Aktuelles 3D goes Indie auf der Berlinale -- und im Kino (Wenders Pina; The Mortician)

3D goes Indie auf der Berlinale -- und im Kino (Wenders Pina; The Mortician)

Heute kommt ein Film in die Kinos, dem es gelingen könnte, neue Fans für den stereoskopischen Film zu gewinnen. Seine Hommage an Pina Bausch wäre ohne 3D nie entstanden, so Wenders, und er selbst -- nun, er sei "totally hooked on 3D"... Wir hatten das Vergnügen, unter anderem "Pina" schon auf der Berlinale sehen, und verraten Euch warum und für wen sich in diesem Fall ein Kinobesuch lohnt. Und auch, was Wenders und sein Stereograph auf dem Talent Campus über die Dreharbeiten erzählten.

// 15:19 Do, 24. Feb 2011von

Vor ein paar Wochen ging ein offener Brief von Walter Murch (der sich bekanntlich mit Filmmontage auskennt wie wenig andere) durch das Netz, in dem er nachdrücklich gegen 3D Stellung bezog. Es sei evolutionär nicht vorgesehen, daß menschliche Augen 3D-Bilder wahrnehmen sollen, meint Murch darin unter anderem und zielt dabei auf die Tatsache ab, daß beim Betrachten eines stereoskopischen Bildes die Augen zwar auf die Leinwandebene fokussieren müssen (denn dort liegt schließlich das Bild), jedoch meist auf einer anderen Ebene konvergieren (beim Betrachten von Objekten hinter oder vor der Leinwand). Beim natürlichen Sehen liegen diese Punkte dagegen immer auf der gleichen Ebene. Unbestritten dürfte wohl tatsächlich sein, daß diese "neue" Art zu sehen (die nicht neu ist, da schon vor über hundert Jahren stereoskopische Aufnahmen gemacht wurden, aber das ist ein anderes Thema) ungewohnt ist und somit durchaus ermüdend sein kann.


Aber tatsächlich mußte auch der Blick aus dem Eisenbahnfenster im 19. Jahrhundert erlernt werden: huschen die Objekte doch dabei in unterschiedlicher Geschwindigkeit am Betrachter vorbei, die näherliegenden sind kaum auszumachen, während im Hintergrund die Szenerien langsam vorbeiziehen. Es gilt sozusagen, durch den beschleunigten Nahbereich hindurchzusehen; etwas damals komplett Neues. "Die Geschwindigkeit und Verschiedenheit der Eindrücke ermüden notwenigerweise sowohl das Auge als auch das Gehirn. Die andauernd sich verändernde Entfernung der Gegenstände erfordert eine unablässige Anpassungsarbeit des Apparats, durch den sie scharf auf die Retina eingestellt werden; und die geistige Anstrengung des Gehirns, sie aufzunehmen, ist kaum weniger ermüdend dadurch, daß sie unbewußt geleistet wird" heißt es dazu in einer medizinischen Zeitschrift aus dem Jahre 1862***.


Mag sein, daß mit 3D ein radikalerer Sehumbruch gefordert wird; zu leisten ist er dennoch für die meisten, sofern das 3D-Bild gewisse Regeln beachtet. Und wie beispielsweise Wim Wenders mit PINA -- ein Film, den er ohne 3D nie realisiert hätte -- zeigt, muß der Spaß nicht einmal sonderlich ermüdend sein...



Hier schon mal zur Einstimmung der Trailer (leider in 2D):









Pina -- ein neuer Weg, mit Tanz umzugehen

Mehrere stereoskopische Filme von sehr unterschiedlicher Machart fanden den Weg ins diesjährige Berlinaleprogramm, eines jedoch verbindet sie alle: sie verzichten auf Gimmicks und lassen die 3D-Technik in den Hintergrund treten. Meist sogar wortwörtlich: statt den Film scheinbar in den Kinosaal hereinragen zu lassen, um dem Publikum die Figuren näherzubringen, öffnen sich hier vor allem neue Räume hinter der Leinwand. Man sieht dabei als Zuschauer wie durch ein Fenster in eine Welt, die der eigenen Realität mit seinen physikalischen und sensorischen Regeln zu entsprechen scheint. Man sieht nicht ein Bild auf einer Leinwand, sondern es ist eher, als existierte diese nicht. Als gäbe sie statt dessen die Sicht frei auf Dinge, die sich in einem Raum hinter ihr ausdehnen. Bei 3D-Darstellungen, die Objekte in den Raum ragen lassen (negative Parallaxe), geht dagegen leicht der Effekt verloren, da Figuren und Objekte oft von unsichtbaren Kanten angeschnitten werden, sich bei Bewegung irgendwann in Luft auflösen und außerdem für Zuschauer der Abgleich mit der eigenen Situation viel eher möglich ist (ich sitze hier im Kino, vor mir sind noch einige Sesselreihen, es kann also nicht sein, daß ein Raumschiff hier durchfliegt). Liegt dagegen das Dargestellte hauptsächlich hinter der Leinwand (positive Parallaxe) so ist es zwar immer noch sehr unwahrscheinlich, daß dort Weltraumschlachten ausgetragen werden, aber zumindest sind die Wahrnehmungseindrücke eher konsistent.



