Die 69. Berlinale startet morgen und es gibt jede Menge spannende Filmprojekte - dokumentarisch wie fiktional -, Workshops, Vorträge uvm. zu entdecken. Hier eine kleine Auswahl was man (unserer Meinung) auf der Berlinale 2019 nicht verpassen sollte.
Aus dem Filmprogramm
Unter den 17 Filmen die im Wettbewerb der Berlinale – also der Hauptsektion der Berlinale - antreten, dürfte von vielen der neue „Horror-“ Film von Fatih Akin (Gewinner Goldener Bär der Berlinale für „Gegen die Wand“ 2004) auf dem Zettel ganz oben stehen:
Der goldene Handschuh von Fatih Akin
Fatih Akin hat mit seinem feinen Gespür für Charaktere und starke Bilder (und zudem auch noch selbst Hamburger) mit Der goldene Handschuh die Geschichte des realen Hamburger Serienmörders Fritz Honka nach dem Kriminalroman von Heinz Strunk verfilmt.
Bereits im Trailer wird klar, dass Fatih Akins Ausflug ins Horrorgenre kein Film für Zartbesaitete ist – aber ebenso zeigt sich, dass Akin zusammen mit DOP Rainer Klausmann mit „Der goldenen Handschuh“ ein beeindruckende Bildwelt von St. Pauli in den 70er geschaffen hat. Der Trailer macht auf jeden Fall neugierig auf den Film:
In der Panorama Sektion der Berlinale freuen wir uns vor allem auf
PJ Harvey: A Dog Called Money von Seamus Murphy
Für PJ Harvey Fans dürfte die Dokumentation über die Entstehung ihres „The Hope Six Demolition Project“ Albums sowieso ein Muss sein. Doch auch aus künstlerischer Perspektive finden wir das Dokumentarfilmprojekt von Fotograf und Filmemacher Seamus Murphy interessant: Schließlich geht es hierbei um nichts anderes als das Verknüpfen des kreativen Prozesses „Musik“ mit unterschiedlichen Orten.
Murphy begleitet in A Dog Called Money PJ Harvey u.a. nach Afghanistan, in den Kosovo, nach Washington D.C. sowie ins Aufnahmestudio in London.
Murphy hat bereits für diverse Videoprojekte mit PJ Harvey zusammengearbeitet, die vermutlich auch in „A Dog Called Money“ zu sehen sein werden - u.a. auch für “The Orange Monkey,” “The Wheel” und “The Community of Hope.”
So long my son (R: Wang Xiaoshuai)
Über So long my son von Wang Xiaoshuai (Wettbewerb) wissen wir eher wenig, außer dass im Berlinale-Umfeld immer wieder von einer ästhetisch besonders gelungenen Kameraarbeit die Rede ist und wir einen spannenden Einblick in die Geschichte Chinas erhalten. Wang Xiaoshuai portraitiert in seinem Film zwei chinesische Paare von der Zeit der Wirtschaftsreformen in das China bis in die Gegenwart.

Das Thema „anspruchsvolle Kamera“ zieht sich bei Wang Xiaoshuai auch durch seine vorherigen (prämierten) Filme „Beijing Bicycle“ und „Shanghau Dreams“. Und das reicht für uns, erstmal „So long my son“ als „Joker“ mit auf diese Liste zu nehmen.
Hier eine Kostprobe aus Shanghai Dreams von Wang Xiashuai - Gewinner des Prix du Jury in Cannes:
O Beautiful Night von Xaver Böhm (Panorama)
Stimmungsvolle Bilder gibt es auch im ersten Spielfilm O Beautiful Night von Xaver Böhm zu sehen, ein ua. von Jarmusch und Wenders inspiriertes, modernes Märchen, in dem ein Trio -- darunter möglicherweise der Tod höchstpersönlich -- durch die Berliner Nacht irrt. Auffällig ist das sehr extreme Farb- und Lichtkonzept des Films, über den wir versuchen werden, etwas mehr in Erfahrung zu bringen. Produziert wurde er übrigens von Komplizenfilm (Maren Ade & Co.)

Midnight Traveler / Selfie
Das dokumentarische Arbeiten wurde damals mit Aufkommen von DV bereits durch die günstige und einfache Digitaltechnik geradezu entfesselt -- wie sehr die Smartphone-Kamera nun aufgrund seiner allgegenwärtigen Verfügbarkeit und kinderleichten Bedienung gerade in diesem Genre neue Möglichkeiten schafft, zeigen die beiden Filme Midnight Traveler und Selfie (beide im Panorama-Programm).

