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Drehen für den Schnitt

Wer aus selbst aufgenommenen Bildern im Schnitt ein sinnvolles Ganzes rekonstruieren möchte, lernt schnell, worauf beim Drehen zu achten ist – ausser genug Batterien und Kassetten dabeizuhaben. Hier ein kleiner Ratgeber.

// 23:23 Di, 16. Sep 2003von

von Heike Krüger und Heidi Enzian






Vorbereitung

Angenommen, Sie möchten ein besonderes Event -- einen Geburtstag, ein Fussballspiel etc. -- filmisch festhalten. Wer hier unüberlegt die Kamera draufhält, wird im Schnitt merken, dass es unmöglich ist, mehrere Stunden Realzeit, die das Ereignis selbst dauerte, abzukürzen, ohne seltsame Sprünge und Lücken in der Erzählung zu erhalten. Es gilt, im Voraus einen Plan – im Fachjargon Storyboard – zu erstellen, um dem Film die nötige Struktur zu verleihen – eine zuweilen mühsame Arbeit, die sich jedoch lohnt. Wie lang soll der Film werden, was genau möchten Sie erzählen? Was wäre ein schöner Anfang, wie könnte der Film enden? Wenn Sie vermitteln möchten, wie nervös der Bräutigam vor der Trauung ist, dann können Sie beispielsweise zeigen, wie er verzweifelt die Ringe sucht. Sollten Sie diese Bildidee erst beim Schnitt bekommen, ist es allerdings zu spät. Definieren Sie im Voraus, welches die wichtigsten Momente des Events sind, d.h. welche Bilder unbedingt eingefangen werden müssen. Das wäre bei einem Geburtstag z.B. das Auspusten der Tortenkerzen und das Auspacken der Geschenke, oder beim Fussballspiel die Vorgespräche in der Mannschaftskabine, der Anpfiff etc. (wann die Tore fallen werden Sie leider nicht vorhersehen können...). Wie lassen sich all diese unterschiedlichen Momente zu einer Erzählung verketten? Ein filmischer Sprung aus der Umkleidekabine auf das Spielfeld wäre bestenfalls sehr avantgardistisch: Besser sind Aufnahmen von der Mannschaft, wie sie den Weg dorthin zurücklegt (natürlich nicht den Ganzen – dazu unten mehr). Überlegen Sie auch, welche Bilder Ihrem Film eine besondere Note verleihen könnten. Falls möglich, besichtigen Sie den Drehort vorher. So können Sie Ihre Einstellungen besser planen.


Professionelle Storyboards für Kurz- und Spielfilme sind oft so ausführlich gezeichnet, dass sie am Ende sogar als Schnittbericht funktionieren, entsprechende Aufnahmen vorausgestetzt. So genau müssen Sie natürlich nicht sein. Wenn Ihr Film ein Ereignis dokumentiert, auf das Sie als Regisseur kaum gestalterisch einwirken können, wird es auch nicht möglich sein, sich in allen Fällen an das Storyboard zu halten. Es hilft Ihnen jedoch, beim Sammeln interessanter Bilder nicht den Faden zu verlieren.






Abwechslungsreich

Sie haben nun hinter der Kamera den Durchblick und wissen, welche Ereignisse unbedingt eingefangen werden sollten. Als nächstes kommt es darauf an, diese Momente so aufzunehmen, dass sie später gut aneinander geschnitten werden können, um Ihrem Film Dynamik zu geben und unnötige Längen zu vermeiden.


Eine Einstellung von 10 Sekunden oder mehr erscheint leicht als langweilig (tatsächlich sieht man in heutigen Fernsehfilmen selten Einstellungen, die länger weilen als 3 Sekunden). Versuchen Sie statt dessen, unterschiedliche prägnante Momente einer Situation einzufangen. Der Profi nennt dies, eine Szene aufzulösen. Das gleiche Motiv sollte in unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen werden, wobei auch der Bildausschnitt verändert werden sollte. So können Sie im Schnitt die Takes aneinanderfügen, ohne dass Sprünge entstehen. Es empfiehlt sich, nicht zwischen sehr ähnlichen Bildausschnitten umzuschneiden, sondern von einer Halbtotalen immer nur zu einer Nahaufnahme oder zu einer Totalen, jeweils aus leicht verändertem Blickwinkel. Das geht natürlich nur, wenn man schon beim Dreh darauf geachtet hat – was bei Ereignissen, die nicht beeinflussbar sind, zugegebenerweise schwer ist. Wenn Sie aber auf einer Feier filmen, haben Sie alle Möglichkeiten. Bitten Sie die Personen freundlich, kurz innezuhalten, damit Sie Ihre Kameraposition wechseln können, oder eine Aktion zu wiederholen, damit Sie es aus einer anderen Perspektive aufnehmen können. (Den Luxus, mit mehreren Kameras drehen zu können, hat man selten.) Mit der Zeit werden Sie ein Gefühl dafür entwickeln, welche Perspektiven gut zusammenpassen werden.






