Meinung Viral will auch gekonnt sein

Viral will auch gekonnt sein

Wir waren kurz davor, ein Video in unseren Clipkanal einzugeben, mit einer kurzen Bemerkung, daß sich anscheinend beliebiges, collagenhaftes Stilmixen mit (schein-)dilettantischen Zügen zu einem neuen (?) Trend in Sachen Musikvideo auswächst, als wir nochmal genauer hinschauten und feststellten: es ist kein "Musikvideo", sondern Werbung.

// 10:06 So, 24. Jul 2011von

Wir waren kurz davor, folgendes Video in unseren Clipkanal einzugeben, mit einer kurzen Bemerkung, daß sich anscheinend beliebiges, collagenhaftes Stilmixen mit (schein-)dilettantischen Zügen zu einem neuen (?) Trend in Sachen Musikvideo auswächst, als wir nochmal genauer hinschauten und feststellten: es ist kein "Musikvideo", sondern Werbung. Oder anders: während Musikvideos auch Werbung sind, nämlich für Musikstücke, ist dieses Musikvideo die Verlängerung einer Werbekampagne, für das ein Musikstück entstand. Nun kann man sagen, egal -- in beiden Fällen geht es schließlich ums Geld. Und ob jetzt Konzerne Kurzfilme in Auftrag geben oder Musikstücke, um sich kreativ und klientelnah zu zeigen, macht auch keinen großen Unterschied. Tatsächlich sind auch weniger die Auftragsstrukturen und der Cashflow interessant, sondern was in diesem Fall dabei herausgekommen ist.






Das Musikstück „I may be wrong (but I doubt it)“ besteht im Grunde aus ein paar an sich ganz netten Audiosamples des Ex-Basketball-Spielers Charles Barkley, der mittlerweile im Fernsehen NBA-Spiele kommentiert, die von den Hip Hop-Produzenten Cool & Dre zu einem Track vermixt wurden. Barkley ist schon zuvor in Werbung für T-mobile aufgetreten, und auch dieser Track (sowie das Video) wurden von dem Mobilfunkbetreiber bzw. der Agentur Publicis in Auftrag gegeben. Ganz offensichtlich war Ziel der Kampagne, ein "virales" Video in Umlauf zu bringen, wie es mittlerweile jeder will -- klar, denn schließlich kann man sich in der On Demand Webvideo-Welt keine Sendezeit zur Primetime kaufen, man ist darauf angewiesen, daß Zuschauer sich den Clip freiwillig ansehen und ihn weiterempfehlen.



Daraus wurde auch kein Hehl gemacht: dem Musikvideo ging eine Art kurzer "Sneak-Preview" voraus. Der Ein-Minüter, der ab Dezember als Werbung im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde und von T-Mobile auf Youtube hochgeladen wurde, zeigt die -- gestellte -- Genese eines Virals. Dem Clip und Song zusprechende Jugendliche versenden ihn über ihre Handys und tanzen auf Partys dazu, während ein ungläubiger Barkley per Live-Streaming auf seinem Telefon zuschaut. Der Hinweis in minimaler Schriftgröße, daß die "screen images simulated" sind, ist leicht zu übersehen, die Abrufe in Millionenhöhe sind (und bleiben) jedoch ein Wunschtraum. Die Beschreibung könnte auf ein klassisches Viral passen: "A video clip of Charles Barkley´s one-of-a-kind NBA commentary gets passed around, remixed and mashed up by NBA fans around the country, turning Charles into an overnight viral sensation."






