Im Rahmen der Berlinale Talents Veranstaltungen gab es auch die Gelegenheit, bei einer Dolby Atmos Master Class mehr über den Einsatz dieses neuen, objektbasierten Raumklangs zu erfahren. Dabei ging es kaum um die Technik dahinter, sondern vor allem um die neuen Sound-gestalterischen Möglichkeiten, welche anhand von fünf aktuellen und erfreulich unterschiedlichen Filmausschnitten demonstriert wurden -- Roadmovie, Thriller, Kinderfilm und sogar eine Dokumentation waren vertreten, letzteres überraschenderweise als vielleicht sogar interessantestes Beispiel.
Ziel von Dolby Atmos ist es, allein über den Sound ein immersiveres Filmerlebnis zu ermöglichen, indem die zu hörende Dimension eines Films in den Kinosaal verlängert wird. Dies geschieht natürlich schon längst auch bei Surround-Sound, aber während bei einer normalen 5.1 oder 7.1 Surround-Abmischung der Ton auf verschiedenen Kanälen abgelegt und über die relative Lautstärke der Sounds im Mix eine grobe, räumliche Wirkung -- rechts / links, vorne / hinten -- erzielt wird, läßt sich beim Mixen für Dolby Atmos ein Geräusch ganz gezielt in einem dreidimensionalem Raummodell verorten und über einzelne (Decken-)Lautsprecher (bis zu 64) abspielen. Das System arbeitet nicht vorrangig mit Kanälen, die jedoch ebenfalls unterstützt werden, sondern eben objektbasiert. Über Metadaten werden die Audio-Objekte gesteuert, um sie beispielsweise von Lautsprecher zu Lautsprecher wandern zu lassen. Bis zu 118 Objekte werden in einem Soundtrack unterstützt.
Sinnvoll ist dies vor allem bei eher großflächigen, off-screen Klangkulissen, denn Tonereignisse auf der Leinwand haben natürlich nachwievor auch aus dieser Richtung zu kommen. Zum Erzeugen von Stimmungen via Ambient Sounds jedoch, oder um bewegliche Elemente wie Hubschrauber oä. scheinbar über das Publikum fliegen zu lassen, und damit den "Erzählraum" zu erweitern, ist Dolby Atmos dagegen hervorragend geeignet, wovon man sich also im Cinestar 7, wo ein entsprechendes System mit 46 Lautsprechern installiert ist, selbst überzeugen konnte. Es ist eine der weltweit mittlerweile über 2400 Leinwände, die mit Dolby Atmos ausgestattet sind; an die 650 Filmtitel sollen bisher für die Wiedergabe aufbereitet sein.
Vorgestellt wurden die Filmausschnitte von Sound Editoren und Re-Recording Mixern, die jeweils bei der Entstehung beteiligt waren (via The Post Republic). Immer wieder fiel bei den kurzen Einführungen das Wort Transparenz -- es sei mit Dolby Atmos möglich, auch komplexe Tongemenge sehr viel klarer und eindeutiger als zuvor aufzuschlüsseln. Interessant wäre es hier gewesen, einen direkten Vergleich zu hören, also die gleiche Szene einmal in Dolby Atmos, einmal im normalen Surround-Mix. Den gab es leider nicht, dafür aber wie bereits erwähnt einige sehr unterschiedliche Filmausschnitte, darunter natürlich auch klassische Actionszenen, etwa eine Verfolgungsjagd aus dem Kinderfilm "Bibi & Tina: Tohuwabohu total" sowie einige Show-Downs aus dem noch gar nicht angelaufenen SF-Film "Revolt" von Joe Miale -- "the fun stuff for the sound department", so Matthias Schwab, wo man sich austoben könne.
Von den neuen Möglichkeiten besonders profitieren dürften allerdings auch Horror/Thriller/Mystery-Genres, da dort die Spannung bekanntlich zu einem großen Teil über die Tonspur generiert wird. Als Beispiel wurde hier eine Szene aus "The Autopsy of Jane Doe" (R: André Øvredal) gezeigt. Wie Christian Conrad erklärte, spielt sich die Handlung vielfach in einem Untergeschoß ab, durch welche sich oben Ventilationsschächte uä. ziehen. So gab es viele Gelegenheiten, über die in der Saaldecke eingelassenen Lautsprecher nervenkitzelnde Geräuschsphären in den Kinoraum zu verlegen, ohne dabei die Raumlogik zu verletzen. Überhaupt sei es Aufgabe des Sounddesigns beim Film, subjektive innere Welten erfahrbar zu machen, anstatt nur die objektive, äußere Realität zu replizieren.