Tempo

Die meisten Vorgänge dauern in der Realität immer länger als in einem guten Film. Es geht um die Kunst der Auslassung – die Essenz eines Vorganges einfangen, und den Rest weglassen. Um auf das Fussballbeispiel zurückzukommen: Der Gang vom Mannschaftsraum hinauf auf das Feld kann mehrere Minuten dauern. Wenn man in unterschiedlichen Takes zeigt, wie das Team den Raum verlässt, um eine Ecke im Flur biegt, eine Treppe hinabsteigt und schliesslich auf das Spielfeld zuläuft, hat man das Ganze schon gut abgekürzt. Ein Zuschauer ergänzt dabei die fehlenden Informationen. Ganz wichtig bei der verkürzten Darstellung von Bewegung: die sogenannten Anschlüsse.



Wer rechts raus fährt, muß von links wieder ins Bild kommen, sonst hat er scheinbar etwas vergessen...
Wer rechts raus fährt, muß von links wieder ins Bild kommen, sonst hat er scheinbar etwas vergessen...




Eine Person, die von links nach rechts durch das Bild läuft, muss nach dem Schnitt im nächsten Bild wieder von links ins Bild kommen, damit die Kontinuität der Bewegung gewahrt bleibt – sonst läuft die Person scheinbar zurück. Auch sollte sich Bildausschnitt und Blickwinkel verändert haben, um zu signalisieren, dass während dem Schnitt etwas passiert ist. Achten Sie auch darauf, die Aufnahmen möglichst neutral zu beginnen und enden zu lassen, also drücken Sie die Aufnahmetaste, bevor jemand ins Bild läuft, und Stop erst dann, wenn die Person aus dem Bild ist. Im Schnitt können Sie dann genau dort in die Bewegung schneiden, wo es am besten mit dem nächsten Bild zusammenpasst.



Ein mögliches Schnittbild bei einer längeren Sequenz vor dem Computermonitor
Ein mögliches Schnittbild bei einer längeren Sequenz vor dem Computermonitor




Retter in der Not: Schnittbilder

Es wird in den seltensten Fällen gelingen, Abläufe so zu filmen, dass alle Anschlüsse stimmen und sinnvolle, abwechslungsreiche Sequenzen vorliegen. Hier sind sogenannte Schnittbilder eine erforderliche Notlösung, um Szenen abkürzen zu können. Sie zeigen etwas, das in der Zwischenzeit passiert, damit der Sprung nicht auffällt – ein Detail des Vorgangs, nähere Informationen oder ein parallel stattfindendes Ereignis. Etwa: Mannschaft verlässt Kabine, Schnitt auf jubelndes Publikum, Schnitt auf Mannschaft, die das Fussballfeld betritt. Aber nicht nur zum Verkürzen dienen Schnittbilder, sondern auch um Schnittfehler zu kaschieren. Wenn Material fehlt, sodass mehrmals in die gleiche Perspektive geschnitten werden muss, fällt es weniger auf, wenn etwas anderes dazwischen gelegt wird. Man sollte also immer daran denken, genügend Schnittbilder zu drehen.






Vorsicht: Achsensprung

Wer besonders ambitioniert an sein Filmprojekt herangeht, sollte beim Drehen aus unterschiedlichen Kamerapositionen auch darauf achten, dass es nicht zu einem sogenannten Achsensprung kommt (siehe Skizze). Dieser kommt zustande, wenn bei der Aufnahme einer Aktion, wie etwa einem Tennismatch, die Kontrahenten nicht von der gleichen Seite aufgenommen werden. Es entsteht dann der Eindruck, als spielten beide in die gleiche Richtung, und nicht gegeneinander, wie unser Beispiel illustriert. Das gleiche gilt natürlich bei Dialogaufnahmen: damit sich die Sprechenden ansehen und auch ansprechen, muss die Kamera auf der gleichen Seite einer gedachten 180° Linie bleiben.



