Interviews Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug

Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug

Wir hatten Gelegenheit, ein längeres Gespräch mit Ben von Grafenstein zu führen, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, dessen Abschlussfilm “Blindflug” auf der Berlinale gezeigt wird. Dabei haben wir sehr interessante Sachen erfahren, zum Beispiel wie man aus zwei kleinen Flughäfen einen großen bastelt, oder auch warum es manchmal besser sein kann, am Set die Augen zu schließen. Außerdem haben wir den heimlichen Final Cut Pro–Fan Ben gefragt, warum er den Film nicht digital gedreht hat, wie die Zusammenarbeit mit seiner Kamerafrau aussah, und sehr viele andere Sachen. Wer sich immer gefragt hat, was ein Regisseur eigentlich macht, dürfte mit dieser Lektüre ein ziemlich klares Bild davon bekommen...

// 14:20 Fr, 9. Feb 2007von

BildZum Auftakt der Berlinale hatten wir Gelegenheit, ein längeres Gespräch mit Ben von Grafenstein zu führen, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, dessen Abschlussfilm “Blindflug” in der Sektion Perspektive deutsches Kino gezeigt wird. Dabei haben wir sehr interessante Sachen erfahren, zum Beispiel wie man aus zwei kleinen Flughäfen einen großen bastelt, oder auch warum es manchmal besser sein kann, am Set die Augen zu schließen. Außerdem haben wir den heimlichen Final Cut Pro–Fan Ben gefragt, warum er den Film nicht digital gedreht hat, wie die Zusammenarbeit mit seiner Kamerafrau Tanja Häring aussah, und sehr viele andere Sachen. Wer sich immer gefragt hat, was ein Regisseur eigentlich macht, dürfte mit dieser Lektüre ein ziemlich klares Bild davon bekommen...



Blindflug läuft am 9. und 10. Februar auf der Berlinale, ihr werdet den Film jedoch demnächst im Fernsehen sehen können – wir sagen euch dann Bescheid. (Länge 63 Min. / zum Berlinale-Programm)




// Kurz vorab: Worum geht es in Blindflug?



Um drei Personen. Eine Figur hat ein großes Schicksal, das ist so ein bißchen das Geheimnis des Films. Irgendwas war da. Zum Anfang des Films läßt er seine komplette Bude ausräumen, verfeuert alles, und zieht aus in die große Welt, und findet sich am Flughafen wieder. Und der andere sagt: heute wird eine Familie gegründet. Das ist ein total gestreamline-ter Typ, der alles, was ihm in den Weg kommt, mit Struktur einfach platt macht. Und in der Mitte eine Frau, die einfach dazwischen ist, die ein Entscheidungsproblem hat. Das kulminiert in einem Flughafen-Setting, und dann wirds turbulent, wenn die Lebensentwürfe so langsam wegschmelzen.



Der Film hat eine ziemlich lange Enstehungsgeschichte, eigentlich über anderthalb Jahre. Er ist aus einer Szene entstanden und aus einer ganz kleinen Idee. Die Idee war, daß man eine Geschichte innerhalb eines ganz engen Zeitraums erzählt, und die an einen einzigen Ort packt - eigentlich ein Kammerspiel. Das war der Ausgangspunkt. Eigentlich wollte ich also einen Kurzfilm machen, eine ganz simple Nummer: zwei Leute begegnen sich an einem Ort. Das hat sich dann immer mehr ausgeweitet, ist immer größer geworden und irgendwann waren eben ein paar mehr Seiten da, und dann haben wir das gedreht.



// Mußte der Abschlußfilm an der Filmakademie nicht eine gewisse Länge haben?



Nein, man kann machen, was man will – einen 15-Minüter, oder einen Langfilm, man kann auch dreieinhalb Minuten machen, was teilweise Leute gemacht haben. Aber ich habe auch einen Kollegen, dessen Film ist jetzt im Rohschnitt drei Stunden...



// Und wie ist Blindflug filmisch gesehen?



