Mit der Version 3.5 meldet sich Avid im Bereich DV-Schnitt erstmalig auf der Mac-Platform zurück und dies mit einer Software-Only-Lösung, die im Vergleich zu den Anfängen von Xpress DV, auf proprietäre Hardware verzichtet. Nachdem die Vorgänger-Versionen von Xpress DV der Windows-Welt vorbehalten waren, erhält der geneigte Avid-User beim Kauf der aktuellen Version sowohl die Windows XP-Version als auch die Mac Os X- Version. Dem Paket ist ein sowohl unter Windows als auch unter Mac funktionierender USB-Dongel beigelegt. In einem gemischten Netzwerk steht somit stets eine betriebsfähige Plattform bereit. Auf je 4 CDs kommt Avids aktueller DV-Schnitt daher und er bringt einiges an höchstwillkommenen neuen Features mit sich. Zu den Highlights zählen: mehr als 100 Echtzeiteffekte, eine komplett neue Farbkorrektur inkl. Colourmaching auf Symphony-Basis, sowie umfassende Soundtools. Diesen neuen Features gilt im Folgenden unser besonderer Augenmerk.
Interface
Für diejenigen, die sich bisher noch nicht mit einem Avid-System beschäftigt haben, vorweg eine kurze Vorstellung der einzelnen Elemente des Avid-Interfaces unter Mac Os X. Je nach zu bewältigender Aufgabe stehen unterschiedliche Desktop-Konfigurationen zur Verfügung, die im Menue "Toolset" ausgewählt werden können. Hier finden sich: "Basic" für den normalen Schnitt, "Color Correction" für Farbkorrekturen, "Source/Record Editing" für die Bearbeitung von Source-Dateien und Sequenzen nebeneinander, "Effects Editing" für das Anpassen von Effekten, "Audio Editing" für die Tonbearbeitung, sowie "Recording" für das Loggen und Ausspielen von DV-Material. Auf allen Desktops präsent ist die Timeline:
Timeline

Oberhalb der Timeline befindet sich die frei konfigurierbare Buttonleiste, in der die meistgebrauchten Funktionen abgelegt werden können. Die Buttons links von der Timeline aktivieren den Source Monitor, rechts davon werden einzelne Tracks gelockt und ein wenig weiter nach rechts wird der Composer Monitor ein- bzw. ausgeschaltet. Video- bzw. Audiosegmente, die mit In und Out markiert wurden, werden mit einen halbtransparenten Overlay markiert - alles sehr übersichtlich und für´s schnelle Arbeiten ausgelegt. Die Anzahl der maximal verfügbaren Videospuren hat sich verdoppelt von ehemals 4 auf jetzt 8 Spuren (wobei durch Nesting eine praktisch unbegrenzte Zahl zur Verfügung steht) - für die Audio-Tracks stehen ebenfalls nun 8 Spuren zur Verfügung. Effekte werden direkt auf die Videosequenzen gezogen und stehen sofort im Composer in Echtzeit zur Verfügung (soweit sie zu den Echtzeiteffekten gehören)- dazu später mehr. Die Videospuren werden mit V1, V2, V3... bezeichnet, die Audiospuren darunter mit A1, A2 etc..
Project Window
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Die Schaltzentrale bei Avid nennt sich Project Window und versammelt alle projektrelevanten Einstellungen. Der Karteireiter "Bins" (man stelle sich Container vor) listet einzelne Project-Bins auf, in denen sich die geloggten Source Daten befinden - von hier aus startet man im Zweifelsfall sein Schnittprojekt. "Settings" listet alle Konfigurationsmöglichkeiten von Xpress auf, dazu gehören Farbeinstellungen, Firewire-Preview auf externem Monitor, Audio-Einstellungen, Formatwahl etc... . Im Effekt-Reiter werden alle zur Verfügung stehenden Effekte für Video und Audio aufgelistet. Zurück zum Bin: Hat man seinen Bin gewählt, öffnet sich durch Doppelklick das entsprechende Fenster:
Bins

