Waren schon die Vorgängermodelle HF G20 und G25 auffällig bullig, setzt die neue Canon HF G30 noch einen drauf. Einen derart voluminösen Camcorder mit Handschlaufe haben wir gefühlt im letzten Jahrhundert das letzte mal getestet. Auch das Gewicht von fast einem Kilogramm passt so gar nicht zu den preisähnlichen Modellen der Konkurrenz.

Aber Camcorder mit einer gewissen Masse finden sicherlich eine Käuferschicht, welcher die Miniaturisierung der letzten Jahre als unkonfortabel erscheint. Wer es kleiner will, kann bei Canon ja eine Preisstufe tiefer einsteigen. Denn auch beim Listenpreis von 1499 Euro gibt sich die HF G30 gewichtig. Das ist noch einmal mehr, als Sony oder Panasonic in diesem Segment für ihre Topmodelle veranschlagen. Folglich weckt das neue Canon-Paket ziemlich hohe Erwartungen.
Optik und Sensor
Die üppige Optikkonstruktion wirkt für die meisten Eventualitäten gewappnet. Dem imposanten 26,8mm Weitwinkel (Kleinbild-Äquivalent) steht ein optisch 20facher Zoombereich entgegen. Die minimale Blendenöffnung liegt dabei je nach Brennweite zwischen beachtlichen F1,8 und F2,8. Der Filterdurchmesser selbst liegt bei 58mm.
Der dahinter liegende Sensor übertrifft mit seinen 1/2,84-Zoll nur knapp seinen Vorgänger mit 1/3 Zoll. Die effektiven Pixel für Videoaufnahmen wurden dabei von 2 Millionen auf knapp 3 Millionen erhöht, womit der Sensor nicht mehr eine optimales Ausleseraster für FullHD besitzt.
Ein größerer Chip wäre auch im Videobereich sicherlich eine erfrischende Neuigkeit und damit ein weiteres Alleinstellungsmerkmal in dieser Preisklasse gewesen. Allerdings wäre damit wohl nicht mehr eine so universelle Optik kombinierbar gewesen.
Der Fokusring ist schön schwergängig und natürlich elektronisch entkoppelt. Dazu lässt sich Drehrichtung und Empfindlichkeit im Menü einstellen. Etwas versteckt gibt es auch die Funktion, einen vorher definierten Schärfepunkt anzufahren (Focus Preset). Dies gelingt allerdings nur im speziellen Fokus-Touchmenü und nicht bei einer vergrößerten Fokus-Ansicht. Dafür lässt sich die automatische Schärfe-Zieh-Geschwindigkeit auch im Menü in drei Stufen einstellen.
Flexible Bedienung?
Der zweite Ring unter dem Objektivring ist ergonomisch nicht so gut zu bedienen. Der aktivierende Knopf dahinter liegt irgendwie zu versenkt, als dass man ihn mit der Daumen-Seitenfläche noch bequem mitbedienen könnte (was ergonomisch jedoch wohl so gedacht war). Über diese Ring-Button-Kombination kann man Blende, Verschlusszeit und Gain durchsteppen und verändern, was jedoch aus den genannten ergonomischen Hindernissen weitaus unbequemer gelingt, als über den Touchscreen.
Auch die fünf frei belegtbaren Tasten klingen erst einmal toll, aber leider stellt Canon bei weitem nicht nicht alle praktischen Menü-Funktionen für diese Tasten zur Verfügung. Zebra ist beispielsweise ebensowenig zuweisbar, wie das oben erwähnte Focus Preset.
Der Zebra-Modus kennt übrigens sowohl 70 als auch 100 Prozent, ist aber im Menü kaum aufzufinden. Zum (de)aktivieren muss man im speziellen Bildschirmmenü für manuelle Belichtung sein, in dem sich auch Blende, Belichtungszeit und Gain getrennt über das Bildschirmmenü regeln lassen. Dieses sollte sich zwar einer externen Taste zuweisen lassen, jedoch wollte uns das nicht gelingen. Vielleicht ist dies jedoch auch der frühen Firmware-Version unseres Testgerätes geschuldet (0.0.0.2).