Ich hatte vor, viel mit der Kamera zu arbeiten. Der Film davor (W wie Viktor) war eher ein Schauspielerfilm, der war auf DV gedreht und so wenig wie möglich geschnitten. Ich wollte damals ausprobieren, wie das ist, wenn man eine Szene eins zu eins spielen läßt und das so aufnimmt. Da sind viele Plansequenzen drin, manche Einstellungen sind 2 1/5 Minuten. Um die Schauspielarbeit kennen zu lernen, hatte ich mir das quasi als Regel auferlegt: Ben, du darfst nicht schneiden.


Dieser Film ist genau das Gegenteil davon: ich wollte mal wieder so richtig schneiden. Hier ist die Montage wichtig, es gibt parallele Erzählstränge und so. Der Film sollte leicht und locker sein, daß man da durchschwingt, und als Zuschauer das Gefühl bekommt, man ist dabei. Er hat eine gewisse Unmittelbarkeit und Nähe in den Dialogen.



Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug : henrik1






Das Drehbuch: von der Idee zum Dreh

// Stammt das Drehbuch zum Film von Dir?



Nur teilweise. Das Drehbuch hat hauptsächlich Boris Dennulat geschrieben, ein Kollege von der Filmakademie im 3. Jahr. Das war super mit ihm, er hat extrem schnell geschrieben, nur ich hab erst lange rumgehadert. Wir haben uns aber einen Drehtermin gesetzt und gesagt, ok, bis da können wir arbeiten und dann ist erste Klappe.



// Und zum Drehbeginn war dann alles klar, da hattet ihr ein fixes Drehbuch?



Nein. Ich hab ein Casting gemacht, das ist sehr wichtig bei so einem Film, der nicht mit einem großen Setting daher kommt – etwa: ein Serienkiller hat 5 Menschen umgebracht oder so. Sondern vom Setting her ist der Film eher klein, und ich finde es ist recht schwierig, aus normalen Leuten mit normalen Problemen was zu machen. Da braucht man Leute, die das tragen. Deshalb habe ich auch eine Figurenzusammenstellung gewählt, bei der ich selber ein bißchen geschluckt hab. Ob das funktioniert. Aber wir kamen ganz gut zusammen klar. Wir hatten also das Drehbuch und die Schauspieler. Und dann haben wir uns alle zusammen eingeschlossen und haben gesagt, da reden wir jetzt drüber. Auch wenn wir das so platt reden, daß am Ende nichts mehr übrig bleibt.


Ich hab den Leuten so natürlich auch einen gewissen Einsatz abgefordert. Die fluchen dann, aber so kriegt man sie rein. Dann muß man natürlich auch wieder den Punkt finden an dem man sagt, so, das reicht, jetzt übernehme ich wieder. Das war eine spannende Zusammenarbeit, auch mit vielen Konflikten. Wir haben uns viel gestritten und viel rausgeworfen und viel neu gemacht.



// Hat sich die Geschichte dadurch viel verändert?



Ja, aber von der Vorlage ist trotzdem noch überraschend viel übrig. Am meisten ist lustigerweise noch drin vom ersten Gedanken. Das hat mich schon erstaunt, durch wieviel Stadien man da durch muß, bis man wieder an den Anfang kommt. Um zu sehen, wie stark die Idee war, mußte man einmal im Kreis laufen. Und in einem speziellen Moment merkt man das dann.


Um zur ursprünglichen Frage nochmal zurückzukommen: Als wir dann tatsächlich zu drehen anfingen, hatten wir natürlich schon klare Vorstellungen, davon was wir drehen würden, mit Shot list und alles.




Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug : lotte





Location: Flughafen (der Nicht-Ort)

// Der Film spielt ja hauptsächlich an einem Flughafen



Ja, aber eigentlich an mehreren. Das war ziemlich schwierig, wir mußten uns mehr oder weniger unsere Locations zusammenbauen. Erst hatten wir angedacht, teilweise im Studio zu drehen, aber das ist zu teuer. Besser man nimmt was fertiges, und baut das dann um.


