Von der 2D-Filmgestaltung zu 3D
Es heißt ja auch, daß es einen Gewöhnungseffekt gibt, wenn man viel mit 3D arbeitet. Das Gehirn gewöhnt sich daran, diese Bilder zu interpretieren, was dazu führt, daß man den Effekt unter Umständen unbewußt immer stärker einsetzt.
Das stimmt, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Sitzt man zwei, drei Tage intensiv im Schnitt dabei, möchte man den 3D-Effekt anziehen und stärker machen, weil man sich an den Effekt gewöhnt. 3D bringt uns ja die Filmbilder näher an die Realität, dadurch gibt es einen schnellen Adaptionsprozess des Gehirns an diese neue Art der Filmdarstellung. Das merkt man ja auch schon wenn man sich einen Spielfilm in 3D anschaut. In den ersten 30, 40 Minuten ist 3D als räumlicher Effekt wahrnehmbar bzw. wird als solcher empfunden, in der zweiten Hälfte des Films wird es dann meist schon zu einer Normalität. Das ist wie mit der Umstellung von Schwarz/weiss auf Farbe. Irgendwann war Farbe, weil es der Natur entspricht, keine Sensation mehr. Aber, und da kommen wir zu der großen Aufgabe, die wir Filmemacher haben, wie wir mit Farbe ein neues Gestaltungsmittel kreiert haben, als dramaturgisches Element, als ein Element der Geschichtenerzählung, als Element der Emotionalisierung von Szenen, genauso müssen wir den Raumeindruck dramaturgisch nutzen. Ihn wie etwa die Musik auch einsetzen, mal den Effekt bewußt reduzieren, um ihn dann ganz gezielt in den Vordergrund zu stellen, damit er die Erzählung unterstützt.

Müsste man nicht sogar anfangen, die Bilder ganz anders zu kadrieren und zu gestalten? Vieles der 2D-Filmgestaltung ist ja darauf ausgelegt, eine Tiefe im Raum aufzumachen, und wenn dieser sich jetzt von alleine aufstaffelt mit der 3D-Technik, könnte man sich doch Mittel wie Bildachsen oder das Modellieren mit Licht sparen, und neue Mittel finden, um den 3D-Raum angemessen darzustellen?
Also, daß man sich sparen kann, was im 2D-Film den Raum modelliert, das glaube ich nicht, denn das unterstützt alles. Wir haben ja gelernt, in der flachen 2D-Leinwand den Raum zu simulieren mit all diesen monokularen Tiefeneindrücken, die es gibt: Überschneidungen, Licht und Schatten, die Perspektive, die atmosphärische Tiefenwirkung beim Landschaftsdreh, die Motion Parallaxe, also die Verschiebung der Objekte, wenn ich eine Kamerafahrt mache. All das ist ein gelerntes Instrumentarium, um als Workaround im 2D-Film 3D herzustellen. Das geht mir ja erstmal nicht verloren im 3D-Film. Wir haben aber zusätzlich das Instrument der stereoskopischen Darstellung, das was beim Auge auch passiert, wenn es einen Raum betrachtet durch den Augenabstand, nämlich die Wahrnehmung auf Grund von Disparitäten, von Verschiebungen der unterschiedlichen Objekte auf der horizontalen Ebene. Dieser stereoskopische Bildeindruck in Verbindung mit den monokularen Tiefenhinweisen zusammen ergibt ein gutes 3D-Bild. Wo man aufpassen muß, daß man das 3D-Bild nicht zerstört, das ist wenn die monokularen und die binokularen Tiefenhinweise kollidieren.
Wie beziehungsweise wann kann das passieren?
Da ist das beste Beispiel die Border-Violation, bei der Objekte aus der Leinwand herausragen, die gar nicht herausragen können. Wenn ein Luftballon in den Raum hereinfliegt dann muß er durch das Fenster durchpassen. Wenn ich den Ballon jetzt aber anschneide an der Seite, dann gibt es genau diese Diskrepanz. Dann habe ich einen monokularen Tiefeneindruck, nämlich einen angeschnittenen Luftballon, der sagt mir: dieses Objekt ist hinter dem Fenster. Ich habe aber auch einen stereoskopischen Bildeindruck aufgrund der Verschiebung der Parallaxe des Objekts, der sagt: negative Parallaxe, der Ballon ist im Raum. Somit kollidieren die Eindrücke, und es gibt ein schlechtes 3D-Bild -- man wird verwirrt, etwas stimmt nicht, aber man kann es nicht benennen.