Ein Histogramm oder sogar ein Waveform-Display zur Bildkontrolle haben wir gar nicht vorgefunden. Schade, die günstigere HF G25 konnte gerade in diesem Bereich noch durch einen professionellen und flink reagierenden Waveform-Monitor glänzen, den die Konkurrenz nicht zu bieten hat.
Weitere Ausstattung
Der 3,5 Zoll-Organic-LED-Touchscreen zeigt kräftige Farben und wirkt dank 1,2 Mio Pixeln entsprechend scharf. Dies gilt prinzipiell auch für den ausziehbaren und hochklappbaren Sucher.
Jedoch bietet die vorgesetzte Optik keine durchgehend scharfe Flächenabbildung. So wird der Sucher beim Blick durch die Muschel bei scharfer Bildmitte zum Rand hindeutlich unschärfer. Oder ist eben nach leichter Augenbewegung am Rand scharf, aber nicht in mehr der Mitte. Fairerweise muss man sagen, dass Canon mit diesem grundsätzlichen Problem nicht alleine da steht.

Integrierten Speicher gibt es nicht mehr, dafür aber weiterhin 2 SD-Karten Slots, die sowohl für nahtlose Langszeitaufnhamen wie auch für gleichzeitige Backup-Aufnahmen auf eine zweite Karte dienen können. Hierbei ist sogar eine gleichzeitige Aufnahme im AVCHD- und MP4-Format möglich.
Die Audio-Sektion ist mit Mikrofon- und Kofhöreranschluss per Mini-Klinke klassentypisch, eine analoge Aussteuerung will jedoch nur mit externem Mikrofon gelingen. Übrigens kann Canon auch nur mit einem zusätzlichen, externen Mikrofon 5.1. Surround Sound aufnehmen. Was ja auch irgendwie Sinn macht.
Die Bildcharakteristik ist (unter dem etwas untreffend genannten Menüpunkt Bildeffekte) in Farbtiefe, Kontrast, Helligkeit und Schärfe frei einstellbar, allerdings nur in 5 Stufen, die nicht sonderlich stark variieren. Und auch der integrierte ND Filter findet sich wieder nur mit den Optionen "Automatik" oder "Aus". Wenn die ND-Automatik aktiviert ist, erscheinen zusätzliche ND-Filter-Einstellungen(ND 1/2, 1/4 und 1/8) als Parameter in der Blendensteuerung zwischen F4.0 und F4.8. Und nur dort lassen sich dann Blende und ND-Filter fest gekoppelt einstellen. Das kann zwar irgendwie Sinn machen, wenn man bei konstanter Blende in diesem Bereich nicht den Shutter verändern will. Aber warum Canon ihn überhaupt festsetzt, bleibt schleierhaft. Schließlich brauchen viele Filmer einen ND-Filter entweder, um bei Telemakro-Aufnahmen mit dem Camcorder noch mehr Schärfentiefe rauszukitzeln oder um bei fast geschlossener Blende nicht überbelichten zu müssen. Beide Standard-Fälle gelingen mit der Canon-Implementierung nicht. So gesehen ein etwas zahnloses Feature, aber andere Kameras in dieser Preisklasse haben überhaupt keinen ND-Filter.
Neues Innenleben und Geschwister
Wirft man einen Blick hinter die Kulissen des Gehäuses, so ist die erste auffällige Änderung dem DIGIC DV 4 Prozessor geschuldet, der nun nach mehr als 5 Jahren den letzten speziellen Camcorderprozessor (DIGIC DV 3) ablöst. Hiermit ermöglicht Canon nun endlich auch wie die Konkurrenz echte 50p Aufnahmen. Und zwar entweder in AVCHD mit maximal 28 Mbit oder sogar mit 35 Mbit/s in MP4. Im speziellen Cinema-Modus sind jedoch nur maximal 25P bei 24Mbit/s möglich. Echte 24p werden (zumindest im europäischen Modell) gar nicht unterstützt. Es gibt zwar eine “Zeitlupe/Zeitraffer”-Funktion, jedoch legt schon der dialektische Name nahe, dass es sich hier um eine kleine Mogelpackung handelt. Im 25p Modus wird hier mit mit 50p aufgezeichnet und in 50p mit 25p. Also nichts, was man nicht auch im Anschluss im Schnittprogramm bewerkstelligen könnte.