Anfangs wollte ich natürlich unbedingt in Frankfurt drehen, ich wollte einen großen internationalen Flughafen erzählen. Gedreht haben wir dann aber vor allem am Dresdner Flughafen, der ist nicht so frequentiert, aber sehr modern, was gut zur Geschichte gepaßt hat. Da haben wir uns dann unsere Drehorte gesucht, aber trotzdem haben wir natürlich basteln müssen. Und den Rest des Flughafens haben wir dann in Leipzig gedreht.


In dem Film ist also sehr viel Ausstattung dabei, ich hoffe man sieht es nicht. Ich hoffe, alle verschiedenen Drehorte verschmelzen zu einem, und zu einem internationalen Flughafen...



// Ist das nicht recht aufwändig, an einem Flughafen zu drehen?



Und wie. Am Flughafen steht man immer mit Sicherheitskräften am Set, die einen beschneiden (müssen), obwohl die bei uns sehr entgegenkommend waren. Aber trotzdem ist es sehr sensibel, wenn man wie wir im Sicherheitsbereich gedreht hat. Aufgrund der hohen Sicherheitsauflagen ist das auch sehr teuer, denn das Personal kostet sehr viel Geld -- auf zwei Leute im Team kommt ein Sicherheitsmann.



// Für den Film war es aber wichtig, daß die Handlung an einem Flughafen spielt?



Absolut. Der Flughafen ist zwar keine Hauptfigur im eigentlichen Sinne, spielt aber eine große Rolle. Bloß mehr in seiner Leere, als Nicht-Ort. Wir wollten da unter anderem eine volle Geschäftigkeit gegen eine kalte Halle setzen, mit ihren Fließen und Glasvitrinen... Und die Figuren kommen da nicht raus. Es ist in dieser Hinsicht auch ein Konzeptfilm: wenn die da rausgehen, ist der Film zu Ende. Mit dem Flughafen haben wir sowas wie einen Käfig aufgebaut und die Figuren mit sich selber konfrontiert.



Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug : flughafen




// Was machen denn die Figuren, wenn sie 24 Stunden am Flughafen rumhängen?



Naja, ein Flughafen ist natürlich nicht nur ein Ort, es sind viele Orte, Räume in Räumen. Zum Beispiel der Sicherheitsbereich, der abgegrenzt ist, damit kann man gut spielen. Es gibt Leute, Schalter, Hürden, die man ganz gut dramaturgisch ausnützen kann, mit denen man was rausholt aus den Figuren. Barrieren. Damit haben wir gespielt: leerer Raum, voller Raum, Hürden.



// Aber wenn am Flughafen nicht viel los war, wie habt ihr dann eine gewisse Geschäftigkeit simuliert?



Das war nicht so leicht, da wir Komparsen nicht bezahlen konnten, und mit wenigen Leuten viel erzählen mussten. Also haben wir ganz sorgfältig die Bilder ausgewählt, also mit Totalen den Flughafen etablieren, und dann Leute kreuzen lassen und so was. Und natürlich haben wir viel mit Sound gearbeitet, auch in der Postproduktion. Das war natürlich auch das Gute an diesem kleineren Flughafen, daß der Geräuschpegel etwas niedriger war. Das ist ja sonst oft ein Problem, daß der aufgenommene Sound sehr schlecht ist, weil so viele Nebengeräusche da sind. Aber man muß auch aufpassen, daß man konsistent bleibt – man kann ja nicht auf der Tonebene ein Wahnsinnsding erzählen, mit Durchsagen in 20 Sprachen und im Hintergrund eine japanische Reisegruppe, und vorne im Bild sieht man gar nichts...


Wir haben das ganz gut hinbekommen, glaube ich, aber das ist auch ein Trick der Montage, daß man das einigermaßen schnell erzählt und ziemlich nah bei den Figuren ist.






Das Drehformat: 16mm vs. HD

// Warum habt ihr auf 16mm gedreht?



