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balken-schmal.
Textübersicht
Jon Jost 
 Der Code der Geschichte
Wim Wenders 
 Vorstoß in neue Welten
Gerhard Schumm 
 Über digitale Montage
Ulrike Koch 
 Mini DV als Chance
Matt Hanson 
 Das Ende des Zelluloids
Todd Verow 
 Die digitale Revolution
Jerome Katzenbach 
 DV ein Schnäppchen
Jia Zhangke 
 Amateurfilmer

*Mut zum Medium wird hier gefordert. Digitales Video ist noch auf der Suche nach seiner Identität, nach einer eigenen Ästhetik. Auch Dogma geht Jost nicht weit genug.
Jon Jost verkörpert den zeitgenössischen Independent-Film wie wenig anderere. Seit -97 ist er auch ein Missionar des digitalen Videos.

Zum Verständnis, was DV anderes sein kann, als ein billiger Abklatsch ermüdend alter Filmklichees.

Vor ein paar Jahren, die sich in der Hochgeschwindigkeitswelt der Elektronik freilich wie Generationen anfühlen, hat sich ein Konsortium von Elektronikkonzernen zusammengeschlossen, um 1995 in den USA und 1996 in Europa ein neues Video-Format einzuführen: DV. Anstatt wie zuvor auf analoger, basiert dieses Format auf digitaler Technologie. Kombiniert mit einem spezifischen Kompressionsalgorythmus und Apples Fire-Wire-Schnittstelle schien dieses Format auf den gehobenen Amateur-Markt abzuzielen - auf Leute, die Hi8 oder S-VHS gebrauchten, um die Familienferien und -geburtstage zu filmen, die jedoch für etwas noch Besseres Geld ausgeben würden. Tatsächlich hat man versehentlich ein Videoformat kreiert, das so gut war, dass es sofort die Aufmerksamkeit von Profis auf sich zog: von Nachrichtenteams über Experimentalfilmer bis hin zu waschechten Filmemachern. Nach dem anfänglichen Hurra von Videofilmern, den üblichen Beschwerden von Filmern und dem handelsüblichen Gedöns um ein neues Produkt ist DV schnell durchgestartet.

Ein mächtiger Eisbrecher in Sachen Akzeptanz bei Öffentlichkeit und Industrie war die Adoption des DV- Formats durch Dänemarks etwas sprunghaften (und gemessen an kommerziellen Standards schlicht seltsamen) Lars von Trier. Im Anschluß an seine TV-Kultserie-Qua-Kino-Erfolg, "The Kingdom", und sein handgefilmtes 35mm Epos "Breaking the Waves" verkündete von Trier zusammen mit befreundeten Kopenhagener Anarcho-Filmemachern ein neues Manifest, Dogma 95 (www.dogme95.dk). Diese "back-to-basics" Deklaration, die im Grunde eine PR-Aktion und eine Provokation war, baute in einigen Bereichen auf die Vorzüge von DV, ja beutete einige von dessen Merkmalen sogar aus. (Das Logo von Dogma ist der Hintern eines schweinsähnlichen Hundes, aus dem ein blinzelndes Auge schaut).

Der Startschuß erfolgte mit von Triers "Die Idioten", der bei einer Trier-eigenen Firma auf 35mm transferiert und mit großem Trara vermarktet wurde. Dem Film, der sich an den Kinokassen schon ganz gut behaupten konnte, wurde der noch erfolgreichere "The Celebration" von Thomas Vintenberg und Soren Kragh-Jacobsens "Mifune" hinterher geschickt.

Eine überschwengliche Presse folgte dem durch die Kinobesucher geebneten Pfad und plötzlich war DV "in", ebenso wie der Dogma-Stil: handgehaltene Kamera, kein zusätzliches Licht, improvisiert, frei.

All dies wurde der Unterhaltungswelt als etwas brandneues, als eine Befreiung von den lähmenden Regeln Hollywoods, vom großen Geld etcetera verkauft. Dass es allerdings nicht wirklich neu war, wurde in dem ständigen Hunger nach Neuem geflissentlich unter den Teppich gekehrt. Dass Cassevettes etwa Shadows in den späten 50ern, also 40 Jahre zuvor gedreht hatte und dass es eine lange Liste von anderen gab, von den frühen französischen New Wavern zu den US-Independent-Filmern (mich eingeschloßen), die bereits seit Jahrzehnten "anders" arbeiteten, wurde verdrängt. Dogma 95 war heiss, hipp und neu, und auch wenn die Geschichte etwas anderes zu sagen hatte - wen zum Teufel kümmerte das, in einer Industrie mit dem Gedächtnis eines Flohs. Die Hauptsache war, daß sich dieser Dogma-Kram verkaufte und Aufmerksamkeit erregte. Auf diesem Weg wurde die bisherige Konvention, nach der Video einfach nur schlecht aussah, gesprengt, weil es dem Publikum anscheinend total egal war, ob ein paar Zacken oder andere elektronische Artefakte im Bild zu sehen waren. Davon abgesehen hatten Lars und Co. (zusammen mit anderen) einen gefälligen Transfer-Trick ausgeklügelt, um die angeblichen Videodefekte zu übertünchen. Am Ende stand wie stets: Das brachte Geld ein. Ein Paar Jahre später kam "The Blair Witch Project" raus, ein Film, der - obwohl nicht mal auf DV sondern in schlechtem Hi8 gedreht - alle Kassenrekorde gesprengt hat, schlau das Internet als Propagandamedium gebrauchte und die Haarspalterei der Industrie über die Qualität von Video zum Verstummen brachte. Die einzige Qualität, für die sich die Industrie wirklich interessiert, ist die Qualität des Gewinns. Blair Witch hat weltweit mehr als 200.000.000 Dollar eingespielt - nicht schlecht für einen lausigen Film, deren Produktionskosten weit unter 100.000 Dollar lagen, und sicherlich ein Ereignis, dass einige Leute in Los Angeles aufhorchen ließ.

