Erfahrungsberichte : Seitenwechsel: Vom Regisseur zum Schauspieler
von slashCAM Do, 10.August 2017 | 7 Seiten | diesen Artikel auf einer Seite lesen

Was bleibt?
Wie gesagt ist fast nichts schlimmer als das Vertrauen in das Urteil des Regisseurs zu verlieren und doch von ihm abhängig zu sein. Vielleicht beschreibt die Fähigkeit zur Hingabe diesen Beruf am besten.
Die Erschöpfung nach Drehschluß war kaum zu beschreiben. Und der Wunsch, Drogen in Form von Alkohol und Zigaretten zu konsumieren, war übermächtig. Wie auch sonst mit dieser Zumutung umgehen? Eben noch Vergewaltiger, jetzt wieder normaler Mensch unter anderen?
Zu Hause habe ich dann gedacht, wenn ich für diese Arbeit bezahlt worden wäre, hätte ich mich wahrscheinlich wie eine Hure gefühlt. Und nicht umsonst wurden Schauspieler*innen und Schauspieler ja oft in diese anrüchige Ecke gestellt. Laut David Mamet waren sie den Menschen in früheren Zeiten so unheimlich, dass sie nicht auf Friedhöfen, sondern an Wegkreuzungen beerdigt wurden. Ob sie auch noch gepfählt wurden wie die Wiedergänger in Rumänien, habe ich vergessen.
Für mich gibt es aber einen Fehler in der Analogie zur Prostitution. Während diesen immer unterstellt wird, ihre Gefühle nur zu spielen, genauer, vorzuspiegeln, obwohl sie eben nicht da sind, und damit die Imagination in dem Falle beim Freier liegt, der sich geliebt, begehrt uns sonst was fühlt, ist es bei der Schauspielerei anders und vielleicht komplizierter. Die Gefühle müssen echt sein, und das kann nur geschehen, indem die Imagination beim Schauspieler liegt. Auch wenn Regie, Kamera, Schnitt entscheidend zur schließlichen Vorstellung beim Zuschauer beitragen, ist doch ohne den Schauspieler und seine Imagination alles nichts.
Da das unheimlich ist, auch ihm selbst, weil es möglich ist, und weil es Fragen aufwirft auch für alle anderen Bereiche des Lebens, deswegen vermutlich die Abwehr und der Vergleich mit der Prostitution. Und auch die Gefahr, sich in Süchten zu verlieren. Denn die Frage, was ist oder wer bin ich wirklich, ist eine schwer zu ertragende.
Ich habe mehrere Tage gebraucht, mich von den emotionalen Strapazen dieser Arbeit zu erholen. Wäre es nicht so, beruhigte mich mein Kumpel und Schauspiellehrer, wäre ich ein Psychopath. Der bin ich offenbar nicht, Glück gehabt.
Würde ich es wieder machen? Ich denke schon, auch wenn ich zwischendurch gerne die Seite gewechselt hätte. Aber ich möchte wissen, ob mir gelingen kann, was meine Kolleg*innen empfehlen, um Rollen zu spielen, die ihnen fremd sind, nämlich sich zu freuen, dass man Dinge tun darf, die man sonst nicht ohne weiteres machen kann. Ob das allerdings wirklich eine Freude ist, da bin ich mir nicht so sicher. Auf jeden Fall aber habe ich gelernt, wie viel Schauspieler*innen geben. Und das verdient meinen Respekt und meine Nachsicht für die damit einhergehenden Auffälligkeiten. - Wenn ihr mich casten wollt, nur zu, und gerne für eine Komödie!
Kai Ehlers