Wir haben uns gesagt, wir drehen das auf Film, weil die Farben besser kommen, und versuchen das immer sehr glatt zu leuchten. Es ist fast wie so ein cyanblaues, glattes Werbebild geworden. Eine verstörte Handkamera hätte nicht zu diesem Stoff gepaßt, oder zu den Figuren: die haben Geld und Sorgen, aber keine Geldsorgen. Da kauft sich zB. einer für 800 Euro einen Flug, nur um in einen anderen Bereich zu kommen. Da braucht man einfach so einen glossy Look. Das war unser Konzept: wir wollten das Ding aalglatt drehen. Für 35mm war kein Geld da, und daß es 16mm wurden, ist vor allem der Kamerafrau zu verdanken, der das sehr wichtig war, und die zB. Deals mit Kodak gemacht hat.


Außerdem war eine geringe Schärfentiefe wichtig. Wir haben gesagt, wir wollen telig drehen und die richtig rausholen aus dem Flughafen. Wir haben extreme Tiefenunschärfen dadrin – Close-Ups mit 600er Tele gedreht und so.



// Ist ja auch lustig -- erst steckt ihr sie da rein und dann holt ihr sie so wieder raus?



Ja, wenn´s näher reingeht...



// Wenn es glossy sein sollte, hättet ihr doch auch auf HD drehen können?



Ja, aber das haben wir nicht wegen der Farben – ganz so kühl wollte ich es dann doch nicht haben. Das Bild lebt ein bißchen anders, es ist ein anderes Feeling mit dem Korn. Ich habe mir HD-Material angesehen, das war qualitativ toll, aber irgendwie fehlt einem da was. Denn trotz der Werbeoberfläche sollte es doch um Gefühle gehen.



Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug : henrik2







Die richtige Einstellung

// Wieviel von den Bildern kommt denn von dir, und wieviel von deiner Kamerafrau?



Die Szenen auflösen tue ich, von der Kamerafrau ist die Kadrage im Kleinen. Aber im Grunde ist das bei jedem Film anders. Bei dem Film davor (bei dem Tanja Häring auch die Kamera gemacht hat) war ich nur am Stellen die ganze Zeit. Wir hatten ja wie gesagt nicht die Möglichkeit zu schneiden, daher mußten wir die ganze Zeit ballettartige Choreografien mit Kamera tanzen. Auch wenn man das nachher nicht so sieht – der ganz Boden war voll von Schrittzeichen.



Bei diesem Film haben wir das alles mit Montage gemacht. Aber die Kamera ist immer in Bewegung – das ist ja auch ein Hauptthema im Film: Fortbewegen, Dynamik. Zu 70-80% war das reine Dolly-Fahrerei.



// Und um eine Szene in verschiedene Einstellungen auflösen, wie gehst Du da vor?



Schwer zu sagen, weil so viele Unbekannte in der Aufgabe stecken. Man kann das natürlich vom Brett reißen, aber die schwierige Frage ist ja: wie fügt sich die Szene in ein Gesamtkonzept ein? Natürlich weiß man, wer die Hauptfigur ist, wer trägt das, wo ist der Punkt der höchsten Spannung. Bloß manchmal verschiebt sich das. Klar hat man ein Muster, man sagt, ich schneide von der auf die in genau dem Moment, dann hab ich den so, dann ist die Kamerabewegung da, und dann hör ich so mit der Szene auf, und dann gibts eine Überleitung zu einer anderen Szene, die dann so und so aussieht. Das muß man natürlich im Kopf haben, und das habe ich auch.



// Du sieht das dann vor dir, wenn Du ein Drehbuch liest?



Ja, wenn es ein toll geschriebenes Drehbuch ist. Ein Drehbuch ist dann toll, wenn so wenig wie nötig drin steht, finde ich, aber alles irgendwie klar ist. Die wissen, wo man schneiden muß, aber geben einem das Gefühl, daß man das selber entdeckt hat. Das ist wie ein kleines Spiel, das man da spielt.






Schnitt und Musik

// Hat sich der Film dann nochmal sehr verändert während des Schnitts, verglichen mit dem Plan, den du hattest?



Ja, schon. Durch eine Parallelmontage verändert sich immer sehr viel. Man rhythmisiert anders, und ein paar Sachen sind weggefallen



// Die Parallelmontage war nicht von Anfang an geplant?