Die sehr bauähnlichen Profi-Geschwister XA20 und XA25 besitzen mit ihrem abnehmbaren XLR-Handgriff das gleiche Bedienkonzept wie der Vorgänger XA10. Im Griff ist zudem eine Infrarot-Lampe integriert, welche die zusätzlichen Aufnahmemöglichkeiten im Infrarot-Modus optimiert. Die XA25 besitzt sogar einen SDI-Anschluss, spielt aber auch preislich schon in einer komplett anderen Liga (2499 Euro).
WLAN Funktionen
Ach ja. Wireless Lan beherrschen ebenfalls alle Modelle. Der Remote Browser kann die Wiedergabe des vom Camcorder aufgenommenen Filmmaterials auf einem Smartphone oder Tablet via Browser zeigen ohne zusätzliche Playback-Software installieren zu müssen.
Über FTP File Transfer haben Filmer die Möglichkeit, ihre Videos mit bis zu 150 Mbps via WLAN-Zugangspunkt an einen FTP-Server zu senden. Bei vorhandenem WLAN-Netzwerk und DLNA lässt sich per Media-Server auf dem Camcorder gespeichertes Filmmaterial kabellos auf unterstützte TV-Geräte oder Computer wiedergeben. Der direkte Video-Upload für iOS-Systeme wird über die Anwendung Canon Movie Uploader unterstützt. Sie ermöglicht den direkten Dateitransfer und das Einstellen in YouTube oder Facebook mit Bitraten von bis zu 24 Mbps.
Aus dem Messlabor
Der Schärfeverlauf der Kamera ist sehr gleichmäßig und erstreckt sich fast linear ohne auffälligen Bauch über das gesamte Messspektrum.
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Das ansonsten fast perfekte Schärfeverhalten der Kamera wird nur durch leichte Moiré-Effekte in den Kreisen gestört.
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Der unaufällige Verlauf des Farbpegels ist in der Werkseinstellung eher stark eingestellt, lässt sich aber noch den eigenen Bedürfnissen anpassen.
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In Anbetracht des großzügig ausgelegten Weitwinkels liefert das Objekiv eine äußerst moderate Verzeichnung, die scheinbar nicht digital nachkorrigiert wird.
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Im Automatik-Modus lag der Weißabgleich bei unserer Testaufnahme etwas daneben. Wahrscheinlich ein Problem der frühen Beta-Firmware (0.0.0.2).
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Die relativ lichtstarke Optik (F1.8) sorgt in Zusammenarbeit mit dem DIGIC DV4 bei wenig Licht für Bilder auf Augenhöhe mit vielen Konkurrenten.
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Bei hochgedrehtem Gain zeigt die HF G30 noch erstaunliche Reserven. Die digitale Rausch-Filterung gelingt dabei sehr sauber.
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Die aufgezeichneten Störgeräusche des eingebauten Mikrofons sind für einen Consumer-Camcorder sehr gut.
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Fazit:
Das extrem vielseitige Objektiv dürfte wohl für viele Käufer das Hauptargument für die neue HF-G30 sein. Die restlichen Funktionen der Kamera sind gegenüber den direkten Konkurrenten “nur” auf Augenhöhe, mal etwas besser, mal etwas schlechter gelöst. Dabei hat Canon bei der Bedienung etwas Potential verschenkt, indem wichtige Funktionen eben nicht auf die frei belegbaren Tasten zu legen sind. Das voluminöse Äußere der Kamera dürfte die Anwenderschaft entzweien. Für das Urlaubsgepäck ist so ein Gerät jedenfalls schon definitiv zu groß. Als semiprofessionelle Produktionskamera kann die HF G30 dagegen viele Anwendungsfelder souverän abdecken.