Frage von Lutz Dieckmann:Hallo zusammen,
ich habe ein neues Schnitt-Tutorial online gestellt. Diesmal geht es um die kleinen Dinge die man tun kann, um einen Schnitt effektvoller zu gestalten. Dies ist zum Beispiel für Flashbacks geeignet.
Fragen werden wie immer gerne hier im Thread beantwortet.
Viele Grüße
Lutz Dieckmann
PS. Schaut auch im Downloadbereich vorbei, da gibt es neues kostenloses Footage.
Antwort von domain:
Wirklich interessantes Tutorial.
Bemerkenswerter Weise erwähnte bereits 1957 Vance Packard in seinem Buch Die geheimen Verführer die "subliminale", also unbewusste Beeinflussung eines Zusehers durch gezielt eingefügte Einzelbilder in einem Film.
"Packard brachte als Erster das Thema Unterschwellige Werbung ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, indem er über die von James M. Vicary, dem Inhaber der New Yorker Werbeagentur „Subliminal Projection Co.“ angeblich entwickelte Technik der subliminalen Beeinflussung berichtete. Diesen Berichten zufolge sollten im Kino nicht wahrnehmbare Werbespots für Popcorn den Verkauf von Popcorn in die Höhe getrieben haben"
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_geheim ... %C3%BChrer
Antwort von Marco:
Man sollte immer gleich dazufügen, dass Vicary Anfang der 60-er zugab, dass diese "Studie" eine pure Erfindung zur Profitsteigerung seiner Werbeagentur war. Wo unterschwellige Werbung eventuell wirken könnte, wird völlig anders verfahren, nicht mit dem Einfügen von Einzelbildern.
Die in dem Tutorial gezeigte Schnitttechnik eignet sich auch nicht für einen Schnitt, der Homogenität in der Auflösung einer Sequenz erzeugen soll, sondern es ist eher ein Effekt, der die Homogenität zugunsten einer gesteigerten Dynamik aufbricht.
Marco
Antwort von domain:
Man sollte immer gleich dazufügen, dass Vicary Anfang der 60-er zugab, dass diese "Studie" eine pure Erfindung zur Profitsteigerung seiner Werbeagentur war.
Ja das steht ja auch im Wiki-Eintrag. Ich glaube mich zu erinnern, dass diese Art von Beeinflussung in der Werbung in den USA überhaupt verboten wurde. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das "Verfahren" zumindest in einem Kino mal getestet wurde.
Mir erscheint auch wichtig festzuhalten, dass die eingefügten Einzelbilder zur unbewussten Beeinflussung oder Erklärung natürlich schon in einem Kontext zur Handlung stehen müssen, also z.B. Mann oder Frau telefoniert und danach ein Regal von einem Supermarkt. Erklärt den Grund, warum er überhaupt mit dem Wagen aus der Garage gefahren war, nämlich um noch was auf Wunsch seiner Frau einzukaufen.
Naja ich werde dieses Verfahren mal probieren und testen ob es beim Zuseher funktioniert.
Antwort von Axel:
Unterschwellig sagen mir schreiend bunte Fehlfarben, dass ich schnellstens zappen möchte. Subliminal ist nicht dasselbe wie sublim.
Ein Roman handelte davon, dass die Hauptfiguren sich über Tage gegenseitig wachhalten mussten, da ein böser Hypnotiseur sie konditioniert hatte, in ihrem ersten Traum wahnsinnig zu werden. Spannend. Man kommt einfach nicht zum Schlafen.
Eingeschnittene Einzelbilder wirken als Irritationen und können im jeweiligen Kontext alle möglichen Funktionen haben. Es ist bewiesen, dass Motive solcher Bilder später erinnert werden können, aber sich zu erhoffen, den Zuschauer damit bewusst zu manipulieren, ist vermessen. Dasselbe Motiv ruft bei mehreren Personen unterschiedliche emotionale Reaktionen hervor, gefiltert durch psychische Instanzen, denen die Verführungskünste des Cutters jedenfalls nicht das Wasser reichen können.
