Ratgeber Casting-Tipps für die Low Budget Produktion

Casting-Tipps für die Low Budget Produktion

Dieser Artikel war bei uns in Arbeit, als Corona die Notwendigkeit für Castings (nicht nur) im Low-Budget Filmbereich plötzlich implodieren ließ. Doch wer jetzt wieder mit einem eigenen Film loslegen will, könnte die folgenden Tipps vielleicht ganz praktisch finden...

// 15:04 Di, 15. Jun 2021von

Praktisch jeder szenische Filmemacher kommt irgendwann an den Punkt, an dem er echte Schauspieler/innen benötigt. Wenn es sich nicht um eine große Produktion handelt, wird man in der Regel seinen Schauspielern eher wenig zahlen können. Man sollte jedoch bei der eigenen Kostenrechnung gegenüber den Schauspielern unbedingt von Anfang mit offenen Karten spielen. Das heißt, es ist überhaupt nur in Ordnung, andere Leute unter Tarif zu entlohnen, wenn man sich selber auch nur entsprechend bescheiden am Produktions-Topf bedient.



Foto von Jon Tyson
Foto von Jon Tyson




Die (schlechte) Idee - Jeder gewinnt am Schluss

Der ideelle Traum einer Independent Produktion - nämlich alle Beteiligten einzig mit einem Share (also einem Anteil am Gewinn) zu beteiligen - hat nach unserem Wissen noch nie in der Praxis funktioniert. Selbst wenn ein Film überraschend viele Zuschauer findet, schauen Schauspieler (und andere Beteiligte) meistens am Ende aller Abrechnungen trotzdem in die Röhre. Unter anderem weil nach Fertigstellung des Films oft noch hohe Kosten (z.B. für Marketing und Vertrieb) "auftauchen", welche die Gewinne vieler Projekte gegen Null schrumpfen lassen. Die bittere Wahrheit ist: Die meisten Filmprojekte sind auf dem Papier Verlustgeschäfte. Nur bei wenigen Filmen steht am Ende wirklich ein relevanter Gewinn, den man verteilen kann. Das ist zwar unwahrscheinlich, kommt aber durchaus auch bei Independent-Produktionen vor, wenn sie ein überraschend großes Publikum finden. Deswegen kann ein versprochener Anteil an einem potentiellen Gewinn trotzdem motivationsfördernd sein - solange die Mitarbeiter nicht den Glauben an das ganze Projekt verlieren.





Honorar und Anerkennung

Ein gewisses Fixum für die Schauspieler sollte unserer Meinung nach jedoch immer vereinbart werden. Erstens müssen Schauspieler ja auch während der Dreharbeiten von irgendetwas leben und zweitens verbrieft dies förmlich eine gewisse Wertschätzung für das schauspielerische Talent. Zuletzt sollte man nie vergessen, dass das Schauspiel in einer szenischen Produktion wirklich eine der wichtigsten Zutaten für das gesamte Projekt darstellt. Es ist eine Sine-Qua-Non-Bedingung. Mit schlechten Schauspielern wird alles nichts. Die Ernsthaftigkeit eines Filmprojekts wird zudem von einem lächerlichen Honorar untergraben.



Foto von Josh Miller
Foto von Josh Miller


Seitens der Schauspieler gibt es jedoch auch noch ein paar Aspekte. Wenn dein Projekt nicht so außerordentlich vielversprechend ist, dass sich darum A-Klasse Schauspieler reißen (denen ihr übliches Honorar in diesem Fall dann wahrscheinlich egal wäre), gehen Schauspieler ja auch ein Risiko ein, sich auf ein solches Projekt einzulassen. Sie verlieren schlechtenfalls nicht nur eine Menge Zeit, sondern können durch ein misslungenes Projekt auch einen empfindlichen Imageschaden davontragen. Für professionelle Schauspieler ist das gebotene Honorar darum auch ein wirksamer Indikator dafür, ob hier Anfänger am Werk sind. Viele Schauspieler werden sich daher sowieso nicht "unter Wert" verkaufen.





Doch auch Schauspieler fangen klein an und es gibt sicherlich überall im Land unentdeckte Talente, die einfach nur auf ihre Chance warten, sich beweisen zu können. Wer zu wenig Geld für bewährte Schauspieler hat, wird sich wohl auf die Suche solcher noch unentdeckter Talente begeben (müssen).



Wirklich wichtig ist, dass sich der Schauspieler beim ersten Kontakt ernst genommen fühlt. Und die Gewissheit, dass ihn das Projekt in seiner Karriere weiterbringen wird. Im besten Fall ist ein Film eine Win-Win Situation für alle. Und solche Weichen stellen sich meistens bei einem Casting...





Casting Tipps

Aus den erwähnten Gründen gilt für das Casting: Betrachtet diese Veranstaltung nicht wie eine nervige Sideshow. Das Ambiente muss nicht teuer und exklusiv sein, aber es sollte niemals schraddelig oder lieblos rüberkommen. Nicht komplett asoziale Räume lassen sich in der Regel für ein paar Stunden am Tag immer irgendwie günstig organisieren. Ein Casting im eigenen Wohnzimmer dürfte dagegen praktisch jede vernünftige Person von vornherein abschrecken. Nicht erst seit Harvey Weinstein.