Teilweise schon, aber es ist sehr schwierig, eine Parallelmontage eins zu eins aufs Blatt zu schreiben. Vor allem, wenn dann noch ein anderer kommt und sagt: das hat einen anderen Rhythmus, oder: wir gehen gegen den Rhythmus. Teilweise sind wir auch mit der Musik total dagegen gegangen und haben viele Sachen ausprobiert. Ich weiß nicht, wieviele Temp-Tracks ich bei diesem Schnitt gewälzt habe. Übrig geblieben ist dann Johann Sebastian Bach, der viel zu dem Film beigetragen hat :-)



Wir haben jetzt ein Bach-Motiv in dem Film, das sozusagen geremixed ist. Thomas Mehlmann, ein Ex-Akademie-Student, hat das immer wieder variiert, vor allem auf Piano, teilweise noch mit Schlagzeug, manchmal eher Blues-artig, manchmal klassisch. Das hat sehr viel Spaß gemacht.



// Wie lange habt ihr denn geschnitten?



Ich saß ziemlich lange mit einer Kollegin im Schnitt, wobei ein Hauptteil der Arbeit bei mir lag. Ich habe auch mit Unterbrechungen schneiden müssen, weil ich kein Geld hatte. Also habe ich zweigleisig geschnitten, einmal Kohle-Jobs und einmal Blindflug. Am Stück müssen es 2 oder 3 Monate gewesen sein, die ich mit meiner Mitstreiterin dran saß.



// Geschnitten habt ihr aber digital, oder?



Ja, klar. Ich war einmal dabei bei einem 16mm Schnitt für einen Kurzfilm, und ich hab schier das Kotzen bekommen, immer die Reste an den falschen Galgen gehängt und so. Das ist total schön, wenn man sich das anguckt, und das Schneiden geht auch relativ schnell, aber dieser ganze Wust an echtem Material, das ist vollkommen undurchschaubar. Ich bin halt anders aufgewachsen, das ist eine andere Generation.



Am Anfang hab ich auch beim digitalen Schneiden nichts geordnet, aber mittlerweile bin ich total pedantisch. Alles muß ganz genau beschriftet werden, mit Schlagworten versehen, im richtigen Ordner liegen und so. Und am traditionellen Schneidetisch hat man gar nichts, da hat man einen Galgen, da steht nix dran, und da hängt dann ein Rest von der-und-der Klappe. Ich bin da durchgedreht, ich bin das einfach nicht gewohnt.



Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug : lottehenrik





Schneiden: am Avid, mit Final Cut, und überhaupt

// Blindflug habt ihr am Avid geschnitten?



Ja. Aber die Konkurrenz ist stark im Kommen, und berechtigt groß. Final Cut Pro zum Beispiel ist ein exzellentes Schnittsystem. Am Anfang hab ich das zwar nicht gemocht, weil ich dachte, was haben so Internet-Typen, die vier Clips zusammenschneiden mit nem Film erzählen zu tun, aber wenn man sich dran gewöhnt, dann ist das toll, besonders wenn man Kurzformate schneidet. Das geht total schnell und macht Spaß. So kleine Trailer zum Beispiel, die ballern und schnell sind und nach vorne gehen, das macht Spaß an dem System.



// Unterscheidet sich die Arbeit denn so sehr zwischen Avid und Final Cut?



Naja, man kann sicher an beiden Systemen sehr ähnlich arbeiten, aber Avid ist irgendwie noch linearer als Final Cut, würde ich sagen. Bei Final Cut kann man alles drag-und-droppen, wüst alles hin- und herschieben, was ich mir beim Avid aber nie angewöhnt habe. Man könnte das machen, aber es wär lang nicht so schnell und so einfach. In Final Cut da spiele ich mehr, lege alles auf die Timeline und jongliere damit. Ich hab das mal am Avid versucht, aber das mochte ich nicht. Da geht das anders, da muß ich etikettieren und beschriften und so.



// Bei Final Cut kommt mehr Zufall rein?