3D goes Indie auf der Berlinale -- und im Kino (Wenders Pina; The Mortician) : city




Obwohl nun Wim Wenders mit seiner Hommage an Pina Bausch das Publikum faktisch gesehen nicht weiter als nach Wuppertal entführt, war dennoch gerade die absolut naturalistische Raumdarstellung ein zentrales Anliegen bei den Aufnahmen, nämlich um das Tanztheater der 2009 verstorbenen Choreographin möglichst lebendig erfahrbar zu machen. Dabei, so Wenders, sollte 3D selbst als Effekt idealerweise unsichtbar sein, aber seine Wirkung um so effektiver. Der Raum, in dem sich die Tänzer bewegen, sei es auf der Theaterbühne, in der Schwebebahn oder an Straßenkreuzungen, mußte folglich homogen abgebildet werden, damit er nicht die Aufmerksamkeit auf sich zieht und auch damit mit bzw. in ihm auch die tänzerischen Bewegungen realistisch aussehen. Doch die Kamera bleibt dabei nicht statisch, möchte nicht nur die optische Illusion unterstreichen sondern mittanzen. Sie bewegt sich sachte auf die Tanzenden zu, entfernt sich, dreht sich.


Wie in einem Podiumsgespräch im Rahmen des Talent Campus zu erfahren war, gingen Wenders und sein Stereograph Alain Derobe -- ein Pionier des 3D-Kinos und ua. Entwickler des P+S Stereorigs -- um den naturalistischen Eindruck zu erreichen in Punkto 3D-Settings äußerst sorgfältig und behutsam vor, außerdem wurden nur Optiken aus einem ähnlichen Brennweitenbereich verwendet. Bei einem Wechsel von einer weitwinkeligen Optik zu einer teligen Variante hätte sich die Perspektive und mit ihm der Tiefeneindruck verändert: der dargestellte Raum wäre nicht mehr durchgehend konsistent, und mit der Tiefe ändert sich auch die Bewegung im Raum.






Herausforderungen beim Dreh, von Strobo bis Polarisation...

Große Probleme bei den Aufnahmen bereiteten offensichtlich die beim Tanz häufig verlangten, schnellen Bewegungen, die in 3D sehr schnell stroboskopieren -- die Tänzer sahen laut Wenders aus "wie indische Göttinnen mit mehreren Armen". Eine Verdoppelung der Bildrate auf 50 Frames brachte zwar eine perfekte Bewegungsauflösung, konnte zum großen Bedauern des Regisseurs aufgrund des Kinostandards 24p jedoch nicht verwendet werden. Um auch hier einer realistischen Darstellung näherzukommen, wurde statt dessen viel mit Bewegungsunschärfe gearbeitet (ob diese schon beim Dreh über die Anpassung der Verschlußzeit erreicht oder nachträglich hinzugefügt wurde, ging leider nicht ganz klar hervor).



Übrigens lieferte Derobe (dem man gerne noch länger zugehört hätte) auch noch eine recht einleuchtende Erklärung, weshalb eine geringe Schärfentiefe in einem 3D-Bild eher kontraproduktiv sei. Sie hat nichts mit Sehgewohnheiten oder der Lenkung von Zuschauerblicken zu tun, sondern ist rein wahrnehmungsphysiologisch begründet. Und zwar müssten, damit ein Zuschauer zwei Bilder zu einem dreidimensionalen Eindruck kombinieren kann, diese möglichst scharf sein, sonst gäbe es entsprechend wenige räumliche Anhaltspunte für Tiefe. Während also Unschärfen im 2D-Bild die Räumlichkeit betonen, reduzieren sie sie in 3D.



Trotz der Vielzahl an Tests und dem hohen Aufwand blieben grundlegende Schwierigkeiten bei der 3D-Filmerei bestehen, etwa um die Polarisationseffekte in den Griff zu bekommen, oder auch bei hohen Kontrasten im Bild. Man merkt dies beispielsweise, wenn sehr helle Kleidung auf einer sehr dunklen Bühne getragen wird (dann flimmert es leicht). Was die Montage betrifft, so war bei der Filmvorführung an einer der seltenen Stellen, an denen kein harter Schnitt verwendet wurde, sehr schön zu sehen, daß Überblendungen zwischen sehr unterschiedlichen Einstellungsgrößen (von einem Portrait in die Totale) die räumliche Illusion zerstören. Als "Jugend forscht" bezeichnete Wenders selbst den Editing-Prozeß -- bei dem sich schnell zeigte, daß vieles, was er über 2D-Schnitt gelernt hatte, nicht funktionierte. Ebensowenig funktionierte die anaglyphe Vorschau im Schnitt, mit der er sich in keinster Weise anfreunden konnte. Daher wurde ein Projektionssystem mit zwei Beamern installiert, auf dem das zunächst in 2D geschnittene Material nach dem Rendern in 3D gesichtet wurde.