Einige Monate später erscheint dann auch das Musikvideo, das (wie schon der Track) allerdings alles andere als von Fans gestaltet ist, denn Regie führte Spike Lee, Animation und Design stammen von Superfad. Und hier nun endlich kommen wir zu der Frage, die uns an der ganzen Geschichte beschäftigt: wurde dieser sprunghafte, amateurhafte Look mit kruden Effekten, simplen 3D-Objekten, schlecht maskierten Bildteilen etc. gewählt, um den Anschein zu erwecken, der Clip sei von Usern mit Hobby-Software generiert worden, oder in dem Glauben, so müsse heute ein Video beschaffen sein, damit er die gewünschte Aufmerksamkeit erregt und von einem x-beliebigen Clip zu einem (Fanfaren! Trommelwirbel!) Viral mutiert? Irgendwie krass, irgendwie bunt, nicht einzuordnen, und bloß nicht langweilig sondern witzig war wohl die Devise. Das Resultat aber wirkt einfallslos, und nachdem der Clip es im offiziellen Tmobile-Kanal auf gerade mal läppische 550.000 Views gebracht hat, scheint es auch nicht den Geschmack der wie auch immer genauer definierten Zielgruppe perfekt getroffen zu haben. Oder darf man seinen Clip schon ab einer halben Million Views (in vier Monaten) virulent nennen? Freilich jede Menge Aufrufe, über die sich so mancher freuen würde, in Anbetracht der Tatsache, daß Barkley eine beträchtliche Fangemeinde hat, relativiert sich jedoch die Zahl. Und wieviele Views hatte der hier neulich gezeigte Werbeclip von Volkswagen (The Force) nochmal..? Richtig: gute 39 Millionen (in ebenfalls vier Monaten).[Nachtrag: Mittlerweile bietet T-Mobile selbst den Clip nicht mehr über seinen Youtube-Account an, ein Schelm, wer meint, dies könnte etwas mit den Views zu tun haben..]





Woran es wohl genau liegt, daß es mit dem Viral nicht ganz so geklappt hat? Vielleicht ist er tatsächlich einfach nicht gut genug (aber über Geschmack läßt sich streiten, und es werden auch andere Clips massenhaft abgerufen, die uns nicht gefallen..). Oder ist er nicht schlecht genug? Möglicherweise möchten sich die Leute im Netz nicht vorschreiben lassen, was sie sich ansehen und weiterempfehlen sollen und verweigerten das Ausführen des im Teaser gezeigten, von ihnen erwarteten Verhaltens. Könnte auch sein, daß es dem Clip an einem authentischen Feeling mangelt, trotz der großen Anstrengung, ihn "selbstgemacht" wirken zu lassen und den Anleihen bei der (sonst eher verteufelten weil in der Regel Copyright-mißachtenden) Fan-Remix-Kultur. (Übrigens dürfte dies hier wohl eine der Inspirationsquellen gewesen sein: Press Hop / DJ Steve Porter



Eigentlich ganz schön, daß diese platte Herangehensweise an die Aufgabe "Wie baue ich mir ein Viral" nicht mit völligem Erfolg belohnt wurde. Auch wenn einige mögliche Eigenschaften von erfolgreichen Clips bekannt sind (witzig sein, emotional sein, überraschend sein..), verhält sich eine Schablone zum echten Viral etwa wie die in diesem Clip angedeuteten Effektvorlagen zu mit- und hinreißenden visuellen Entwürfen. So ganz trivial ist es eben nicht, ein gezieltes Lauffeuer durch die Videoplattformen zu legen -- glücklicherweise. Und während unkommerzielle Babys und Katzen in drolligen Situationen anscheinend von vielen immer und immer wieder gern gesehen werden, sind die Ansprüche an ein Werbevideo höher: es muß so interessant und unterhaltsam sein, daß man es sich ansieht, *obwohl* es Werbung ist, oder so geschickt gemacht sein, daß man es kaum merkt, allerdings ein heikles Spiel, siehe etwa hier. Solche Clips im Grenzbereich zwischen echt und fake, bei denen man sich fragt, wie sie gemacht wurden, haben eh gute Voraussetzungen -- sie werfen Fragen auf, und beeindrucken durch ihren Einfallsreichtum und die oftmals investierte Mühe. Hä? oder Wow! also, oder am besten beides; wer will schon Hm...-Clips sehen?



Könnte sein, daß wir falsch liegen (aber wahrscheinlich nicht).


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