Ja, man schneidet da ein bißchen experimenteller. Ein bißchen moderner, vielleicht.





// Hat das vielleicht auch mit deinem Gefühl zu tun, das wäre unseriös?



Kann sein. Am Anfang denkt man vielleicht, das wäre unseriös, aber es ist einfach nur anders. Aber wie gesagt, man kann mit beiden Programmen sicher ähnlich schneiden, es kommt nur darauf an wie man es sich angewöhnt. Wenn man autodidakt ist, dann setzt man sich an so eine Kiste und schraubt daran rum, und was am besten funktioniert, das übernimmt man dann.



// Hast du nicht mit einer Mediengestalter-Ausbildung angefangen?



Doch aber da hab ich mir das selbst beigebracht. Ich hatte damals einen Chef, der war 60, und der hatte ein ganz neues Schnittsystem da stehen, da lag so dick der Staub drauf. Er hat das immer gemieden. Das war so ein Old-School-Avid. er selbst ist immer zum Schneiden in seine Mahagony-Editsuite gegangen, das war so ein Tisch mit 2 Monitoren. Das war noch mit Betacam-Maschinen, wo man schneidet indem man kopiert. Und der andere Raum war immer frei, da konnte ich dann ran und machen was ich wollte. Das war super. Aber es war natürlich auch keiner da, der es einem beibrachte.



// Und wenn du deine Arbeit jetzt vergleichst mit dem was gelernte Cutter machen, merkst du da einen Unterschied?



Naja, das ist immer ein Prozeß, da muß man ganz lang dabei sitzen oder sich das fertige Resultat sehr genau ansehen, um das zu erspüren, einen Stil. Aber das ist sehr spannend, mit anderen darüber zu reden, warum hast du das genau so gemacht, ich hab das Material ganz anders gesehen, usw. Aber ich hatte in der Hinsicht natürlich schon Mentoren. Da gab es beispielsweise eine Cutterin, die mir eine lineare und recht simple Erzählstruktur beigebracht hat, die sie meistens wählt. Das waren aber nie Spielfilme, immer Dokumentarfilme. Die muß man anders schneiden, man hat da mehr Freiräume als Cutter.



// Weil man seinen Erzählfaden selber spinnen muß?



Richtig, beim Spielfilm, da gibt es ja meist schon ein Drehbuch, man hat Probeaufnahmen gemacht und so. Aber bei Dokumentarfilmen ist das anders, da geht man bei Leuten mit, beobachtet die, schaut was dabei rauskommt. Viele Filmemacher entdecken ja dann erst im Laufe der Zeit worum es eigentlich gehen könnte, oder was daran spannend ist. Der Schnitt hat beim Dokumentarfilm einen größeren Stellenwert. Im Spielfilm fängt der Prozeß schon gleich mit dem Buch an – der Schnitt fängt praktisch schon bei der ersten Drehbuchseite an.



// Kann man dann beim Spielfilmschnitt denn nicht hauptsächlich nur noch was kaputt machen, wenn alles davor gut gelaufen ist?



Kann man schon, wenn man den Schauspielern nicht vertraut, oder der Kamera, oder dem Rhythmus, der vorgegeben ist, aber das ist selten. Meistens hilft man aber, indem man Sachen konkreter macht, klarer, vielleicht auch klarer in ihrer Unklarheit. Das gibt es auch, daß man in der Montage sagt, man dreht das alles um. So ein Film ist einfach ein Prozeß. Das macht es auch so anstrengend, aber auch spannend. Man hat da ein paar geprobte Seiten, aber ganz genau was rauskommt, weiß niemand am Anfang. Das kann einen auch überfordern, vor allem auch genau da, wo man es nicht erwartet. Das macht es auch reizvoll.






Die 35mm Kopie...

// Blindflug wird ja auf 35mm gezeigt, oder?



Ja, die Schule hat die Kopie finanziert als klar war, daß der Film auf der Berlinale gezeigt wird.



// Wie lange dauert so ein Faz?



Eine halbe Woche basteln die daran. Das wird erst ausbelichtet, dann geht es ins Kopierwerk und dann wird der Lichtton aufgespielt.