Antwort von domain:
Gell Axel,
du bist auch eher ein Vertreter der Schnitthomogenität in der Auflösung einer Sequenz :)
Die beschriebene Schnitttechnik erinnert schon ziemlich stark an div. Musikvideos, bei denen die einzelnen Szenenschnippsel ja häufig schon deutlich unter einer Sekunde liegen. Aber die Fähigkeiten unseres Hirnes lassen sich unglaublich trainieren, unsere Kids können vermutlich schon drei Einzelbilder in einem Video bewusst erfassen und interpretieren.
Angeblich ist übrigens auch erwiesen, dass bestimmte Fähigkeiten des menschlichen Hirnes sehr rasch in den Genotypus übergehen.
Antwort von Lutz Dieckmann:
WOW,
das sind tolle Beiträge. Ich hatte die Idee zu diesem Tutorial weil in den US Serien solche Verfahren für Flashbacks genutzt werden. Deswegen habe ich auch extra Bilder verwendet, die NICHT zur Szene passen.
In der Werbung sind diese Dinge übrigens, soweit ich weiß, zumindest in den USA im Kino verboten. Eben weil sie unterschwellig funktionieren. Dazu gab es sogar mal eine alte "Columbo" Folge, wo der Mörder diesen Trick einsetzte, um sein Opfer aus dem Kino zu locken.
Und ja, es ist auch altersabhängig. Je jünger der Zuschauer, desto eher verträgt er diese Schnittart. Das hat seinen Hintergrund in den Videoclips und Games. Ich selber sehe ein Frame, bedingt durch die Tatsache, daß ich jeden Tag schneide. Das ist Übung.
Übertrieben wurde das meiner Ansicht nach beim letzten Bond. Da wurde in diePre-Title Sequenz so schnell geschnitten, das gab bei mir einen Data-Overfow. Ich hab es nicht mehr mitbekommen. Wenn man den Artikeln in der Presse glauben kann, dann ging das wohl mehreren so. Der Film selbst war jedoch gut.
Viele Grüße
Lutz Dieckmann
Antwort von Axel:
@domain
Kann man dafür oder dagegen sein? Ich sage nur mit Marco, dass unterschwellige Beeinflussung anders funktioniert. Indem man zum Beispiel joggende "Hausfrauen", die kaum älter als 25 sind, beim Verzehr von Schokoriegeln zeigt oder aus der Sicht des Bausparverweigerers ein süßes Mädchen, das diese Sicht auf den Kopf stellt. Ob die Fähigkeit, Inhalte schneller zu erfassen, vererbt wird oder erlernt wird, oder beides, wer kann das sagen? Wir sind auf eine große Palette von Schlüsselreizen geeicht, durch Sehgewohnheit, die Leuten aus 1950 vermutlich nichts sagen würden (oder etwas völlig anderes), und wir brauchen nicht mehr 5 Sekunden, um sie aufzunehmen. Wir
wollen verstehen, was ein Film meint, und darum lassen wir uns auf grelle Verknüpfungen ein, die Filmsprache entwickelt sich interaktiv.
Wenn in
Der Exorzist einzelne Bilder mit Teufelsfratzen eingeschnitten sind (sind sie), erhöht das das Gefühl der Unbehaglichkeit, das einen trotz der Colombo-haften Geschwätzigkeit des Kommissars ("Meine Frau geht nicht gern ins Kino") beschleicht. Mittlerweile funktioniert das kurze Zeigen des Krokodils hinter Kasper
zu gut. Warum? Hat man eben alles schon gesehen. Gähn.
(Zu
Fight Club, zitiert aus Wikipedia:
"Die Szenen, in denen Tyler Durden als Filmvorführer einzelne kurze Pornosequenzen in Familienfilme schneidet, sind ein Hinweis auf die von David Fincher verwendete Filmtechnik im ersten Drittel des Filmes. Hier schneidet er einzelne Bilder von Tyler in Szenen ein, die von dem Zuschauer nur schwer erkannt werden können. Diese Schnitte geschehen in Schlüsselszenen des Filmes, bis Tyler sich schließlich in der für den Erzähler "realen" Form manifestiert.")
