Action-Choreographie, tanzende Kamera und das Setup
Wie gehst du konkret an die Choreographie solcher Sequenzen heran?
Meine Choreographien beginnen eigentlich schon beim Skripten. Aber ich schreibe nie die Action ausführlich aus. Meistens stehen da nur die Keypoints der Szene und ganz viel “BAM BAM, BUUM, WHAACK, SMACK!”.
Bei Cyberpunk 2077 Phoenix Program wollte ich unbedingt im Hongkong Style arbeiten, sprich alle Choreos und die Rehearsals sind vor Ort passiert. Wir hatten weder Vorbereitung noch Stunt-Training gehabt. Alle Performer inklusive Hauptdarsteller Maul Cosplay mussten die Choreo am Set selber erst lernen.

Ich drehe auch nur das, was ich brauche - also ich drehe zu 99% keine Master Shots. Ich löse die Action im Schnitt in meinem Kopf auf und shoote dementsprechend nur diese Einstellungen.
Das hat mehrere Vorteile:
- gute Ideen kommen sofort am Set, da mich Kostüm, Set Design, Vibes und das Können der Performer motiviert und inspiriert.
- Performer müssen nur 3-5 Beats auf einmal lernen statt ganze Fights mit 300 Beats.
- wir hatten eh keine Zeit für extra Trainingstage :D
Diese Art von Filmmaking kommt aus Hong Kong/China. Alle Jackie Chan Filme wurden exakt so produziert.
Aber fairerweise muss ich schon zugeben: es war sehr stressig für die ganze Crew, weil außer mir alle ahnungslos ans Set kamen und nicht wussten, was wir drehen. Und wenn ich mal etwas Zeit zum Nachdenken brauchte, stand das komplette Set still. Aber WENN die Idee da war, ging es bam bam bam los! So schafften wir teilweise 54 (!) Einstellungen pro Tag.
An einigen strammen Tagen habe ich aber doch einen Tag zuvor eine Shotlist vorbereitet und darin alle meine Cuts aufgelöst und auf Papier gebracht. Und ja, es war für alle sehr hilfreich und um ehrlich zu sein für mich auch! Es kam sonst schon vor, dass ich den Faden verloren habe und mich wieder neu finden musste.
Die Kamera ist fast immer in Bewegung, tanzt sozusagen ein bißchen mit. Führst Du sie intuitiv oder wie genau wird das vorher geplant?
Alles Intuitiv! Und zu 100% richtig ausgedrückt: “Ich tanze mit der Choreo mit”.
Wie schon erwähnt, Choreo, Rehearsal und das wirkliche Shooten passierte alles vor Ort. Sprich es gab keine Probentage und ich habe selbst nie die Choreo 100% gesehen.
Nach meiner Meinung ist die Kameraarbeit für eine gute Actionszene ESSENTIELL!! Sogar wichtiger als die “performance skills” der Performer*innen (uff, viele würden mich für diese Aussage killen XD). Aber man kann eben den shittigsten low low kick mit einer geilen Kamerabewegung oder Schnitttechnik super inszenieren.

Ich kann es nie genug betonen, ich finde Kamerabewegung muss sehr intuitiv sein. Man muss sich anpassen, flexibel sein. Vor allem muss man GENAU schauen, was man wirklich filmt. Ich habe schon mit so vielen Operatoren gearbeitet, die wollen alles gemarkert haben. Sie wollen alles bis zum Detail totproben und blocken. Aber das Problem ist, wenn man dreht: jedes Element (Performer, enge Location, Komparsen, Lichtstativ oder Lampe etc.) - es wird nie dasselbe sein. Bewegt sich der Performer mal ein wenig mehr nach rechts oder links bzw. trifft seinen Marker nicht, kann es sein, dass die Action nicht mehr funktioniert. Deswegen MUSS der Operator genau hinschauen und viele Sachen erfühlen und die Movements der Performer zu 100% kennen. Er muss wortwörtlich mit den Darsteller mittanzen, wie bei einem Tango. Sich führen lassen und jeden Impuls, sei es ein Druck oder Ziehen mit seinem 3. Auge sehen/spüren.
Es ist eine Kunst für sich.
Manche der Kampfszenen sehen zudem sehr akrobatisch aus, beispielsweise mit dem japanisch-sprechenden Gegner, gespielt von Andy Long. Er ist tatsächlich Martial Arts - und Stunt-Profi, unter anderem im Jackie Chan Team. Heißt das, was man sieht ist alles echte Live-Action, oder hattet ihr am Set irgendwelche Hilfsmittel?
Der Endfight ist einer meiner Favoritszenen gewesen (nicht nur, weil wir einmal 48h am Stück gedreht haben :D). Sondern weil Andy Long und ich uns hardcore austoben konnten. Wir griffen bei dem Fight auf viele Jackie/HK-Ideen zurück und nutzten klassisches HK Wire Rigging, um seine Stunts / Sprünge zu verstärken.
(Nachtrag d. Redaktion: Dieser kurze Making-of-Clip auf Facebook zeigt sehr schön, wie bei dieser Szene gearbeitet wurde

