Die XF300 und der XF305 können auf den ersten Blick als Flash-basierter Nachfolger der HDV-basierten XH A1/G1-Serie gesehen werden. Auf den zweiten Blick wird allerdings klar, dass Nachfolger untertrieben ist, denn offensichtliches Vorbild bzw. Hauptkonkurrent der Kamera dürfte Sonys PMW-EX1 sein. Gegenüber den HDV-Modellen ist bis auf eine gewisse optische Ähnlichkeit kaum etwas beim alten geblieben.
Die teurere XF305 unterscheidet sich von der XF300 durch einen zusätzlichen HD-SDI-Output, Genlock-Input sowie Timecode-Input/Output. Der Preise liegen noch nicht genau fest, jedoch scheint sich für die XF300 6999 Euro und für die XF305 7999 Euro als UVP heraus zu kristallisieren. Die Verfügbarkeit wird von Canon gerade auf Ende Juni 2010 datiert.
Haptik
Die ersten Anmutung nach dem Auspacken: Ganz schön massiv das gute Stück, auch wenn an der Oberfläche an vielen Stellen Plastik zum Einsatz kommt. Wegen der ziemlich üppigen Optik (82mm Filtergewinde) ist die Kamera leicht kopflastig, dem sich vielleicht noch etwas mit einem größeren Akku entgegen steuern ließe.