// Das soll ja sowas wie eine Glaubensfrage sein, wo man seinen Film fazen läßt, oder?



Ja, schon.



// Und die Kopien unterscheiden sich dann auch tatsächlich?



Ja, total. Das ist echt so.



// Wie sieht man das denn?



Das ist unscharf.



// Dann ist es doch aber einfach nicht gut gemacht?



Ja. Genau. Da kommt es eben genau darauf an, wer das macht und mit welcher Technik. Der Film wird beim ausbelichten ja mehr oder weniger abgefilmt. Und da kann man eben Fehler machen. Ich hoffe das hat bei uns geklappt.



// Wie habt ihr das eigentlich beim drehen gemacht? Ihr konntet ja nicht nachschaun, wie das geworden ist, was ihr im Kasten hattet, wie beim digitalen Drehen?



Das hat man dann im Kopf. Schwierig ist es bloß, genau die richtigen Momente, die gespielt werden auszuloten. Da fehlt mir noch ein bißchen die Erfahrung. Das man weiß: genau der Augenaufschlag, das war jetzt genau richtig in Kombination mit genau der Bewegung. Das ist aber total schwer zu sehen. Weil am Set hat man sehr viel um sich, 30 Mann die rumwuseln, da ist es sehr schwer die Konzentration zu behalten, auch für den Schauspieler. Manche Sachen sieht man dann eben erst im Schnitt. Da sieht man ganz anders als auf den Mustern oder auf dem Monitor.




Berlinale Spezial: Ben von Grafenstein über seinen Film Blindflug : henriktotal






Die Arbeit mit den Schauspielern

// Du schaust auf den Monitor wenn gedreht wird? Nicht auf die Schauspieler selbst?



Manchmal. Das kommt ganz drauf an. Bei Close-Ups stell ich mich gern neben die Kamera. Aber am meisten höre ich. Mir fällt es einfacher zu hören, ob es jemand ernst meint, was er da macht.



// Das ist ja irgendwie kurios, ein Regisseur der die Augen schließt am Set.



Nein, das mache ich nicht, aber ein bißchen war es schon so mit dem Hören bei Blindflug, weil da ist sehr viel Sprache drin in dem Film, sehr viel Dialog. Ich hab da einen direkteren Draht zum Hören, einfach. Ob das stimmt was jemand sagt. Ich will ja nicht, daß jemand was spielt, das ist ja kein Klamauktheater



// Wie bekommst du die Schauspieler dazu, daß sie das so machen was du willst? Geht das einfacher wenn sie wie hier schon vor dem Dreh beteiligt waren?



Mehr oder weniger. Das einfachste ist natürlich, wenn man nur sagen muß, alles klar, hier, stell dich hier und mach so, und man selbst macht dann nur Technik, man läßt den in Ruhe machen, weil alles schon geklärt ist, das ist natürlich das liebste.


Man muß sich da auch kurz fassen können, wenn da jemand ist, der sich konzentrieren muß. Man verlangt ja recht viel von den Leuten: rede über ein großes Schicksal, in dem Moment, und rede so, daß ich es glaube. Das ist eine sehr große Aufgabe. Ich liebe Schauspieler dafür, daß sie das können. Man kann die Leute aber auch sehr schnell durcheinanderbringen, indem man zuviel sagt, und vor allem unkonkret sagt. Das beste ist, wenn man ein Wort sagt, und das ist richtig. Das kommt an und wird verstanden. Wenn man eine Sprache zusammen hat, die ganz kurze Wege geht.


Es ist aber auch viel Geheimnis dabei. Wenn ich jemandem vorbete, was ich spielen würde wenn ich spielen könnte, dann bringt das gar nichts. Man muß eher jemanden zum Schwingen bringen. Und wenn einer die ganze Zeit rummault und sich aufregt, ihr Idioten und die Scheißkamera, ist mir im Endeffekt egal, wenn der nur toll spielt in der Szene.