Apropos Projektion: auch diese spielt eine große Rolle für das Erlebnis der Zuschauer. Obwohl man bei der Produktion perfekte Arbeit geleistet hat, kann das Resultat im Kino mittelmäßig wirken, je nach Qualität und Einrichtung des Vorführsystems.



3D goes Indie auf der Berlinale -- und im Kino (Wenders Pina; The Mortician) : muskeln







Tanztheater trifft 3D, und es macht Klick...

Daß offensichtlich auf technischer Ebene vieles richtig gemacht wurde bei diesem Film, merkt man als Zuschauer vor allem daran, wie unanstrengend das Seherlebnis ausfällt (zumindest uns ging es so). Vielleicht liegt es jedoch auch daran, daß er einfach auch sonst funktioniert. Erstens ist Tanz ein perfektes Sujet für einen 3D-Film -- Bewegung im Raum, was könnte für 3D naheliegender sein? Und zweitens gelingt es dem Regisseur und den Tänzern, den Zuschauern Pina Bausch so nahe zu bringen, daß man beinahe das Gefühl bekommt, man hätte sie selbst gekannt. Der Film umkreist gewissermaßen eine große Leerstelle; Pina ist überall und nicht mehr. Trotzdem ist Wenders Film zuweilen auch witzig, und auf jeden Fall faszinerend. Wer also etwas Interesse an modernem Tanz hat, sollte sich unbedingt dieses schöne Beispiel dafür, wie Stereoskopie sinnvoll eingesetzt werden kann, in einem 3D-fähigen Kino ansehen (Kinostart 24.2. / 3D-Kinoliste).



3D goes Indie auf der Berlinale -- und im Kino (Wenders Pina; The Mortician) : kran


Es wird übrigens nicht Win Wenders einziger, stereoskopischer Film bleiben. Er sei "totally hooked on 3D" und hätte auch bereits eine Kurzdoku mit zwei Canon DSLR-Kameras in einem Rig gedreht... Allerdings, wie er betonte, braucht die Story, um als 3D-Film zu gelingen, eine starke Beziehung zum Raum. Was uns zu unserem zweiten Berlinalefilm in 3D führt...






Death and depth -- The Mortician

Laut Regisseur Gareth Maxwell Robert stellt "The Mortician" seines Wissens das erste in 3D gedrehte Indie-Drama dar. Wie auch Wenders Pina behandelt der Film die Themen Tod, Trauer und Erinnerung, allerdings auf ganz andere und zT. recht explizite Art und Weise. Der Totengräber (übrigens gespielt vom Rapper The Method Man, was der Ticketnachfrage sicherlich nicht abträglich war), der nach seiner täglichen Arbeit mit den doch recht zahlreich eingelieferten Toten des Ghettos sein Gehalt mit dem Präparieren von abgelebten (Haus-)tieren aufbessert, hat -- wie man im Laufe des Films durch Rückblenden erfährt -- seine Mutter als Kind verloren, und wird hier durch die Verkettung einiger Zufälle mit seiner Vergangenheit konfrontiert.



3D goes Indie auf der Berlinale -- und im Kino (Wenders Pina; The Mortician) : mort


Düster wie ein Großteil der Geschichte sind auch die Bilder, vieles spielt nachts; insofern stört der 3D-bedingte Lichtabfall eigentlich nicht, der ja sonst bei heiteren Streifen etwas unpassend wirkt. Erfreulich ist bei diesem Film ferner, daß sich nicht das Gefühl aufdrängt, er und seine Story seien nur ein Vehikel, um räumliche Bilder zeigen zu können. Das war auch ganz klar die Absicht des Regisseurs, der seinen Film als einen 3D-Film der nächsten Generation sieht, wo die dritte Dimension nicht als Gimmick eingesetzt wird, sondern als subtiles, dramaturgisches Mittel. Roberts und sein Team sehen die Stärke von 3D vor allem darin, die Zuschauer emotional in den Film hereinzuziehen. Da allerdings sind wir uns nicht so sicher, ob dies gelungen ist. Zunächst muß man sagen, daß manche der gezeigten Bilder derart abstoßend sind, daß sich sensible Naturen wohl eher zurückziehen möchten, als einzutauchen. Außerdem kommt erschwerend hinzu, daß wir diesen Film leider aus der 4. Reihe anschauen mußten, also definitiv zu weit vorne saßen, um ein komfortables 3D-Erlebnis zu haben, und vielleicht auch um die Wirkung differenziert beurteilen zu können. Von den elaborierten Tiefenvariationen, von denen der Regisseur in einem Email-Interview spricht, kommt zumindest in suboptimalen Betrachtungssituationen wenig an:



