Vorab erstmal: Dies ist kein Film der vornehmlich in DV oder HDV gedreht wurde - auch wenn es videoähnliche Sequenzen im Film gibt - sein experimenteller Anspruch an Form und Inhalt sollten Grund genug sein, sich mit ihm hier zu beschäftigen. Achja, hier wird übrigens auch keine Inhaltsangabe geleistet - wer sich hierfür interessiert, der findet gute Infos auf den Promo-Seiten des Films und über Gooogle. So, nachdem jetzt geklärt wurde, worum es alles nicht geht, worum geht es eigentlich ?
Dieser Text stellt die Frage nach dem Stellenwert von Authentizität in dem experimentellen Dokumentarfilm Brinkmanns Zorn, und zwar ohne eine 200-seitige Ausführung zum Thema: "Was ist Authentizität?" leisten zu müssen, um mit diesem Begriff "umgehen" zu dürfen. Eines ist bei dieser Frage jedenfalls sicher, wie auch immer der einzelne Authentizität für sich definieren mag: Brinkmann selbst war in seinem Schreiben stets auf der Suche nach der Herstellung des "Jetzt" und des "Authentischen" - in wieweit dies eine lohnende Aufgabe für einen Film zu und mit Brinkmann (Audiospur) ist, das bleibt Stoff für Diskussionen.
Und somit befindet man sich bereits mitten im Dilemma bei der Besprechung dieses Films, mit dem sich das gesamte deutschsprachige Feuilleton mal mehr mal weniger offen eingestanden konfrontiert sieht: Wie trennt man hier zwischen dem Film von Harald Bergmann und der Literatur von Brinkmann ? Dem Regisseur ist sichtlich nicht an einer solchen Trennung gelegen - hat er doch beides geschickt miteinander verwoben...
Die technischen Voraussetzungen sowie deren Umsetzung scheinen beispiellos in der Filmlandschaft zu sein - anstatt einen Film zu drehen und ihn dann, wie gewohnt, im Nachhinein zu synchronisieren, wurde hier der umgekehrte Weg beschritten: Zunächst war die Tonspur da und dann wurde der Film synchron zur Tonspur gedreht. So ungewöhnlich diese Konzept zunächst scheinen mag, in Bezug auf eine dokumentarische Annäherung an Rolf Dieter Brinkmann bietet es sich an, besteht Brinkmanns Nachlass schließlich zu einem großen Teil aus Tonaufnahmen, Klangexperimenten, Lesungen etc. die er in den 70er Jahren eingesprochen hat.
Wichtig ist hierbei die Betonung auf "dokumentarisch" oder "authentisch", denn der Film selbst gelingt grandios in der Inszenierung von Brinkmann in den 70ern - die Wiederbelebung von Brinkmanns Texten jedoch steht auf einem anderen Blatt. Doch dazu später mehr.
Reizvoll ist das Konzept des Schauspieler-auf-eine-Tonspur-sprechen-Lassens allemal. Die Kamera wurde viel freihand geführt und dies ist seit langem wieder ein Film, wo die Handkamera einen kreativ positiven Beitrag leistet, zumal auch genügend ruhige Blickwinkel eingebaut sind, die somit den Gleichgewichtssinn des Betrachters nicht überfordern. Alle Achtung auch vor der schwierigen Inszenierung (bzw. des schwierigen Schnitts) von Klang-Experimenten Brinkmanns in der Küche zusammen mit seinem Sohn, bei dem alles greifbare Küchengerät in einen wilden Trommelsturm mit einbezogen wurde.
Die Schauspieler agieren absolut hochkarätig und kommen mit der ungewohnten Situation der Verkörperung einer fremden Stimme am Set überraschend gut zurecht. Nicht nur Brinkmann-Verkörperer Eckhard Rhode brilliert in seiner "Dokumentation", sondern auch Alexandra Fischer als Maleen und Martin Kurz als Sohn Robert sind absolut überzeugend.
Und dies tut der Film in seiner Gesamtheit: Er überzeugt von den 70ern in der Mietwohnung bei Dope-Parties mit Künstler-Freunden, inszeniert gekonnt Brinkmann vor der mechanischen Schreibmaschine, vor dem Tonband-Gerät, in der Strassenbahn - sogar Mitten im Kölner Verkersdickicht mit klar sichtbaren Nicht-70er-Jahre-Autos garantieren Brinkmanns zornige Lamentos auf die BRD-Wohlstandsgesellschaft den Sound und damit die Verkörperung der 70er.
Die erste Hälfte des Films leistet genau diese Inszenierung von 70er Alltag und - begnügt sich leider auch damit:
Ich höre also Brinkmanns Original-Stimme beim Einsprechen in eine 70er Jahre Tonbandmaschine in einem 70er Jahre eingerichtetem Mietzimmer vorzugsweise genau darüber sprechend, dass er gerade in den 70er Jahren in einem Mietzimmer sitzt und in ein Tonbandgerät spricht und dann sehe ich also auch Brinkmann in einem Zimmer mit 70er Jahre Einrichtung in ein Tonbandgerät einsprechen ... Wer möchte kann jetzt von Selbstreflexivität des Mediums oder vom Film im Film sprechen - ich nenne es lieber: banal. Sicher, es ist überzeugend in der Inszenierung aber das war es auch schon - schade, dass die erste Hälfte des Films so viel Wert auf diese Inszenierung des ins Mikro-sprechenden Brinkmanns legt - verschenkte Zeit. Vor allem gemessen an der zweiten Hälfte des Films, die, als hätte sich die Inszenierung selbst bei der Langeweile ertappt, Abstand nimmt vom "Talking Head" und die Stimme Brinkmanns jetzt verstärkt ins Off verlegt und damit viel mehr Sprach- aber auch Bildkraft entfaltet als die zuvorige Verfllmung des Sprechaktes selbst.
Erst in dieser Distanz und damit durch die Abkehr vom vermeintlich "Authentischen" schafft der Film eine Transmission von Brinkmanns Stimme und seinen Texten in Bilder. Hierzu mag auch die Textwahl der zweiten Hälfte beitragen, die weniger das sich wiederholend zornige Lamento Brinkmanns zum Thema hat, sondern die leiseren Betrachtungen - die allemal gewaltiger sind, als Brinkmanns Zorn.
Erst hier beginnt der Dokumentarfilm das Dokumentierte hinter sich zu lassen und damit zu einem echten Dokumentarfilm zu werden. Der Blick wird frei auf das, worauf es Brinkmann in seinen Texten scheinbar vor allem ankam: Einen Ausdruck zu finden, der jenseits der Sprache liegt.
Das Ende des Films verschenkt sich selbst ein wenig in der expliziten Inszenierung Brinkmanns Tod beim Überqueren einer Strasse im Londoner Linksverkehr.
Licht und Schatten liegen hier also nah beieinander - letzlich genauso wie in den Texten von Brinkmann, in denen das "Mehr" auch immer nur kurz durchscheint - dafür jedoch absolut strahlend.
Hallo Gast,
Danke für das Feedback.
Teile einerseits Deine Empfindung andererseits aber auch nicht.
Also:
Die leichte Asynchronität in manchen Passagen besteht in der Tat -...weiterlesen
Anonymous 19:19 am 7.2.2007
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