Die geloggten Clips werden in Bins organisiert und stehen in einer Vielzahl von Ansichtsmodi zu Verfügung. In unserem Screenshot als Thumbnails,die sich einzeln previewen lassen mit Bezeichnung, Start, Dauer, Tracks und Offline-Information sowie großen Texteingabefeldern. Wieviel Informationen der Operator über seine Clips haben möchte, bestimmt er selbst. Bei maximaler Information im Modus "Text" stehen pro Clip defaultmäßig 21 Infromationen zur Verfügung, von Dauer über Tape-ID, Videonorm, Festplatte etc. Der Clou hierbei ist eindeutig der Thumbnail-Preview, die ebenfalls über "JKL"-Tasten bedienbar bleibt. Sehr praktisch um bei einer Vielzahl von Clips mal schnell reinzusschauen. Per Doppelklick in ein Videoclip öffnet sich das:
Source Window

Im Gegensatz zum Composer, wo das auf der Timeline befindliche Material bearbeitet wird, gibt das Source-Window (wie der Name nahe legt) die Bearbeitung auf das Quell-Material frei. Abgesehen von den hier nicht benötigten Trimm und "Go to Next Edit"- Funktionen, bietet dieses Fenster die gleichen Bearbeitungsmöglichkeiten wie der Composer. Als sinnvolle Ergänzung findet sich hier defaultmäßig ein "Locator" Button, mit dem Kommentare zu einzelnen Sequenzen angebracht werden können und der sich als roter Overlay im entsprechenden Videoframe wiederfindet.
Composer

Der Composer gibt das Videomaterial auf der Timeline wieder und bietet eine Reihe vom direkten Bearbeitungsmöglichkeiten. Von links nach rechts finden sich folgende vertraute Buttons und Funktionen: "Fast Menu" (klappt die frei plazierbare Toolpalette aus), "Trim Mode" wechselt in die Trim-Ansicht des Composers, Step forward/backward, Mark in, Play, Mark out, Mark clip, Go to previous Edit, Go to next Edit (wechselt automatisch zur nächsten Schnittmarke), sowie Add Edit. Über die Toolpalette ist der Weg zur Audio- Titel- oder Effektbearbeitung kurz und damit praktisch.
interface / Gesamt
Ganz gleich ob Source-Dateien, abgerufen über den Sourcemonitor oder Clips aus der Timeline: Die Videosequenzen sind gut reaktiv und bieten bis in Einzelbild-Steps exakte Bearbeitungskontrolle. Was für die Werkzeugpalette gilt, funktioniert auch für den Composer, den Source Pop-Up Monitor und alle anderen einblendbaren Palletten, Werkzeuge und Listen: alles frei plazier- und konfigurierbar. Hat man einmal seine "Tools" auf dem Desktop von Avid Xpress DV fürs individuelle Arbeiten plaziert und eingerichtet, steht bei jedem neuen Programmstart der individuell konfigurierte Schnittplatz bereit - unabdingbar für Mehrbenutzer-Umgebungen, wie sie im professionellen oder schulischen Einsatz benötigt werden, wenn unterschiedliche Operators zu unterschiedlichen Zeiten an einem System arbeiten. Bei Mac Os X gilt es zu beachten, dass der am Mac OS angemeldete User automatisch auch der Avid-User ist, sobald er Xpress startet. Sollen mehrere User bei Xpress DV unter Os X eingerichtet werden, müssen diese erst für das Gesamt-System vergeben werden, was übrigens durchaus Sinn macht, da Mac Os X als Unix-System sehr streng zwischen einzelnen Usern mit ihren individuellen Berechtigungen trennt. Ein User kann in Xpress mehrere User-Profile haben, so dass eine individuelle Mehrfach-Konfiguration jederzeit möglich ist.
Farbkorrektur