Daran muß man also als Filmemacher arbeiten, daß man aus dem Instrumentarium übernimmt, was in beiden Welten funktioniert. Nehmen Sie auch das Beispiel mit der Unschärfe, etwa die unscharfen Zweige im Vordergrund, durch die man durchblickt. Das funktioniert in 2D wunderbar, man hat ja alles auf einer Ebene, und auf die fokussiert man, nämlich auf die Leinwandebene. Im 3D-Film aber kann ich mich tatsächlich physikalisch im 3D-Bild umgucken, wenn ich auf Objekte vor, hinter oder auf der Leinwand konvergiere mit den Augen. Und wenn ich auf etwas konvergiere, dann erwarte ich von meiner Seherfahrung her, daß dieses Objekt scharf wird. Jetzt ist aber etwas ganz vorne im Vordergrund, stereoskopisch ganz nah platziert, ich gucke drauf, und es bleibt unscharf. Das gibt es nicht im natürlichem Sehen, und deshalb bin ich irritiert, und deshalb funktioniert das im 3D-Film nicht.
Ich kann aber natürlich mit einem unscharfen Hintergrund arbeiten, wenn eine Person zB. aus dem Bett hochschreckt und das Gesicht präsent vor mir erscheint -- dann ist es völlig egal, ob die Wand im Hintergrund scharf ist oder nicht. Ich bin so auf das erschrockene Gesicht fixiert, daß ich mich gar nicht im Raum umgucken will. Wenn ich aber ein langsame Kamerafahrt habe durch ein Wohnzimmer, da hinten prasselt das Kaminfeuer, vorne steht eine Whiskeyflasche auf dem Tisch, und es dauert sehr lang, dann will ich mich natürlich umgucken können...
Dann hätte man weniger Kontrolle über den Zuschauerblick als 3D-Filmemacher, er läßt sich nicht so lenken, weil der Zuschauer ja verleitet wird, selber im Raum sich umzusehen.
Man muß in der Inszenierung die Blicklenkung präziser erarbeiten, das ist aber genauso möglich. Wir haben oft in Bildübergängen einen Reflex eingefügt, um den Blick dorthin zu lenken, oder woanders einen Reflex weggenommen, weil er irritiert hat. Das ist schon diffiziler, aber machbar. Und man hat auch Ton natürlich -- ich kann irgendwo ein Tonereignis im Bild verankern und den Blick dorthin lenken.
Das ist aber eigentlich auch sehr spannend, wie sich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes ein völlig neuer Raum öffnet für Filmemacher, mit dem man erst einmal lernen muß, umzugehen. Ein bißchen wie mit dem Tonfilm, da dauerte es ja auch eine ganze Weile, bis man den Ton wirklich sinnvoll eingesetzt hat.
Ja. Ich habe übrigens mal die Argumente verglichen, die gegen den Tonfilm verwendet wurden, mit den Argumenten, die man heute teilweise liest gegen 3D. Das ist zum Teil dieselbe Wortwahl. Also: der Zuschauer wird die Schnitte nicht mitverfolgen können, der Zuschauer wird nicht wissen, wie er sich im Raum orientieren soll, weil ihn die Tonereignisse verwirren usw. Das hatte ich als Einführung bei einem Vortrag verwendet, nach dem Motto, es gibt jede Menge Argumente gegen 3D, ich nenne Ihnen mal die wichtigsten -- das waren 5 Argumente und alle Zuschauer nickten zustimmend, und waren dann entsprechend verblüfft zu hören, daß die Argumente aus den 30ern stammten gegen den Tonfilm.