Also, was war nun Dogma 95 und sein Niederschlag in Bezug auf angeblich große Veränderungen der Film-Formel und ihrer Ästhetik dank des neuen Wunders: DV?

Die Grundregeln waren ziemlich simpel und offensichtlich. DV-Cameras wiegen lediglich ein Paar Pfund. Sie haben elektronische Bildstabilisatoren, gute Linsen, und im Gegensatz zum früheren Video kann mit ihnen in nahezu jedem Licht aufgenommen werden. Also waren die Regeln freihand und kein extra Licht. Weil DV-Kassetten gerade im Vergleich zu ihrem Celluloid-Equivalent sehr billig sind, bietet es sich an, viel zu filmen - mit mehreren Kameras, vielen Einstellungen und wildem, hemmungslosem Improvisieren. Man kann die Aufnahmen löschen und das Tape wiederverwenden, was noch mehr dazu verleitet, die Dinge laufen zu lassen und sein Glück zu versuchen. Davon abgesehen, haben Dogma 95 und seine Ableger DV lediglich als Arme-Leute-Film gehandhabt - finanziell befreiend, den Zuschauer auf einen narrativen Pfad lenkend - aber nicht viel mehr. Das Interesse von Dogma 95 an Digitalem Video per se als einem neuen Medium scheint sowohl durch das Herumtricksen am Film-Transfer-Prozess als auch durch die Umsetzung von hauptsächlich filmorientiertem Denken und Handeln verraten zu werden.

Draußen in den weiter entwickelten Regionen der DV-Welt, kann man unzählige Produkte und Dienstleistungen finden, die die gleiche Mentalität widerspiegeln. Man kann für gößere Summen eine Software-X kaufen, die einen Filmlook produziert, während vielfältige Video-Film Ausrüstungen jenen magischen Filmlook dank ihres proprietären Haufens teurer Tricks versprechen - die alle nur dazu benutzt werden, um die Schärfe herabzusetzen, den Kontrast runterzuregeln und den mathematischen Wechsel von 30 oder 60 (25 oder 50 in PAL-Ländern) Bildern pro Sekunde zu den heiligen 24fps zu vollziehen. Bei all dem scheint die Tatsache nicht wahrgenommen zu werden, dass dieser teure Tango zurück ins Filmland eine ironische Note mit sich führt und dass er das Geschwätz über die wunderbare, hippe Neuheit von allem, was digital daherkommt, eigentlich verrät. Und tatsächlich vermute ich, daß diese Kommerzialisiserung nicht von den Leuten vorangetrieben wird, die an etwas ästhetisch Neuem oder Riskantem interessiert sind, sondern von jenen konservativen Vertretern, die starr auf die Zuschauerzahlen und auf die gängigen Mechanismen der Distribution schauen, die geschäftig nach Wegen suchen, ein neues gefährliches, billiges Medium zu vereinnahmen, und die durch das Auftauchen des Internets als Distributionsmittel richtig nervös werden - zumal es das Zeug hat, die Großen auszuhebeln.

Dies ist eine alte Geschichte, die sich historisch betrachtet in der Kunst- und Medienwelt vielfach wiederholt hat - eine Geschichte, in der "neue" Techniken immer auch ein wenig die alten nachgeahmt haben. Wie die Photographie durch eine Phase des weichgezeichneten romantischen Victorianismus ging, bis die Maler die photorealistischen Qualitäten den Photographen überließen und zum Impressionismus und dann Expressionismus gelangten - größtenteils "Realismus" der Linse überlassend -, so neigen sich die digitalen Medien gegenwärtig in dem Versuch zurück, unter allen Umständen filmisch zu wirken. Hierbei tritt ein profunder Konservatismus zutage, der schon bald ebenso dumm aussehen wird, wie jene frühe Photographien, die versuchten, wie Gemälde auszusehen.

©1999 jon jost Copyright Jon Jost und DV.com

 

AVIDStonehead Cut

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