o.k., wir kommen zur absolut wichtigsten Neuerung in Xpress DV: der Farbkorrektur. Auf der Interface-Seite teilt sich die Farbkorrektur in zwei unterschiedliche Screens: dem Composer, und dem eigentlichen Correction Tool.
Der Composer teilt sich in drei Ansichten auf, wobei die Mittlere die zu korrigierenden Schnittsequenz zeigt, der Linke die Sequenz davor und die Rechte die Sequenz danach. Dieses 3-Fenster-System ist den meisten Avid-Cuttern von den großen Avid Suiten wie der Symphony vertraut. Es läßt sich kaum eine bessere Methodik vorstellen, um bei umfangreicheren Projekten zu einer konsistenten Farbgebung zu kommen. Mit diesem 3-Fenster Set-Up läßt sich Schnittpunkt nach Schnittpunkt auf der Timeline ansteuern: der Cutter sieht aus welchem Farbraum er kommt, in welchem er sich derzeit befindet und in welchen er gehen wird. Diese Vorher-Jetzt-Nacher Verteilung von Videomaterial ist jedoch nicht zwingend. Es läßt sich beispielsweise im linken Fenster ein Referenz-Frame fixieren, der kontinuierlich angezeigt wird, während man von Schnittpunkt zu Schnittpunkt navigiert und anhand des Referenz-Frames die jeweiligen Sequenzen anpasst.
Doch auch damit nicht genug: Die Farbkorrektur funktioniert in Echtzeit - allerdings handelt es sich hierbei defacto um einen Preview (PAL-Aulösung/Ausspielung muss wie bei anderen Systemen nachwievor gerendert werden). Zusätzlich läßt sich jedes der drei Composer Fenster intern nochmals in ein Vorher-Nacher teilen (s. Screenshot). Dieser Preview-Bereich läßt sich mit Kontrollpunkten an jeder Ecke frei im jeweiligen Fenster platzieren. Man kann somit gezielt die Farbwahl in bestimmten Bildbereichen überprüfen oder vergleichen, ob man mit den bisherigen Farben insgesamt zufrieden ist.
Es kommt noch besser: Zusätzlich lassen sich Farben gezielt korrigieren. Gemeint ist selektive Farbkorrektur; Avid spricht von Colour Matching. Eines der wichtigsten professionellen Farbkorrektur-Optionen überhaupt. Folgendes Szenario: Es wird an zwei Tagen gedreht. Am ersten Tag scheint die Sonne ins Gesicht des Darstellers am zweiten Tag gibts Wolken: es muss mit Kunstlicht gedreht werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit, wird der Hautton des Darstellers im Vergleich von Tag 1 zu Tag 2 einen Unterschied aufweisen. Dieser Unterschied läßt sich mit selektiver Farbkorrektur nivellieren. Mit der Pipette aus dem Colour Matching Bereich wird der Hautton von Tag 1 als Referenz abgenommen und gespeichert und gegen den Wert von Tag ausgetauscht: fertig. Na gut, ein bißchen muss man immer noch Nachjustieren - aber es funktioniert erstaunlich gut, zumal Xpress DV spezielle Algorithmen zur Auswahl stellt, die sich unter der Bezeichnung NaturalMatch verbergen, wo spezielle Luminanz-, Sättigungs- und Farbschattierungsverhältnisse umgesetzt werden. Darüber hinaus lassen sich auch einzelne Werte wie Luminanz oder Sättigung etc.. abgleichen und die Größe der abgenommenen Farbfläche regulieren.

Auch die Darstellungsoptionen der Korrekturtools lassen kaum Platz für Wünsche: Ob Bezier-Kurven, Zahlen-Eingabe oder Farbräder: Alles da. Schade eigentlich, dass mit Xpress DV ausschließlich DV-Material verarbeitet werden kann. Missen will man die Farbkorrektur jedoch nicht mehr, wenn man einmal mit ihr gearbeitet hat. Bei all der Pracht in Sachen Farbkorrektur verwundert es allerdings ein wenig, dass die Farbkorrektur nicht über Keyframes animierbar ist. Vielleicht ab Version 4.0 ?
Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass die Farbkorrektur von Xpress DV zum besten gehört, was derzeit im DV-Bereich zu haben ist.
Echtzeit
Mit 3.5 hat Echtzeit bei Xpress DV Einzug gehalten. Insgesamt 104 Effekte, in der Effektpalette mit einem grünen Punkt gekennzeichnet, sind nunmehr in Echtzeit zu haben. Kein anderes mir bekanntes Schnittprogramm im DV-Bereich bietet derzeit mehr Echtzeit-Effekte.
"Echtzeit" ist allerdings immer auch eine Art Zauberformel für das Marketing von Bewegtbild-Applikationen gewesen. Persönlich bin ich mir nicht sicher, inwiefern 60 verschiedene "Wipes" in Echtzeit die Qualität der Arbeit eines Cutters entscheidend steigern, zumal bei der Ausgabe auf Band nachwievor gerendert werden muss. Es wird jedoch mittlerweile von Programmen, die in der Liga von Avid spielen, erwartet, echtzeitfähig zu sein und drum freuen wir uns ob der renderfreien Timeline, denn schaden tuts jedenfalls auch nicht. Anders sieht dies übrigens bei der oben beschriebenen Farbkorrektur aus - hier bedeutet die Echtzeitfähigkeit auf jeden Fall effektiveres Arbeiten.
Die Konfiguration von Effekten geht leicht von der Hand: Gewünschten Effekt aus der Effekt-Palette des Project- Windows auswählen und auf die entsprechende Sequenz auf der Timeline ziehen. Handelt es sich um einen Übergang, wir dieser direkt auf der Schnittmarke platziert. Individuell konfiguriert können die Effekte im Nachhinein werden, indem man den Positions-Zeiger über dem Track positioniert, auf dem sich der Effekt befindet und dann den Button "Effect Mode" aktiviert. Der entsprechende Effekt steht nun mit seinen individuellen Settings und, optional, Keyframe-Einstellungen zur Verfügung. Wer mehrere Effekte auf einen Track anwenden möchte, muss zum sog. "Nesting" greifen: Hierbei werden Gruppen von Tracks mit dem jeweilig individuell konfigurierbarem Effekt erzeugt. Pro Track können so 4 weitere Tracks genestet werden.
Tonbearbeitung