Die Kamera kommt ohne Wechselobjektiv-Anschluss (schließlich braucht ja auch die HDV-XL H1 noch einen Nachfolger). Dafür gibt es eine komplett neu berechnete 18x Canon L-Serien Optik (mit 29,7mm (kb) Weitwinkel!), deren Basis-Design aus einem Canon-Broadcast-Objektiv stammt. Zumindest wurden die „High Index, Ultra-Low Dispersion“ (Hi-UD)-Linsen bisher nur in Canons Broadcast-Optiken verbaut und sollen für besonders geringe chromatische Aberrationen sorgen. Bei unseren kurzen Testaufnahmen waren zwar auch am Bildrand im starken Weitwinkel ganz leichte chromatische Aberrationen zu sehen, jedoch fielen diese bei weitem nicht mehr so stark aus, wie man es von früheren Canon-Modellen gewohnt war.
Nach dem ersten Einschalten fühlt es sich einfach gut an, wirklich alle wichtigen Parameter an der Gehäuse-Außenseite für den direkten Zugriff zu finden. Die Objektivringe arbeiten zwar weiter mit Sensoren und Servo-Übertragung, Fokus und Zoom bieten aber im manuellen Modus auch physikalische Stop-Punkte. Schärfe, Blende und Zoom sind unabhängig und vor allem gleichzeitig über die Ringe veränderbar, was ja früher bei Canon nicht immer selbstverständlich war. Allerdings verschwindet die Fokus-Entfernungsangabe im Display, wenn man gleichzeitig den Zoom bedient. Für unseren Geschmack reagierte der Zoomring einen Tick zu träge, woran man sich als Kameramann jedoch schnell gewöhnen kann (bzw. muss).
Ansonsten kann sich das Objektiv durchaus „sehr manuell verhalten“. Schiebt man den Objektiv-Schalter in die „Full MF“-Position funktioniert anschließend nicht einmal mehr der Push AutoFokus. In Halbautomatik-Position (AF/MF) packt letzterer dagegen sehr entschlossen und schnell zu.
Display und Sucher
Auch beim Display und beim Sucher kocht Canon mit frischen Zutaten: Das Display (natürlich ohne Overscan-Rand) hat schon eine Auflösung von erstaunlichen 1.230.000 RGB-Pixeln und ersetzt mit mächtigen 4 Zoll Bildschirmdiagonale schon fast einen kleinen Vorschaumonitor. Die Schärfe ist dabei wirklich beeinduckend. Der Sucher stellt mit 1.550.000 RGB Pixeln ebenfalls einen neuen Camcorder-Rekord auf. Apropos Rekord: Auch die 13 frei belegbaren Custom-Keys sind unseres Wissens nach einzigartig. Individuelle Camcorder-Konfigurationen lassen sich dazu auf einer SD-Karte abspeichern. Dass XLR-Audio-Anschlüsse mit Phantom-Speisung vorhanden sind, versteht sich fast in dieser Preisklasse natürlich ebenso selbstredend.
Als weitere Premiere für Canon kommen nach langen CCD-Zeiten nun drei 1/3-Zoll CMOS-Sensoren zum Einsatz. Die Auflösung der Chips ist mit 2.07 effektiven Megapixeln ziemlich optimal für eine FullHD-Abbildung ohne Skalierungsartefakte bemessen, was sich auch in unseren Messergebnissen positiv niederschlug (s.u.).
Aufzeichungs-Formate
Aufgezeichnet wird als MPEG2 MXF-Container auf CompactFlash (zwei Continuous-Recording fähige Slots), wobei unter anderem HDV-„ähnliche“ 4:2:0 Ströme mit 25 Mbps bei 1440 x 1080 Pixel möglich sind. An XDCAM-EX erinnert das Format mit 35 Mbps, das ebenfalls mit 4:2:0 VBR entweder 1920 x 1080i50/p25 oder 1280 x 720p50/p25 aufzeichnet.
Killerargument für die Kamera dürfte jedoch die 50 Mbps-4:2:2 Aufzeichnung mit 1920 x 1080i50/p25 sein. Hier sind ebenfalls auch 1280 x 720p50/p25 drin. Zur Kompatibilität gibt es dabei nur positives zu berichten: Premiere und Vegas beherrschten den Import sofort von Haus aus ohne spezielle Updates. Hier hat man offensichtlich kein Problem mit einem genormten MPEG2-Fileformat. Edius soll dieses Fileformat ebenfalls bereits out-of-the-box beherrschen. Final Cut Pro sowie Avid sollen von Canon durch zusätzliche kostenlose Plugins den Umgang mit dem neuen Fileformat lernen, was wir jedoch noch nicht ausprobieren konnten.
Wir haben bei diesem Test größtenteils mit Vegas 9 gearbeitet und hatten keinerlei Probleme beim Schnitt. Ganz im Gegenteil: Die Schnittperformance war dank MPEG2 höchst angenehm. Das Scrubben auf der Timeline fühlt sich gegenüber AVCHD enorm flüssig an. Selbst eine anspruchsvolle Farbkorrektur war noch mit wenig Ruckeln in der Timeline möglich.
Eines sollte man bei allen 50 Mbit-Vorteilen aber nicht vergessen: 8 GB reichen in diesem Modus gerade mal für 20 Minuten-Aufnahmezeit. Da man laut Empfehlung Karten mit 30 MB/s einsetzten sollte, ist das Vergnügen auch nicht ganz billig, jedoch immer noch deutlich günstiger als P2 oder SxS. Der Preis für solche Karten liegt aktuell bei ca. 4,50 Euro pro GB, was ca. 54 Euro für eine Aufnahmestunde entspricht. Wir haben während unseres Tests auf jeden Fall problemlose Erfahrungen mit einer Sandisk Extreme III 30 MB/s gemacht.
Einstellungs-Sache(n)
Die Einstellmöglichkeiten der Kamera lassen nichts zu wünschen übrig. Es gibt praktisch nichts, was man an dieser Kamera nicht feintunen kann. Es sind sogar neben den üblichen Standardwerkzeugen ein Waveformmonitor sowie ein Vektorskop zur Bildkontrolle integriert worden. Diese werden mit sehr hoher Bildrate upgedated, was einen sehr flüssigen Messeindruck verschafft. Leider fanden sich an den Achsen keinerlei numerische Werte, weshalb man hier erst einmal lernen muss, an welcher Linie beispielsweise der echte Weißpunkt letztendlich liegt und wo das Superweiß beginnt.
Wer einmal den Status-Display Button drückt, wird quasi von einer Informationsflut erschlagen: So werden die wichtigsten Parameter der Kamera auf nicht weniger als 7 Info-Seiten dargestellt. Der Sinn der Taste, alles auf einen Blick zu sehen, ist damit sehr relativ, wenn sich alle Informationen auf „sieben Blicke“ verteilen.
Die üppigen Einstellmöglichkeiten der Kamera wollen natürlich auch irgendwie in Zaum gehalten werden. Das Menü-Rädchen ist hierbei zur Bedienung oft etwas umständlich, da einzelne Menüpunkte durch einen Drucktaster „nebenan“ ausgelöst werden. Dies erschwert das das Rücknavigieren aus tiefen Menüs heraus. Zum Glück gibt es an der Oberseite noch einen Mini-Joystick mit dem sich deutlich besser durch die Tiefen der Menüs surfen lässt. Persönliche Einstellungen lassen sich übrigens auf einer separaten SD-Karte abspeichern und so von Kamera zu Kamera portieren.
Aus dem Messlabor
Der Sweep zeigt einen sehr guten Schärfeverlauf der sich sehr linear ohne auffälligen Bauch fast über das gesamte Messspektrum erstreckt. Er endet nur knapp unter dem praktisch erzielbaren Maximum.