So würde die 180-Grad-Linie bei einem Match verlaufen...
So würde die 180-Grad-Linie bei einem Match verlaufen...


 ... Kameraposition 1 und 2 kombiniert zeigen den Spielverlauf richtig...
... Kameraposition 1 und 2 kombiniert zeigen den Spielverlauf richtig...




... Kameraposition 3 springt dagegen über die Achse -- man spielt nicht mehr gegen sondern scheinbar miteinander.
... Kameraposition 3 springt dagegen über die Achse -- man spielt nicht mehr gegen sondern scheinbar miteinander.





Kontinuität

Die Sequenzen eines Films werden in den seltensten Fällen in der gleichen Reihenfolge gedreht, wie sie am Ende auf der Leinwand erscheinen. Daher gibt es bei Spielfilmproduktionen meist eine Person, die extra für die „Continuity“ zuständig ist, d.h. sie passt auf, was die Schauspieler in welcher Szene anhaben, wo Gegenstände in einem Raum plaziert sind, ja sogar ob ein Glas voll oder leer ist. Wenn in einem späteren Take ein Glas, das bei früheren Aufnhamen randgefüllt war, plötzlich halbleer ist, wird eine daraus zusammengeschnittene Sequenz einen Continuity-Fehler beinhalten.


Auch bei kleineren Filmprojekten lohnt es sich, ein wachsames Auge auf die Details zu haben, vor allem wenn Sie Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven sammeln. Dies ist ja oft nur möglich, wenn die Personen im Bild die gleiche Bewegung mehrmals hintereinander machen. Wenn Ihr Objekt also in einer Einstellung das Sektglas mit der rechten Hand zum Toast hebt, sollte sie in der nächsten Einstellung auch beim Trinken das Glas in der rechten Hand halten, sonst wird beim Umschneiden die Illusion eines durchgehenden Ereignisses gebrochen. Vor allem bei dokumentarischen Filmen lassen sich Continuity-Fehler nie ganz vermeiden – man versucht dann im Schnitt, diese mit Hilfe der schon erwähnten Schnittbilder zu kaschieren.






Weitere Tips

- Vermeiden Sie vor allem Zooms aber auch Schwenks, wenn sie nicht von den Bildinhalten her motiviert sind: Material mit bewegter Kamera ist besonders schwierig zu schneiden – mal davon abgesehen, dass Zooms dem natürlichen Sehen widersprechen. Stellen Sie statt dessen Dynamik her, indem Sie bewegte Vorgänge in unterschiedlichen Standbildern aufzeichnen. Stativ nicht vergessen!


- Vorsicht bei O-ton: Wenn bei den Aufnahmen im Hintergrund Musik läuft, gibt es hörbare Sprünge, wenn das Material im Schnitt neu zusammengefügt wird. Wenn möglich, Musik ausschalten (z.B. im Auto).


- Ein zweiter Punkt in Sachen Audio: Alles, was im Film zu hören ist, sollte auch gezeigt werden. Wenn im Hintergrund immer wieder ein vorbeifahrender Zug zu hören ist, weil der Drehort in der Nähe eines Bahnhofes liegt, sollte man auch versuchen, diesen Zug einmal im Bild unterzubringen. Mit dieser Information im Hinterkopf irritiert das Geräusch die Zuschauer nicht mehr.




Sie haben nun eine Vorstellung davon, worauf es ankommt. Natürlich sollten Sie beim Filmen auch Spass haben. Aber je mehr Sie beim Dreh an den fertigen Film denken, umso mehr Freude wird Ihnen auch der Schnitt bereiten...






Checkliste:

- Vorher Storyboard anfertigen: welche Bilder brauchen Sie?


- Beim Drehen unterschiedliche Bildwinkel und -ausschnitte des gleichen Motivs aufnehmen


- Bei längeren Abläufen unbedingt prägnante Momente aufnehmen, um im Schnitt Szenen abkürzen zu können


- Schnittbilder nicht vergessen


- 180° Regel beachten um Achsensprünge zu vermeiden


- Bei zeitversetzten Aufnahmen auf die Continuity achten





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