Idealerweise stehen beim Casting mindestens drei Räume zur Verfügung:



1. Empfang, Anmeldung und kurzer (!!) Warte-Aufenthalt.


2. Ein stiller, separater Raum zur Vorbereitung auf das Vorsprechen (z.B. zum Text lernen).


3. Der Casting-Raum für das Vorsprechen.



Mindestens ein Helfer sollte vor Ort sein. Wenn irgendwie möglich, sollte diese (am Vorsprechen unbeteiligte) Person die Verwaltung/Organisation des Termins übernehmen, während in Zimmer 3 das eigentliche Casting ungestört durchlaufen kann. Das heißt mindestens bei Ankunft Name und Kontaktdaten der Schauspieler erfassen sowie ein paar Getränke und Essen/Snacks anbieten. Ein kleines bisschen hofiert zu werden, hebt übrigens nicht nur das Selbstwertgefühl der Schauspieler, sondern auch die Seriosität der eigenen Produktion.



Foto von Keagan Henman
Foto von Keagan Henman


Teile jedem Schauspieler vor dem Termin vorher ein festes Zeitfenster zu und halte diese Fenster auch bestmöglich ein. Jemanden warten zu lassen, ist nicht nur grundsätzlich unprofessionell sondern vermittelt auch den Eindruck mit der verfügbaren Zeit nicht effektiv umgehen zu können. Die Zeit eines Anderen zu respektieren ist - gerade bei Low-Budget Produktionen - zudem ebenfalls ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung.





Möglichst viel schriftlich im Vorfeld ausarbeiten

Dazu gehört auch, dass ihr bereits alle schriftlichen Sachen vorbereitet habt. Also nicht nur eventuelle Szenen zum Vorsprechen, sondern auch (Vor)verträge und Bedingungen welche die Gegenseite eventuell noch näher erörtern will.



Fixiert so viel wie möglich schriftlich, denn unformulierte Vereinbarungen sorgen oft im Nachgang für zusätzliche Probleme. Denkt auch an entferntere Dinge wie die Vergütung von Probeaufnahmen oder die Regelung von Drehverzögerungen und Ausfall.



Wenn ihr gut organisiert seid und öfter Filme macht, könnt ihr bei dieser Gelegenheit auch noch eure persönliche Schauspieler-Datenbank erweitern. Mit Darstellern, die einen guten Eindruck hinterlassen haben, aber nicht zu diesem Projekt passen (indem ihr diese mit ein paar Stichworten katalogisiert.)







Ihr sitzt oben - seid kein A...loch


Auch wenn es banal klingt. Schüttelt zur Begrüßung (nach Corona Zeiten) die Hand und sprecht den/die SchauspielerIn dabei schon mit dem Namen an (den ihr euch vor dem ersten Zusammentreffen nochmal abgespickt und gemerkt habt.)



Foto von Gabriele Stravinskaite
Foto von Gabriele Stravinskaite


Wenn ein Schauspieler offensichtlich schon aufgrund seiner Bewerbung nicht geeignet ist, dann spar dir und ihm die Zeit, ihn/sie einzuladen. Wenn du dir unsicher bist, dann ist ein Versuch natürlich legitim. Und sollte euch ein Schauspieler im Casting klar missfallen, seid kein Arschloch, sondern gestaltet eure Absage freundlich, klar und wenn möglich konstruktiv.



Überhaupt wichtig: Seid euch bewusst, dass das Casting ein faktisches Machtgefälle darstellt. Die Schauspieler "bewerben" sich bei euch und sind in der Regel deswegen auch entsprechend nervös. Seid freundlich und achtet besonders darauf, nicht überheblich oder arrogant rüberzukommen. In dieser Situation habt ihr die komplette Autorität auf eurer Seite und - wie schon Spiderman wusste: "Mit großer Macht kommt auch große Verantwortung".



Meme by unknown
Meme by unknown




Helfer

Beim Casting selbst ist es vorteilhaft, wenn ihr noch auf einen "Reader" als Helfer zurückgreifen könnt. Also einen Gegenpart mit dem der gecastete Schauspieler interagieren kann. Wenn ihr selber den Gegenpart spielen müsst, habt ihr viel weniger Aufmerksamkeit für die Einschätzung der Schauspielleistung übrig. Und unprofessionell wirkt es sowieso.



Grundsätzlich helfen mehr Personen beim Casting nicht nur das Organisatorische zu bewältigen, sondern sie erhöhen auch den "Production Value". Und zwar nicht nur direkt, weil diese Helfer natürlich durch ihre Mitarbeit zur Wertschöpfung des Projektes beitragen. Sondern auch indirekt, weil mehr Menschen einfach nach "Mehr" aussehen. Und damit anderen vermitteln, dass es sich hier um eine ernstzunehmende Produktion handelt.



Wer noch mehr Mitstreiter mobilisieren kann, sollte vielleicht auch noch jemanden dafür abstellen, das Casting mitzufilmen. Gerade wenn man in seiner Entscheidung zwischen zwei Schauspielern schwankt, hilft eine Aufzeichnung in der Regel oft deutlich, sich schneller für einen Kandidaten zu entscheiden. Auch wenn es zu einem kurzfristigen Ausfall eines Schauspielers kommt, kann man über seine eigenen Casting Clips oft schnell ein gute Alternative ausfindig machen, ohne ein weiteres Casting dafür ansetzen zu müssen.




Und sonst?

Uns ist klar, dass dieser Artikel nur einige Aspekte der Schauspielersuche bzw. des damit verbundenen Castings abdecken kann. Wir hoffen trotzdem, dass die hier gesammelten Erfahrungen helfen können, beim ersten eigenen Casting ein paar grobe Fehler zu vermeiden. Falls Ihr noch eigene Erfahrungen/Tipps oder Anregungen habt, sind diese am besten im hier zugehörigen Forumsthread aufgehoben.



Foto von Markus Winkler
Foto von Markus Winkler

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