Wie sehr man sich dabei dennoch nach den gegebenen Filminhalten richten muß, illustrierte Lars Ginzel mit einem Ausschnitt aus "Tschick", Fatih Akins Roadmovie über zwei Jugendliche, die mit einem gestohlenen Auto abhauen. Dort war ursprünglich angedacht, den Soundmix anfänglich sehr flach zu halten (solange die Jungs noch in ihrem Alltag gefangen sind), um dann nach dem Wendepunkt die Räume über Dolby Atmos auch akustisch zu öffnen. Dieser Plan ließ sich letztlich nicht genau umsetzen, weil es das Motiv nach dem Wendepunkt nicht hergab: zwei Jungs, die sich in einem Auto unterhalten, bieten einfach nicht genug Spielraum dafür. Es hieß also flexibel bleiben, und die vorher/nachher-Trennung weniger starr anzuwenden. Wenn es dann etwas später -- ohne Führerschein -- auf die Autobahn geht, fahren überholende Fahrzeuge aber tatsächlich gefühlt quer durchs Kino. Ginzel betonte, die Dolby Atmos Effekte bieten schöne neue Optionen, aber sollten möglichst sparsam eingesetzt werden.
Von der Soundgestaltung her sehr interessant war das abschließende Beispiel aus dem Dokumentarfilm "Machines", welcher Einblicke in die Arbeitsbedingungen in einer indischen Textilfabrik gibt. Er war bislang nur auf Festivals zu sehen, zuletzt in Sundance, wo er mit einem Preis für die Kamera ausgezeichnet wurde (World Cinema Documentary Special Jury Award for Excellence in Cinematography). Der einleitende Tracking Shot durch die Fabrik wandert eindrucksvoll von Maschine zu Maschine -- wie Adrian Baumeister, verantwortlicher Sound Re Recording Mixer, erklärte, war der Originalton bei der Aufnahme in der lauten Fabrik jedoch nicht zu gebrauchen. Es waren keine Details, keine Tiefe vorhanden, sodaß beschlossen wurde, die Soundkulisse nachträglich zu gestalten. Dafür wurden während zwei Wochen viele Einzelaufnahmen der Maschinengeräusche mit Kontaktmikros aufgezeichnet und dann zu einer akustisch klaren Abbildung der Fabrik verwoben. Beim Steadicam-Shot hebt sich so jede Maschine nicht nur von den danebenstehenden ab, sondern der Ton folgt Dank Dolby Atmos der Kamerabewegung sozusagen auf dem Fuß.
Für die abschließende Fragerunde blieb leider nur wenig Zeit. Auf die Frage hin, wozu man eigentlich Dolby Atmos im Arthouse-Kino brauche, wo ja sehr oft die 2-Typen-in-einem-Auto Situation herrscht, lautete die Meinung recht einhellig, es reiche, einige wenige Effekte an der richtigen Stelle unterzubringen, um eine prägnante Wirkung zu erzielen. Bezüglich des mit Dolby Atmos verbundenen Aufwands hieß es, es müsse eigentlich nicht unbedingt aufwendiger sein, als in 5.1/7.1 abzumischen, tendiere aber in der Praxis doch dazu, umfänglicher zu werden, weil es eben doch sehr viele Möglichkeiten gibt, die Soundwirkung zu gestalten. Das automatische Herunterkonvertieren auf Stereo (der Downmix) soll sehr gut funktionieren, man müsse aber dennoch immer nochmal prüfen und nachbessern, auch weil man einfach gerne etwas "mehr" in Atmos macht. Und wie nimmt man den Ton am besten für Dolby Atmos auf? Die Antwort war denkbar einfach: lauter Monosounds aufzeichnen -- den Rest macht man in der Post...
Auf jeden Fall eine interessante Veranstaltung (leider auch eine der wenigen Berlinale Talents-Events, die im Nachhinein nicht auf YouTube bereitgestellt werden). Wer sich die neue Audiotechnik einmal selbst zu Ohren führen möchte, findet in Berlin je einen Saal mit Dolby Atmos in besagtem CineStar, im Zoo Palast sowie in der UCI Kinowelt Am Eastgate -- eine landesweite Aufstellung findet sich hier. (In Dolby Atmos gezeigte Filme werden mit einer entsprechenden kleinen Grafik im Programm gekennzeichnet.)