|
Unlängst unterhielt ich mich am Rande eines großen koreanischen Filmfestivals sehr heiter mit einem europäischen Filmkritiker über nicht weniger
als die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des Films. Wir waren fast schon auf dem Heimweg, als draußen die Flut des Meeres allmählich lauter wurde. Ich kann nicht erklären warum, aber häufig enden
solche Gespräche über den Film in einer sehr melancholischen Stimmung. Um unsere Heiterkeit wiederzufinden, fragte mich der befreundete Filmkritiker, was meiner Ansicht nach die neue Antriebskraft für
Filmschaffende sein könne.
Ohne groß zu überlegen antwortete ich, daß das Zeitalter des Amateurfilms bald wieder kommen wird.
Ich meine es ernst. Jedesmal, wenn ich nach den Perspektiven des Filmschaffens gefragt werde, behaupte ich dies. Und voller Absicht stelle ich
damit automatisch das sogenannte professionelle Filmschaffen in Frage. All jene Leute, die die kommerziellen Regeln und Gesetze der Filmbranche für einen unantastbaren Kanon halten und sich nicht scheuen, mit
ihren Marktfähigkeiten anzugeben, haben längst ihr Denkvermögen verloren. Sie achten penibel darauf, ob ihre Werke dem „professionellen Standart“ entsprechen. Bei dieser Art des Filmschaffens geht es
nur darum, daß die Bilder so fein wie Ölmalerei sein müssen, die Kameraführung sollte vielleicht der von Antonioni entsprechen, und im Gesicht des männlichen Hauptdarstellers könnte noch wie zufällig
ein Licht reflektieren.... Sie grübeln unablässig darüber nach, was den professionellen Wortführern und Entscheidungsträgern im Filmmilieu an neuen Raffinessen gefallen könnte, verbieten sich aber jegliche
Versuche, eine eigene Filmsprache auszuprobieren, aus Angst, die allgemein anerkannten Spielregeln zu verletzen. Solche Experimente werden als laienhaft angesehen. Dadurch wird vollständig in den Hintergrund
verdrängt, was nach meiner Auffassung ein Film wirklich braucht: Ethik und Wahrhaftigkeit.
Diese Werte aber existieren in der Welt des professionellen Filmschaffens nicht, dort klammert man sich an leere, stupide Begriffe und
vermeintlich sichere Wertvorstellungen. Die meisten Professionellen sind unempfänglich für Neuigkeiten und nicht in der Lage, über „andere“ Filme unbefangen zu urteilen. Dennoch mahnen sie vor allem
jüngeren Filmschaffende unermüdlich: wiederholt euch nicht und verändert euch stets!
Dabei gibt es eine ganze Reihe von Regisseuren, die dieser Form der Professionalisierung schon immer kritisch gegenüberstanden. Es war sicher
keine Koketterie, als sich beispielsweise Kryzstof Kieslowski vor gut zehn Jahren einen „Laienregisseur aus Osteuropa“ nannte. In seiner vorsichtigen Selbstbeschreibung steckt eine Art von Kraft, die
Selbständigkeit und Selbstvertrauen verkörperte. Oder auch Akira Kurosawa, der sein Leben lang sagte, er habe zwar viele Filme gemacht, aber trotzdem wüsste immer noch nicht, was Film ist. Er war immer auf der
Suche nach der Schönheit des Films gewesen.
Zweifellos hat sich in der Filmproduktion Asiens in den letzten 10 Jahren sehr viel getan, man kann unumwunden feststellen, daß viele asiatische
Länder inzwischen Filme nach internationalem Standart produzieren. Doch was den Film als Kunstform betrifft, muß man auch viele Rückschritte eingestehen. Huang Ailing, der lange im Auswahlkomitee für das
Filmfestival in Hongkong arbeitete, meinte dazu einmal, daß sich hinter der Glorifizierung von High-Budget-Produktionen das Fehlen der kulturellen Zuversicht verbirgt. In diesem Zusammenhang spielt das
Hollywood-Kino eine zentrale Rolle, denn auch im Filmbereich findet derzeit eine Globalisierung statt. Viele asiatische Filme stehen faktisch in direkter Konfrontation zu diesem gleichmacherischen Trend, der dazu
führen wird, daß in ein paar Jahren junge Leute in ganz Asien dieselben Lieder singen und die gleichen Klamotten tragen werden. Die jungen Frauen werden gleich geschminkt sein und die gleichen Handtaschen bei sich
haben werden. Schon heute sieht man beispielsweise im koreanischen Fernsehen fast die gleichen Programme wie in China – oh, was wird das noch für eine Welt werden!