Die gemessene, sehr natürliche Schärfe bestätigt auch der Blick auf das ISO-Chart. Aliasing-Artefakte des Bildsensors sind praktisch nicht vorhanden. Den optimalen Schärfepunkt des Objektivs sahen wir übrigens zwischen Blende 3,6 und 4.

Bei der sehr gleichmäßigen Farbauflösung gibt es nichts zu bemängeln. Der Farbpegel ist in der Werkseinstellung nicht übertrieben stark eingestellt.

Die Verzeichnung des Objektives ist dagegen relativ stark, was in Anbetracht des mächtigen Weitwinkels jedoch immer noch als sehr gut einzustufen ist.

Die Farbgebung in der Werkseinstellung ist ziemlich neutral, wobei unsere lila Rose eher rosa wiedergegeben wurde.

Bei wenig Licht zeigt die XF300 zwar kein schlechtes Bild, wird jedoch von vielen aktuellen Consumer-Kameras oder auch von Sonys EX1 mit 1/2-Zoll Chip deutlich übertrumpft.

Auch beim „optimierten“ Low-Light-Test legt die XF300 zwar ein sehr helles, jedoch auch deutlich verrauschtes Low-Light-Verhalten an den Tag.

Unser „optimiertes“ Testbild haben wir übrigens mit 18 dB Gain aufgenommen. Die Kamera kann zwar sogar 33 dB Gain zuschalten aber das Rauschen macht diese Option unserer Meinung nach praktisch unbrauchbar.

Die nächste schaltbare Gainstufe liegt dagegen bei 21dB, die auch in der Praxis einsetzbar ist. Das Rauschen bei 21 dB gegenüber 18dB ist jedoch noch viel grobkörniger. Die Kamera macht faktisch einen Schärfesprung zwischen diesen zwei Einstellungen.

Summa-Summarum: Schwachlicht ist trotz F1,6-Objektiv keine echte Stärke der neuen Canon XF300.
Sehr ausgeglichen ist dagegen der Ton: Das eingebaute Mikrofon rauscht wenig und liefert einen sehr gleichmäßigen Verlauf mit praktisch nicht beschnittenen Höhen.

Fazit
Canon hat mit dieser neuen Kamera-Serie schon etwas sehr feines auf den Markt geworfen. Beim Display und Sucher setzt die Kamera neue Maßstäbe und bei der Schärfe setzt sie sich ebenfalls vor die direkten Konkurrenten von Sony und Panasonic. Auch das Objektiv ist nicht von schlechten Eltern. Die manuellen Einstellmöglichkeiten sowie die digitalen Hilfsmittel (wie Waveformmonitor und Vektorskop) sind üppiger denn je. Einzige echte Achillesverse der Canon ist das Low-Light-Verhalten, das zwar nicht grottig ist, jedoch sichtbar schlechter, als der direkteste Konkurrent, Sonys EX1(R).
Besonders im Hinblick darauf, dass viele Fernsehsender mittlerweile 4:2:2 als Aufzeichnungsformat vehement einfordern ist Canon mit dem neuen Format ein ziemlich cleverer Schachzug gelungen, der die Kamera gerade in dieser Preisregion natürlich ziemlich einzigartig macht. Wir sind daher sehr gespannt, bei welchem Preis sich die neuen Canons letztendlich einpendeln werden, und ob sich der Straßenpreis dann unter oder über einer EX1R wiederfindet.