Postproduktion im Wohnzimmer

Kommen wir mal zur Postproduktion. Habt ihr das Material unterwegs schon gesichtet?



Nein, das Sichten haben wir erst zu Hause gemacht. Ich habe mir stundenlang die entsättigten Bilder im VLC-Player angeschaut und den Timecode aufgeschrieben - ganz die alte Schule, wie im Fernsehen gelernt...



Dann haben wir angefangen Karteikarten zu schreiben, um zu sehen, welche Geschichten es gibt. Außerdem haben wir eine Timeline aufgezeichnet auf 5 oder 6 DIN A0 Blätter, die wir aneinander geklebt und als große Bahn ausgelegt haben, und überlegt, in welcher Reihenfolge wir das gerne erzählen wollen, und welche Geschichte reinkommen. Da sind noch in letzter Minute Sachen rausgeflogen, die wir schon geschnitten hatten – diese ganzen typischen Dramen, die sich im Schnittraum abspielen...


Leaving the Frame - wie aus einer Weltreise ein selbstfinanzierter Kinofilm entstand (gedreht mit der GH5) : maria manuel

Der Film ist ja sehr persönlich gehalten - ihr sprecht in die Kamera, man erlebt sogar einen großen Streit mit. Wie hat sich das Konzept herauskristallisiert, wenn es nicht von Anfang an der Plan war?



Die Idee war, alles möglichst eng zu begleiten und zu erzählen. Natürlich gab es auch immer ein Abwägen nachher beim Schnitt, bringen wir das rein, ja oder nein, aber beim Drehen ist meine Mentalität, erstmal alles mitzunehmen. Das war ja auch der Punkt, an dem es zum Streit kam, weil Maria das eben nicht immer wollte. Sie meinte, du musst aufhören, das immer durch den Sucher zu sehen, wir müssen auch mal Momente für uns erleben. Da haben wir dann auch Kompromisse gefunden, aber es musste erstmal zum Streit kommen.



Es war uns auch wichtig, dass wir keinen Promofilm über das Reisen drehen, sondern dass wir unsere Reise zeigen, und dazu gehört auch der ein oder andere Streit. Und das Filmen selbst war eben auch ein Thema – es wäre geschönt gewesen, es nicht mit reinzunehmen. Auch wenn es mir sehr unangenehm ist, die Szene anzuschauen, weil es tatsächlich echt ist - so echt wie es eben sein kann, wenn man weiß, dass eine Kamera mitläuft; Maria wusste es nicht, muss man fairerweise dazu sagen.



Das habe ich mich tatsächlich auch gefragt bei der Szene



Ich habe halt einfach auf den Knopf gedrückt. Ich wusste ja auch in dem Moment nur, wir streiten ein bisschen, und nicht dass es letztlich der größte Streit werden sollte, den diese Reise und unsere Beziehung gesehen hat. Das war mir in dem Moment nicht bewusst, deswegen habe ich die Aufnahme sogar vergessen. Erst später beim Sichten haben wir gesehen, dass wir diesen Streit aufgenommen haben - bildlich ist es ja auch schwierig, da wackelt die Kamera anderthalb Minuten unscharf rum...



Ihr hättet auch ein anderes Bild darunter legen können...



Hätten wir können, aber so ist es sehr nah und und authentisch. Viele sagen auch, sie fanden es toll, dass sie so nah dabei sein konnten. Mir ist das teilweise ein bisschen unheimlich.



Der Anfang dagegen ist sehr ironisch und ein netter Einstieg in den Film, nicht zuletzt auch wegen der klasse Sprecherstimme.



Das ist Christian Weygand, er war mal bei einem Projekt Synchronregisseur von Maria. Ein super Typ, er wollte uns gerne helfen und hat freundlicherweise diese Stelle für uns gesprochen. Der macht viele bekannte Stimmen.



Darauf folgt ein Intro, in dem ihr euch vorstellt.



Ja, wir haben uns überlegt, dass wir auf jeden Fall irgendwo am Anfang sagen müssen, wer wir sind und warum wir das machen. Dadurch, dass wir erst mitten auf der Reise mit dem Film angefangen haben, haben wir das aber erst nachher aufgenommen.



Wir wollten die Geschichte sowieso nicht einfach chronologisch runtererzählen – das zieht sich ja auch durch den Film, dass es keine chronologische Reihenfolge gibt.



Und worauf habt ihr geschnitten bei euch im Wohnzimmer?