Vor diesem Hintergrund glaube ich, daß der unabhängige Film in Zukunft sehr wichtig werden könnten, wenn es darum geht, die kulturellen
Besonderheiten eines Landes zu bewahren. Ich neige immer mehr zu der These, daß es zwischen den Völkern nur dann eine wirkliche Verständigung und ein gleichberechtigtes Miteinander geben kann, wenn die
kulturellen Unterschiede respektiert werden. Die Globalisierung jedoch führt zur Nivellierung und Monotonie. Deswegen betone ich, daß gerade wenn sich die Filmindustrie in einer Rezession befindet, wenn es an
„kultureller Zuversicht“ mangelt, die Hochzeit des unabhängigen Filmschaffens beginnt. Eine kritische Grundhaltung, Selbstreflexion und undogmatische Kreativität sind die Kräfte, die bei einer
kulturellen Neuorientierung zuallererst gebraucht werden.
Darum bin ich sicher, daß das Zeitalter des Amateurfilms bald kommen wird.
Solchen Regisseuren wird die Zukunft gehören, die voller Leidenschaft und mit einem unaufhaltsamem Drang zum Kino ihre Filme machen. Sie lassen
sich nicht nach den bestehenden Konventionen der Branche beurteilen, weil ihre Filme nicht in diesen engen Rahmen passen. Ihre filmische Sprache ist innovativ und will emotional sein. Unabhängige Filmschaffende
kümmern sich nicht um professionelle Konventionen, weil sie sich nur auf diese Weise einen Freiraum für ihre kreative Arbeit schaffen können. Sie lehnen traditionelle Maßstäbe ab und sind deshalb
empfänglich für Ideen, Anregungen und Werte jenseits der engen Welt von Filmstudios und Filmhochschulen. Für ihre Arbeit gelten die professionellen Grenzen nicht, sie bewegen sich außerhalb der althergebrachten
Gesetze und Konventionen. Sie sind aufrichtig und realitätsverbunden, weil sie ihre intellektuelle Ethik bewahren wollen.
In dieser künstlerischen Tradition stehen Regisseure wie Godard, Bunuel, Rohmer oder auch der von der Filmhochschule abgelehnte Fassbinder.
Polanski sagte einst, die New-Wave-Filme seien Amateurwerke. Dieser hochnäsige Profi hat dabei nicht bedacht, dass eben diese genialen Amateurwerke dem Kino unendliche Möglichkeiten verschafft haben. Das ist
inzwischen 20 Jahren her.
Und wie ist die Situation heute? Niemand weiß, ob unter den unzähligen Besuchern unserer Spezialläden für raubkopierte VCDs nicht vielleicht
ein chinesischer Quentin Tarrentino zu finden ist? Oder ob nicht sich bei den DVD-Regisseuren ein Genie entdecken läßt? Film darf nicht länger das Privileg einer kleiner Gruppe von Menschen sein. Das Kino
gehörte schon immer den Massen! Unlängst traf ich in Shanghai einen Kreis junger Cineasten. Sie verdienen ihr Geld als Flugzeugmechaniker oder Plakatmacher – aber vielleicht sind sie die zukünftigen Filmemacher
Chinas? Ich habe schon immer eine Antipathie gegen die unerklärliche Überheblichkeit von „Professionellen“ gehegt. Mir stehen die Amateure nah. Ihre Arbeitsweise lebt von dem Glauben an Gleichberechtigung und
Gerechtigkeit, sie haben ein aufrichtiges Interesse am Leben und echtes Mitgefühl für normale Menschen.
Übersetzung: FANG YU. (Die Übersetzung ist in Absprache mit dem Verfasser
Leicht gekürzt worden.)
|