagonist:innen gegenüber integer?
Bei der Bildkorrektur: Entferne ich nur eine störende Stromleitung im Hintergrund oder z.B. ein Wahlplakat, das Kontext geben würde? Kaschiere ich ein gelbes Auto im Hintergrund im Grading, um die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, oder entferne ich es komplett via KI? Man sollte hier von Fall zu Fall entscheiden. Wir zeigen ja nie die “objektive” Realität: Wir framen, schneiden, emotionalisieren und mischen uns die Realität so, dass sie unsere Geschichte erzählt. Das passiert, sobald man eine Kamera in die Hand nimmt, ob man will oder nicht.
Bei Text ist das “Problem” dasselbe: Wenn ihr unser Interview nicht 1:1 veröffentlicht, sondern noch hier und da kürzt oder umformuliert, damit es dem Stil eurer Publikation entspricht, ist das Wichtigste nicht, ob hier und da ein Wort dazugeschrieben wird, sondern ob ihr mir das Wort im Mund verdreht oder nicht. Integrität und Transparenz sind hier wichtig. Wer bösartig etwas faken will, kann das schon lange, auch ohne KI.

SURF ON, EUROPE!
In der WDR-Mediathek
(noch bis zum 5.8.2025)
A VEYVEY FILMS production
in co-production with WDR
Directed, produced and edited by Constantin Gross and Lukas Steinbrecher
Director of photography Noah von Thun
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