Wie sah denn das Kamera-Setup genau aus? Also Kamera, Optiken, Drehformat uä.
Gefilmt haben wir mit der Blackmagic URSA Mini Pro G2 (Braw 5:1 in 4.6k / 2.39 Widescreen) und SLR Magic Apo Hyperprime PL 25,32,50,85 mm T2.1 Objektiven, sowie als Kamera Gear DJI Ronin 2, Tilta Armor Man 3 sowie Slider, und beim Licht Aputure 300d mkII & 300x, Aputure LED, Boiling LED etc.
Auf den BTS Fotos ist wieder der ArmorMan zu sehen -- was ist für dich der Vorteil damit zu drehen?
Ich liebe das Teil! Ich finde, man ist viel freier und es nimmt mir viel Gewicht ab.
Ich habe in “Into the Badlands” mit Readyrig gearbeitet und auf anderen Shows mit Easyrig.
Der große Vorteil an der Armorman 3 sind die klassischen “Steadycam”-Arme.
- Man sieht keine Schritte mehr (vs. Easy Rig)
- Man kann easy nach rechts und links schwenken (vs. Readyrig)

Der Aufwand für Ausstattung, Kostüm, Maske uä. muss recht hoch gewesen sein, obwohl ihr offensichtlich Zugang zur kreativen Cosplay-Szene hattet. Ihr hattet ja auch ein paar sehr spezielle Shooting Locations - wie habt ihr sie gefunden und musstet ihr da noch nachhelfen, damit sie mehr nach "cyber" aussehen?
Michael Hili: Durch die Cosplay Szene haben wir unglaubliche Unterstützung für unser Projekt erhalten und wollen auch allen an dieser Stelle erneut dafür danken! Einerseits weil so viele Menschen schon in wunderschönen Kostümen ans Set gekommen sind und wir uns um das Aussehen der Statisten meist gar nicht mehr kümmern mussten. Andererseits aber auch, weil uns sehr viele Props von Menschen aus der Szene gestellt wurden.
Die Props konnten wir dann oft auch nutzen um unsere Shooting Locations mehr nach “cyber” aussehen zu lassen. Natürlich waren die Locations auch so schon wie geschaffen für unser Projekt, ein bisschen nachhelfen muss man aber dennoch immer. Hierbei hatten wir Benedikt Marcowka (Production Designer) an Board. Neben seinen Skills im Props und Kostümdesign hat Benedikt auch an der selben Fachhochschule Film studiert wie wir. Das war mehr als nur nützlich. Wir hatten nicht viel Budget und haben unglaublich oft die selben Props benutzt, um jedesmal die Szenerie anders aussehen zu lassen. Für sowas hatte Benedikt immer den richtigen Blick und bisher hat keiner gemerkt, dass wir Locations sowie Props und Kostüme mehrfach recycled haben.

Gefunden hatten wir die Locations Dank früherer Projekte oder durch Zufall, wie beispielsweise bei unserer Bunker-Location. Diese haben wir entdeckt, weil ich nach einem Lagerort für Filmequipment gesucht hatte. Als wir den Hochbunker in Aachen deswegen besucht haben, ist uns aufgefallen, dass dieser Ort auch sehr passend für Cyberpunk wäre.
In der Location, in welcher der Endfight stattfand (The Imperial Lasertag Academy Hamburg), hat Vi-Dan früher schon zwei Musikvideos für “Papillon Rising” gefilmt und kannte die Location daher. Die Partylocation (Holocafé Düsseldorf) sah eigentlich schon cyber genug aus und wurde nur durch Werbehologramme im Hintergrund aufgemotzt.