Ich erlebe das auch bei vielen Regisseuren, diese Scheu sich auf Neuland zu bewegen, und das, was man über Jahrzehnte gelernt hat, was man auch als persönliches Stilmittel entwickelt hat, dessen plötzlich beraubt zu sein. Das ist sicher auch ein kritischer Punkt.
Keiner sagt gerne: ich bin jetzt nach 30 Jahren Filmerfahrung wieder Anfänger...
Ja, das kostet Überwindung. Aber ich finde, wir sind hier in einem kreativen Beruf, da geht es auch um Innovation, um Lust und Neugier aufs Neue, und wer sich die nicht mehr bewahrt hat, ist nur noch Reproduzent seiner alt-eingesessenen Stilmittel...

Wim Wender macht ja gerade den Film über Pina Bausch in 3D. Waren Sie da zufällig auch beteiligt?
Beteiligt nein, er hat das mit französischen Stereographern gemacht, aber ich habe Ausschnitte gesehen, die mich sehr überzeugt haben -- ich glaube, das ist ein spannendes Projekt, weil es das erste mal auch den Arthouse-Film mit 3D verknüpft, bis jetzt waren es ja immer Cartoons, Animationen, Blockbuster, dabei hat 3D durchaus auch im Arthouse-Film und anderen Sparten abseits des Blockbusters seine Berechtigung.
Aber man kann sich fragen, in welchen Kinos das laufen soll, denn Programm-Kinos haben ja noch großteils kein 3D und die Multiplexe orientieren sich nicht am Arthouse-Publikum.
Das ist momentan ein Problem, ja -- wenn auch ein Übergangsproblem, weil ja viele Kinos nach und nach 3D-fähig werden. Ich denke aber, wenn er das gezielt lanciert könnte es klappen, denn ein grundsätzlicher Bedarf an 3D ist gegeben, und das ein oder andere Multiplex wird dann wohl sagen, wir nehmen den Wenders-Film jetzt doch ins Programm, der ist in 3D und da gibt es entsprechendes Interesse..
Zum Abschluß noch ein Wort zu Avatar -- Cameron hatte da ja Ansprüche, nicht nur Sensationskino zu machen, sondern wirklich auch die Technik weiterzuentwickeln. Ist das Ihrer Meinung nach gelungen?
Also gelungen an Avatar war, daß er so viel Aufmerksamkeit auf sich und das Thema gezogen hat, und daß er auch Skeptiker davon überzeugt hat, daß 3D nicht mehr nur ein Nischenphänomen ist, sondern zu einem ernstzunehmenden, neuen Format geworden ist. Das hat Avatar geschafft, aber einen neuen 3D-Qualitätsstandard hat Avatar meiner Meinung nach nicht gesetzt. Natürlich schon im Hinblick auf den enormen Aufwand, mit dem er produziert wurde, und technologisch haben sie sicherlich sehr viel entwickelt, um die Verknüpfung von Realszenen mit virtuellen Welten zu generieren, und so ist es eine technologische Meßlatte geworden. Kreativ hat er mich nicht überzeugt, das Storytelling ist ja doch sehr konventionell. Stereoskopisch ist er generell gelungen, die ein oder andere Schwäche entdeckt man, wenn man ihn analysiert, aber das ist ja systemimmanent bei so einem Riesenprojekt mit so vielen Beteiligten.
Aber ein Neu-Anfangspunkt für 3D war es schon.
Ja, wir haben natürlich gemerkt seit Avatar, daß das Telefon plötzlich nicht mehr still stand. Alle, denen man jahrelang erzählt hat, das ist das Format der Zukunft, haben immer nur müde gelächelt, und nun wurde selbst im hintersten Eck wahrgenommen, das ist was Neues, das Leute faszinieren und ins Kino bringen kann. Insofern ist es das große Verdienst von Avatar, ein Eisbrecher gewesen zu sein.
Klingt wie ein gutes Schlußwort... Herr Kluger, vielen Dank für das nette Gespräch!
Bildmaterial mit freundlicher Genehmigung der KUK Filmproduktion GmbH




