"With my director of photography, Mike McDonough, and sterographer Keith Collea, we worked out a depth script, where we mapped out the depth and position of the 3D effect in relation to the ´window´ (screen) either in negative or positive paralax scene by scene, in accordance to the emotional world of the scene - whether we were in The Mortician´s inner world, or the social world, and then used this as a blueprint."



Als besonders immersiv erachet der Regisseur die dreidimensionele Darstellungen mit positiver Parallaxe, also solche, die scheinbar hinter der Leinwand liegen (wie auch bei Pina, siehe oben). Das Drehen mit positiver Parallaxe hat auch den klaren Vorteil, daß einige der Einschränkungen beim 3D-Dreh wegfallen. Auf die Frage, ob er das Gefühl hatte, in seiner Kreativität eingeschränkt zu sein, antwortete uns Robert:



"No is the simple answer. Most of the 3D rules are frankly bullshit, and are only really relevant when working in negative paralax, i.e. pushing objects out form the screen. We found that working in positive paralax is far more elegant and emersive, and none of the ´rules´ were relevant. Most of the ´rules´ have been developed by theorists and not practicioners."



Die Regeln, die hier angesprochen werden, umfassen zB. das Diktum, daß die 2-dimensionalen Tiefenhinweise nicht mit den stereoskopischen kollidieren dürfen. Um ein klassisches Beispiel zu nennen: Objekte, die aus dem Filmfenster scheinbar herausragen, können "eigentlich" nicht von den Bildgrenzen angeschnitten werden, was viel Sorgfalt beim bestimmen der Bildausschnitte erfordert. Liegen nun praktisch alle Inhalte hinter der Leinwand, ist dies natürlich kein Thema mehr.



Während diese Aussagen im Vorfeld recht erfrischend und entspannt klangen, stellt sich uns jetzt wie gesagt doch die Frage, ob die Herangehensweise vielleicht etwas zu lax war, die ein oder andere Regel möglichweise zu einem angenehmeren 3D beigetragen hätte. Ob der Film dem prüfenden Auge von Wenders Stereograph Stand hält, wagen wir zu bezweifeln (allein schon wegen der recht häufig eingesetzten Unschärfen...). Aber wie gesagt, 4. Reihe... Wie auch immer, wir hatten eh den Eindruck, dieser Film hätte genauso in 2D gezeigt werden können, ohne daß tragende Elemente verloren gegangen wären. Eine Inszenierung im Raum, die nur in der dritten Dimension ihre Wirkung entfalten konnte, ließ sich nicht entdecken. Übrigens entbehrt auch die Story einer gewissen Tiefe. Trotzdem geben wir dem Filmemacher noch einmal das Wort:



"Some bad films will be made in 3D, and masterpieces will be made in 3D. As film makers and audiences we need to look beyond spears flying out of the screen and pirahnas snapping at the audience, and embrace the diversity of its potential. Ask yourself this, what film maker ever sets out to make their film flat? Every film maker wants depth and perspective. Every film maker wants their film to be multi dimensional."





Das Berlinale-Publikum schien das übrigens trotz aller Unkenrufe, die seit einiger Zeit in Punkto 3D zu hören waren, ähnlich zu sehen: die Karten zu den 3D-Filmen waren hart umkämpft, und auch wenn dies zweifelsohne zu großen Teilen auf prominente Namen wie Wenders und Herzog zurückzuführen ist, so ist es dennoch auch ein Indiz für ein weiterhin bestehendes Interesse an stereoskopischen Darstellungen -- sofern auch inhaltlich etwas geboten wird, zumindest.




PS. Ein Kollege konnte Karten für die zwei weiteren 3D-Filme im Berlinale-Programm ergattern, und hat kurz seine Eindrücke zusammengefasst: Cave of forgotten Dreams (Werner Herzog) / Les Contes de la Nuit




*** zitiert nach Schivelbuschs höchst lesenswerten "Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert" mehr Info


Ähnliche Artikel //
Umfrage
    Meine nächste Kamera wird eine










    Ergebnis ansehen

slashCAM nutzt Cookies zur Optimierung des Angebots, auch Cookies Dritter. Die Speicherung von Cookies kann in den Browsereinstellungen unterbunden werden. Mehr Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung. Mehr Infos Verstanden!
RSS Suche YouTube Facebook Twitter slashCAM-Slash