Das brauchen natürlich auch viele, sonst wär das ja übermenschlich. Man kann ja von niemanden verlangen: du regst dich so auf, daß du den Tisch nimmst und durch diese Scheibe wirfst. Natürlich versuchen das viele, und es gibt gute Schauspieler die schaffen das auch, aber wenn man den so hochkocht, wenn man sagt, du bist so schwach in der Szene, dann ist klar, daß das auch überkochen kann.



// Also arbeitest du auch mit Tricks?



Nicht so wie die Großen, das kann ich noch nicht, das ist mir auch zu gefährlich manchmal. Da geht einem leicht der Laden in die Luft. Aber Strategien habe ich vielleicht schon. Wenn die Szene zum Beipspiel ernst sein soll, dann rede ich ganz ernst mit den Leuten.



// Wie so ein Spiegel, du spiegelst die Leute?



Ja schon, aber in dem Fall führe ich ihm auch seine Verantwortung vor Augen, glaube ich.






Ausblick

// Kannst du eigentlich noch Filme gucken nur so zum Spaß, oder geht das gar nicht, ohne daß du darauf achtest, wie etwas gelöst wurde?



Schwierige Frage. Tief beeindruckt bin ich natürlich schon oft. Daß man denkt, wow, die haben sich ja ganz schön viel Arbeit gemacht. Aber das sind dann nicht die guten Kinoerlebnisse. Die guten Kinoerlebnisse, das ist dann wenn man sich fragt: was ist denn das?? Das ist ne schlechte Szene, das ist scheiße geschrieben, und trotzdem macht das was mit einem. Das ist das allerbeste. Zum Beispiel einmal, da hab ich eine Schauspielerin gesehen und ich wußte nicht, was sie da macht. Ich hatte absolut keine Ahnung, was sie da eigentlich tut, was in ihr vorgeht. Oft denkt man ja, aha jetzt holt sie das von da und so, aber toll ist es wenn man sich einfach nur fragt: was soll das denn sein? Aber funktioniert hat es, meine Frage hat sich nach einer Weile in nichts aufgelöst.


Kino wirkt bei mir einfach immer emotional. Prestigio von Nolan zum Beispiel. Da sitzt man davor und sagt sich: eine irre Nummer, total brilliant ausgefuchst. Aber deswegen geh ich nicht in einen Film. Ich will überwältigt werden, aber emotional. Wenn das Filmemachen zu kopflastig wird, zu programmatisch, das finde ist schwierig, dann wird es bleiern irgendwie. Film als Knast, sozusagen.



// Du bist ja jetzt fertig an der Akademie, wie geht es weiter?



Ich lese viel zu Zeit, viele Drehbücher. Zum Beispiel lese ich gerade ein Buch von einem Freund, das ist etwas, das ist eigentlich gar nichts für mich, das ist ein Thriller. Aber ich mache das sehr gerne, daß man Zeug ließt und einfach guckt, ob einem was dazu einfällt.


Ich hatte auch schon vor Blindflug mit einem Stoff angefangen, das ist sone Familiengeschichte, vielleicht wird da ja was draus, mal sehen. Und sonst schneide ich eben. Das ist ein großes Hobby, das hat viel mit Musik zu tun. Rhythmisiertes Erzählen.



// Stört dich das dann nicht, wenn das nicht dein Material ist?



Das ist mir dann egal, ob das meine Bilder sind oder die von anderen. Wenn das Material so daliegt, dann sind das eben auch meine Bilder. Ich gehe damit um, als wenn es meine wären. Ich bin da nicht zu vorsichtig oder so. Ich hoffe eher, ich war jetzt nicht zu vorsichtig mit meinen...


Leserkommentare // Neueste
Anonymous  //  14:28 am 10.2.2007
Ähnliche Artikel //
Umfrage
    Generative Video-KI: Hast du ein Abo?







    Ergebnis ansehen

slashCAM nutzt Cookies zur Optimierung des Angebots, auch Cookies Dritter. Die Speicherung von Cookies kann in den Browsereinstellungen unterbunden werden. Mehr Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung. Mehr Infos Verstanden!
RSS Suche YouTube Facebook Twitter slashCAM-Slash