Filminteressierte haben eher selten Anlaß, ihre Schritte in ein Museum statt ins Kino zu lenken. In Berlin ist derzeit jedoch eine Ausstellung zu sehen, die sogar für die eigene Praxis interessante Impulse geben könnte. Anhand Auszügen aus gut vierzig verschiedenen Storyboards zu Filmen aus achtzig Jahren bekommt der Besucher einen Eindruck davon, wie vielfältig einsetzbar dieses Mittel in der (Pre-)Produktionsphase ist. Begleitende Filmausschnitte zeigen außerdem, wie die jeweiligen Szenen schließlich im Film umgesetzt wurden.
Storyboards, also die bebilderte Shotlist als Schritt auf dem Weg von Drehbuch zum fertigen Film, scheinen etwas außer Mode geraten zu sein, einerseits. Mit digitalen Produktionstechniken haben sich die finanziellen Zwänge gelockert (oder sich zumindest umgelagert) und es gilt nicht, mit minutiöser Planung jeden möglichen kostbaren Meter Film zu sparen. Statt dessen kann man theoretisch die Kamera ständig mitlaufen lassen, alles einfangen, Takes endlos wiederholen (solange die Schauspieler mitmachen), um den Film dann im Schnitt entstehen zu lassen. Einerseites.
Andererseits: je effektlastiger der Film, um so mehr Planung wird benötigt. Daher spielt das Storyboard vor allem bei großen, teureren Produktionen nach wie vor ein große Rolle. Denn was CGI und Spezialeffekte betrifft, spätestens hier geht es wieder ums Geld, sodaß das real gedrehte Material perfekt abgestimmt sein muß auf die am Computer erstellten Umgebungen oder Sequenzen.
Auf jeden Fall bietet ein Storyboard gleich mehrfachen Nutzen. Es zwingt die Regie, sich zu konzentrieren und vorab zu visualisieren, wie eine Szene aufgelöst werden soll oder kann. Welche Kameraperspektiven und -ausschnitte bieten sich an, welche Einstellungen braucht man, wo wird geschnitten, welches sind die Abfolgen, die die Erzählung vorantreiben? Im Drehbuch werden zwar Szenen beschrieben und Dialoge aufgeführt, aber erst bei der Storyboard-Planung werden sie in konkrete Bildentwürfe übersetzt. (Wie eng man sich später an die Vorlagen hält, hängt natürlich von der Arbeitsweise, den technischen Zwängen uä. ab.)
Nicht zuletzt dienen Storyboards dazu, über das Filmprojekt sprechen zu können, sowohl innerhalb des Teams (damit alle wissen, was angestrebt wird) als auch nach außen hin, um Finanzierung und auch Drehgenehmigungen zu sichern.
Wie man in dieser Ausstellung sehr schön sehen kann, gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Umsetzung, je nach dem, welche Funktion das Storyboard vor allem erfüllen soll. Da wären beispielsweise die rudimentären Bleistiftzeichnungen aus Regisseurs-Hand (Martin Scorseses nämlich, zu "Taxi Driver" / 1976), die dazu dienen, Kameraperspektiven, Anschlüsse und Bewegungsabläufe herauszuarbeiten. Eingezeichnete Pfeile und rot eingefärbte Bildteile signalisieren, worum es im Film gehen wird (blutige Action), kleine Anweisungen (Dolly IN, pan left) unter den Bildkadern präzisieren die Zusammenhänge.
Noch ausführlicher, geradezu wie eine zeichnerische Regieanweisung, liest sich das Storyboard zu "Who´s afraid of Virginia Woolf" (1966) -- hier sind Dialogfetzen, Figuren- und Kamerabewegungen und sogar Schnittmomente und -modalitäten ("overlap dialogue") enthalten. Tatsächlich verfügte der vom Broadway-Theater kommende Regisseur Mike Nichols über wenig filmische Erfahrung, weshalb ihm das Studio den Illustrator Maurice Zuberano an die Seite stellte; zusammen feilten sie ein detailliertes Bewegtbildkonzept aus.
Beinahe ohne Kommentare kam natürlich Alfred Hitchcock aus, lediglich einige Pfeile deuten Bewegungsveräufe an. Vereinzelt finden sich Bemerkungen wie "hold for 20 or 30 feet", die (übrigens in diesem Fall auf mittlerweile überholt-analog wirkende Art und Weise) die fehlende Zeitkomponente der gezeichneten Einzelbilder ausgleichen. Hitchcock konzipierte bekanntlich seine Filme weitgehend im Voraus (die Zeichnungen selbst fertigten andere an), und soll sich bei den Dreharbeiten so genau an die Planung gehalten haben, daß die Storyboards später auch als Schnittlisten hätten funktionieren können. Das für die Ausstellung ausgewählte Beispiel, "Die Vögel" von 1963, bestätigt dies -- bis auf leichte Varianzen in der Perspektivik sind die Einstellungen des Films mit denen des Storyboards identisch.
Nicht alle Storyboards sind auf die Funktionalität, wie am Set gedreht werden soll, reduziert. Auch ästhetische Überlegungen, etwa zu Farb- und Lichtstimmungen stehen oft im Vordergrund, wie Beispiele aus "Vom Winde verweht" (Victor Fleming u.a., 1939) oder Phantasia (Disney 1940) zeigen. Dean Tavoularis Storyboard zu Apocalypse Now würden sich schätzungsweise Comic-Liebhaber sogar gerne an die Wand hängen, und auch Saul Bass Filzstiftzeichnungen zu Kubricks Spartacus (1960) besitzen grafische Qualitäten, die über ihren Einsatzzweck hinausgehen.
Wer sich für Filmgestaltung interessiert, wird in der Ausstellung, die noch bis zum 27. November in der Deutschen Kinemathek / Museum für Film und Fernsehen in Berlin zu sehen ist, sicherlich aufschlußreiche Entdeckungen machen können. (Mehr Info auf den Seiten der Deutschen Kinemathek)