Die Soundtools von Avid Xpress sind umfangreich. Zu den erfreulichen Neuerungen gehört die sogenannte Punch-In-Funktion, mit der sich live Videosequenzen über ein angeschlossenes Mikro vertonen lassen - hilfreich für denjenigen, der mit Xpress auf einem Laptop vor Ort einen Schnitt zu vertonen hat. Durch die seit Mitte der 90er Jahre zu Avid gehörende Protools-Familie von Digidesign öffnet sich dem Avid-User die Plugin-Palette der Audio-Suite-Effekte, die Avid Xopress beigelegt hat und die sich durchgehend alle auf qualitativ hohem Niveau befinden. Etwas irritierend fiel das zu langsame Updaten der Audio-Spur auf, wenn man mit der Maus auf der Timeline scrubbt. Zwar läßt sich das Problem durch JKL-Tastaturkontrolle umgehen - für die Maus-Benutzer bleibt dies jedoch verbesserungsbedürftig. Positiv hingegen fiel die Möglichkeit auf, die Tonspuren einzeln abzumischen - hier können sich andere Programme noch was abschneiden. Wem die diversen Sound-Bearbeitungsmöglichkeiten, die bis hin zu einzelnen Tonhöhenveränderungen reichen, nicht genug sind, der exportiert den Sound als OMF-Datei und kann dann in Pro Tools oder anderen das OMF-Format unterstützenden Sound-Editoren, Sequencern etc. nach Lust und Laune seinen Waveforms fröhnen.
Fazit
Fassen wir nochmal zusammen:
Avid Xpress hat in der Version 3.5 beeindruckende Neuerungen eingeführt: Es steht erstmalig für die Mac-Platform unter OS X zur Verfügung, es bietet die derzeit beste Farbkorrektur im DV-Bereich, es läßt sich problemlos für Projekte als Offline-Editor nutzen, die später an einem größeren Avid "geonlined" werden sollen, es bietet zahlreiche Echtzeit-Effekte und die zur Verfügung stehenden Audio- wie Video-Spuren wurden von je 4 auf 8 verdoppelt. In der Konfiguration "Powerpack" stehen zusätzlich das Illusion Plugin-Packet, ein Image Stabilizer, Boris FX 6, sowie das DV Filmmaker Toolkit zur Verfügung. Xpress 3.5 kommt pro Paket für sowohl Windows XP als auch für OS X (mit einem Multiplatform-Dongel) daher. All dies hat seinen Preis: Für das Powerpack verlangt Avid 2.900 Euro (zzgl. Mwst), die Standard-Version ist für 2.000 plus Mwst zu haben.
Die Zielgruppe von Xpress 3.5 liegt einerseits ganz klar im professionellem Produktionsumfeld von groß bis klein, wo bereits Avid-Erfahrung oder sogar Hard- und Software besteht und andererseits im Ausbildungsbereich, wo speziell auf das Avid-Interface / Workflow ausgebildet werden soll. Hierbei spielt Avid seine traditionell gewachsenen Stärken souvereign aus: Hohe Stabilität, Solide Schnittfunktionen, individuelle Konfigurierbarkeit, sowie hoher Grad an Integrationsfähigkeit in andere Avid-Systeme. Diese Aufzählung allein dürfte für viele eine kaufentscheidene Rolle spielen und wohlgemerkt: falsch kann man mit einem Avid-System eigentlich kaum liegen. Allen Mac-Usern sei abschließend gesagt, dass sich da ein spannendes Rennen zwischen Xpress und Final Cut Pro abzeichnet.
rob