Midnight Traveler schildert eine Familienflucht, und wirft dabei einige Fragen auf: Nach einer Todesdrohung der Taliban flohen der afghanische Regisseur Hassan Fazili, seine Frau Fatima Hussaini, ebenfalls Filmemacherin, zusammen mit den beiden Töchtern Nargis (11) und Zahra (6) auf der Suche nach Sicherheit aus der Heimat ins ferne Europa. Das Ehepaar und auch die beiden Töchter filmten die mehrjährige Reise mit ihren Mobiltelefonen und sahen sich dabei des öfteren in einem Gewissenskonflikt: Soll man die dramatischen Momente filmen oder ist der Gedanke an eine gute Filmszene mitten im Unglück unmoralisch?

Beim kollaborativen Doku-Fiction-Projekt Selfie führen die zwei Protagonisten aus dem neapolitanischen Bezirk Traiano selbst die Handykamera. Ihr Freund, der 16-jährige Davide Bifolco wurde von einem Carabiniere erschossen -- um sich von dem oft als Getto und Camorra-Hochburg stilisierten Stadtteil ein Bild machen zu können, läßt der Regisseur Agostino Ferrente die beiden ihren Alltag dokumentieren. Die entstandene Collage soll sowohl visuell als auch auf der Tonebene beeindrucken.
Ansonsten gibt es natürlich wie jedes Jahr eine große Auswahl sehenswerter Dokumentarfilmen quer durch alle Sektionen.
Workshops und Vorträge für Filmemacher
Kurz vorab: Im Rahmen der kostenlosen Workshops zur Sony Venice gibt es am Freitag dem 8.2. die Möglichkeit, etwas über die Kameraarbeit von DoP Christopher Aoun zu lernen -- er führte bei Nadine Labakis Film "Capernaum - Stadt der Hoffnung" die Kamera, welcher aktuell für einen Oscar nominiert ist (Best Foreign Language Film). "Poetic Realism with Sony VENICE" lautet sein Workshop, zu dem man sich noch anmelden kann.
Berlinale Talents Highlights
Besonders interessante und praxisnahe Vorträge und Gespräche lassen sich wie immer im Berlinale Talents Programm vom 9. bis 14. Februar entdecken. Beispielsweise ist Tendo Nagenda, VP of Original Films bei Netflix, eingeladen um mit Talents über die Zukunft des Streaminganbieters und Möglichkeiten für Filmschaffende zu sprechen (für die Veranstaltung kann jedoch wie für alle hier gelisteten ein normales Ticket gekauft werden) -- Sweet Streams: What´s Next on Netflix for Filmmakers.
Wie jedes Jahr geht es bei Kill your Darlings um den Filmschnitt, und dies bestimmt wie immer sehr lehrreich und unterhaltsam (siehe dazu auch unseren Bericht von 2017, Emotion sticht Continuity).
Recht ungewöhnlich dagegen ist das Thema Modellbau: In The Devil is in the Detail: Prop and Modelmaking teilt und zeigt der Berliner Modellbauer Simon Weisse (Isle of Dogs, Grand Budapest Hotel) die Freuden und teuflischen Details seines Metiers.
Damit die Postproduktion nicht zu kurz kommt, werden in Survival Guide: Endangered Images mit Dirk Meier, Niko Remus, Nicholas Goodwin digitale Workflows vorgestellt -- wie lassen sich übliche, technische Fehler vermeiden auf dem langen Weg, den ein Filmbild zurücklegt bis zur großen Leinwand (verifiziertes Kopieren, Farbräume, Kalibrierungen etc.)
Einen der Schwerpunkte dieses Jahr bildet das dokumentarische Filmschaffen, unter anderem geht es um Recherche und um das Verhältnis von Fiktion und Wahrheit:
Mining for the Real: Researching Docs / mit Nikolaus Geyrhalter
„Es gibt keine Realität, nur Realitäten", sagt der Meister des langsamen Dokumentarfilms und legt seine stets tiefschürfenden Recherchen offen.
In the Aftermath: Saviano´s Writings / mit Roberto Saviano
Der Essayist, Schriftsteller und Drehbuchautor reflektiert die schwerwiegenden Konsequenzen, die es hat, wenn man die Wahrheit über das Falsche ausspricht.
Facts Made Film: Researching Fiction / mit Teona Strugar Mitevska (Alumna), Labina Mitevska, Guy Nattiv (Alumnus), Danielle Macdonald
Was ist die Story hinter den Fakten? Schauspielerinnen und Regisseur*innen diskutieren ihre Wettbewerbs- und Panorama-Filme „inspired by true events“.
Steps, Shots and Silence: Sound and Foley in Docs / mit Peter Albrechtsen, Heikki Kossi
Die Sound- und Geräusche-Experten zeigen live und zum Mithören, wie sich im Dokumentarfilm die Frage von Realismus versus Realität stellt
Alle Berlinale Talents Veranstaltungen finden sich hier im Programm.