Schnitt ist dazu da, Informationen mit einem bestimmten Timing zu präsentieren. Diese Informationen sind Inhalte, die vom Autor des Films selbst erst einmal umfassend verstanden sein wollen, sowohl die unterschwelligen Implikationen als auch deren Bedeutung. Ein schlechter Schnitt versaut"s, ein guter optimiert"s. Schnitte sind retorische Mittel, nicht die Rede selbst.
Der o.e. LBS-Spot stellt für mich eine filmische Spitzenleistung dar durch sein Verstehen/Verständnis der Erwartungshaltung des Zuschauers, durch die dieser Grundlage angepasste Erzählhaltung. Kurze Schnitte, Handkamera, der Blick irrt über einen Wohnwagen-Park, freundliche, bunte Bilder. Sympathische Menschen. Aber ist das was für uns? Wollen wir so leben? Das Kind spricht es aus: Da will ich lieber Spießer sein. Ein kleiner Interessenkonflikt in uns, eine wertende Verallgemeinerung, eine kleine Selbsttäuschung, von den Werbefritzen erkannt und als Gedanke elegant formuliert, sodass der Gedanke fest eingebunden wird in das Weltbild des Zuschauers.
Das ist Manipulation.
Antwort von domain:
@domain
Kann man dafür oder dagegen sein?
Weder noch. Es ist nur ein kleiner Aspekt von Videokunst oder Schnitttechnik, der registriert werden sollte, sofern das nicht schon geschehen ist.
Habe aber auch schon genau das Gegenteil in einer Ausstellung von Robert Wilson gesehen. In diesen auf großen LCD/TFTs gezeigten "Standbildvideos" bewegt sich ja sogut wie gar nichts und das zwingt einen zum sehr langen Hinsehen um überhaupt die kleinen Veränderungen zu bemerken.
Ist eine andere Ausdrucksform, eben die Kunst der Langsamkeit.
http://www.museum-joanneum.at/de/neue_g ... ortraits_1
Antwort von Axel:
Ist eine andere Ausdrucksform, eben die Kunst der Langsamkeit.
Beides, sehr schnell und sehr langsam, setzt eben voraus, dass der Zuschauer sich freiwillig darauf einlässt. Er kann nicht dazu verführt werden, da ihm das Willkürliche der Beschleunigung/Verlangsamung zu stark bewusst wird.
Was wir glaube ich alle mögen, ist der häufige Perspektivenwechsel, den Lutz ja auch oft empfiehlt. Er entspricht einer Fragmentierung der Raum/Zeit-Darstellung. Der Zuschauer wird sie bereitwillig mitmachen, da er mehr erfahren will, und das so schnell wie möglich. Es entspricht der Art, wie wir selbst unbekanntes Terrain erfassen, nicht etwa durch einen Schwenk, sondern durch eine Schnittkaskade. Der Blick wandert schnell und ruckartig über die Szene und scannt nach Bezugslinien, das Gehirn setzt alles zu einem "Tatort" zusammen. Kurze "Nichtpasser" steigern ganz einfach das Tempo (Trailer-Schnitt) und können den Zuschauer zu erhöhter Aufmerksamkeit anstacheln (
das wäre ihre eigentliche Wirkung).
Ich habe gestern
Der schmale Grat gesehen, bei dem wenige Informationen über lange Einstellungen gestreckt werden. Schon anstrengend, aber der Film ist sehr poetisch, und wenn man sich drauf einlässt (vom Temperament her drauf einlassen
kann), ist er sehr schön. Für das Gegenteil fällt mir gerade kein griffiges Beispiel ein.
Antwort von Marco:
Lutz, das Tutorial finde ich gut. Ich denke, die Beiträge hier können zusätzliche Anregungen geben, wo und wie das dort Gezeigte angewendet werden kann.
Marco
Antwort von Lutz Dieckmann:
Ja Marco,
genau so ist das ja auch gedacht, ich finde es toll was hier gerade abläuft. Danke an alle für die vielen Ideen.
Gruß
Lutz