Mit dem Avid Media Composer. Wir haben einen Computer upgegradet mit Gaming Hardware, wo wir nochmal ungefähr 1000 € investiert haben, das war dann kräftig genug, um in 4K zu schneiden. Wir haben aber auch viel mit z.b. Adobe After Effects gemacht, und gegradet haben wir am Ende mit DaVinci Resolve.





Habt ihr eine eigene LUT gemacht?



Nein, wir hatten das riesige Glück, über Freunde zufällig die Leiterin von ARRI Berlin kennenzulernen, die uns unterstützen wollte. Mit deren Hilfe haben wir es geschafft, die Farben noch mal richtig zum Glänzen zu bringen. Das war ein tolles Erlebnis.



Und wie habt ihr es geschafft, einen Verleih zu finden, ins Kino zu kommen und am Ende auch noch zu Netflix?



Teilweise über Kontakte. Ein guter Freund von uns, Felix Starck, hat uns inhaltlich und technisch ein bißchen bei dem Projekt beraten, denn er hat auch einige Dokus gedreht. Am Ende als wir schon fast fertig waren mit der Postproduktion und angefangen haben, uns bei Booking and Billing-Agenturen zu melden, was ja der gängige Weg ist für eine Distribution, meinte er irgendwann: Komm, wir ziehen das zusammen durch, und ist als Verleih aufgetreten mit seiner Koryphäen Film. Die hat sich dann um die Kinos gekümmert.



Und soweit ich weiß, schaut Netflix auf die Zahlen und je nachdem wie ein Film performt, melden sie sich. So war das tatsächlich bei uns.



Auf der Berlinale Talents Veranstaltung Sweet Streams hatte letztes Jahr Tendo Nagenda (VP of Original Film / Netflix) erzählt, dass sie aktiv nach Content suchen.



Es läuft so, dass es innerhalb Deutschland sogenannte Aggregatoren für Netflix gibt, das sind meist größere Produktionsfirmen. Soweit ich weiß, sind das diejenigen, die Filme bei Netflix vorstellen. In unserem Fall lief das über Studio Hamburg. Sie haben unseren Verleih kontaktiert. Als Content Creator ist man nur ein kleiner Fisch, das letzte Glied in der Kette...



Trotzdem schön zu sehen, dass man wahrgenommen wird, wenn man sein Projekt gut durchzieht



Ja, wir freuen uns total, dass es so geklappt hat – wenn man keine großen Erwartungen hat, ist alles eine positive Überraschung, man freut sich über jeden Schritt. Wir bekommen auch sehr nettes Feedback zum Film und Nachfragen zu unseren Helden, das finde ich besonders schön.


Leaving the Frame - wie aus einer Weltreise ein selbstfinanzierter Kinofilm entstand (gedreht mit der GH5) : big sur


Was habt ihr bei dem Projekt gelernt und wie geht es weiter?



Wir haben viel über uns als Menschen gelernt und über unsere Beziehung. Auch in Sachen Filmproduktion haben wir unglaublich viel gelernt, wie das technisch und logistisch funktioniert, und würden das künftig gerne weiterführen – wir haben sogar eine eigene Produktionsfirma gegründet, Saudade Film, um weitere Reisereportagen und Filme über Themen aus der Welt produzieren.




Zum Abschluß, was wären deine wichtigsten Tipps für längere Filmreisen?



Ich glaube, man muss sich von Anfang an drüber im Klaren sein, was man möchte. Das macht es einfacher und nur wenn es einfach ist, ist es auch realistisch – zeitlich und finanziell machbar.



Als praktische Tipps natürlich: nicht mehr, als nötig ist, mitnehmen, die Ausrüstung so klein und kompakt halten wie es irgendwie geht. Außerdem am besten das Geld, das man einplant, gleich mal verdoppeln. Und falls jemand so eine Reise filmen möchte, um damit Geld zu verdienen, da kann ich nur ganz klar von abraten, das zahlt sich nicht aus. Die ganze Arbeitszeit, die man da reinsteckt und das Herzblut: das geht nur, wenn man das auch wirklich machen will.




Ein gutes Schlusswort... Manuel, vielen Dank für das Gespräch!



Webseite zum film: Leaving the Frame – eine Weltreise ohne Drehbuch



Leaving the Frame auf Netflix




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Du hast auch einen Film gedreht und würdest ihn gern auf slashCAM vorstellen?



Dann schick uns einen Vimeo- oder YouTube-Link mit ein Paar Stichworten zur Produktion (an film at slashcam.de) – wir freuen uns auf spannende, verrückte, kreative, technisch interessante Projekte.


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