netLoungeDV 2002netLoungeDV 2002 IndexnetLoungeDV 2002 Index deutschInternationales Forum des jungen FilmsnetLoungeDV english

[Index] [DV-Filme] [Texte] [Videoclips] [China-Spezial] [Sponsoren] [Diskussions-Forum] [netLoungeDV] [Impressum]

balken-schmal.
Textübersicht
Jon Jost 
 Der Code der Geschichte
Wim Wenders 
 Vorstoß in neue Welten
Gerhard Schumm 
 Über digitale Montage
Ulrike Koch 
 Mini DV als Chance
Matt Hanson 
 Das Ende des Zelluloids
Todd Verow 
 Die digitale Revolution
Jerome Katzenbach 
 DV ein Schnäppchen
Jia Zhangke 
 Amateurfilmer

*Wenders vertritt als Grenzgänger und Mittler zwischen Independent und grosser Produktion, DV und 24p, die Stimme des 'grossen' Kinos - ein Kino, das sich langsam den digitalen Formaten öffnet.

Für gut hundert Jahre hat sich das Erzählen in Bildern fotografischer und mechanischer Mittel bedient. Die haben das erstaunlichste Produkt des 20. Jahrhunderts hervorgebracht, nämlich Film und Fernsehen. Bilder und Geschichten auf analoger Basis. Jetzt, ziemlich zeitgleich mit dem neuen Jahrtausend, werden Bilder und Geschichten auf eine neue Basis gestellt. Das Zauberwort heißt "digital".

Das Kino steht mitten drin in der Übergangszeit vom Zeitalter der photochemisch- mechanischen Technik zur voll-digitalen, es steht in einer Revolution, deren Ausmaße größer und umwerfender sind als damals, Ende der Zwanziger Jahre, der Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm.

Das Kino hat seinen Fuß erhoben, hält ihn gerade hoch in der Luft, und irgendwo wird er dann wieder aufkommen, am anderen Ufer. Und dann stehen ein paar echte Sieben- Meilen-Schritte an.

Das Erzählen geht auf jeden Fall weiter, das ist ein unausrottbares menschliches Grundbedürfnis. Mit digitalen Mitteln kann man alles erzählen, was man mit filmischen Mitteln erzählen konnte. Bloß mehr. Die Zukunft des Geschichtenerzählens, Werbens und Unterhaltens in Bildern gehört eindeutig dem digitalen Medium, von der Aufnahme bis hin zur Projektion oder was auch immer für eine Auswertung am Ende steht.

Digitale Bildbearbeitung erlaubt eine intensivere Beeinflussung des Bildes, natürlich in der Postproduktion, aber auch schon bei der Aufnahme. Wer hier vor einem High-Definition- Monitor sitzt, sieht seine Muster schon beim Drehen, kann jetzt schon seine Lichtbestimmung machen. Das setzt ungeahnte kreative Möglichkeiten frei. Eine größere und weitgehendere Sorgfalt, mit dem Bild umzugehen, und eine weitreichende bildnerische Gestaltung sind die Folge. Eine Annäherung an die Malerei könnte man das auch nennen. Jetzt kann ein Filmemacher malerische Möglichkeiten der Bildgestaltung wirklich in das filmische Vokabular aufnehmen. Er kann ja, ähnlich wie ein Maler, mit der Realität umgehen, wie er will. Sie umstellen und anders wieder zusammenbauen. Die digitale Technik kann man ja fast wie die Aufsplitterung und Zertrümmerung jeglicher Abbildung in seine Atomteilchen ansehen, die man nach freiem Ermessen dann wieder zusammensetzen kann.

Das digitale Bild bietet wesentlich mehr Möglichkeiten, virtuelle Welten aufzubauen, als das analoge. In ihm schlummert sozusagen latent die Möglichkeit, jeden Aspekt seiner Erscheinung verändern zu können. Was nicht heißt, dass es nicht zur unverblümten Darstellung von Realität taugen würde. Das kann es auch. Es kann alles, was Film konnte, nur mehr.

Und dieses Mehr liegt vor allem auf dem Gebiet der Manipulation. Darin liegt seine Potenz, und gewiss auch etwas Beunruhigendes. Der Verlust der Idee vom Original und der damit verbundenen Wahrheitsvorstellung ist eine kulturphilosophische Entwicklung, die die digitale Technik im Schlepptau mitgebracht hat. Da ist es vielen erst mal Angst und Bange geworden. "Das Negativ" schien ein Garant zu sein für eine unmittelbare Verknüpfung mit der Realität und, eben, Wahrheit. Wenn man mit dem digitalen Bild schon aufgewachsen ist, gibt es diese Skrupel erst gar nicht, da wird die Wahrheitsidee von vorneherein schon gar nicht mehr mit der Kultur des Bildes zusammengebracht. In dem Moment, wo man diesen vermeintlichen Verlust akzeptiert und sich davon nicht mehr herunterziehen lässt, öffnet sich ein ganz anderen Zugang zum digitalen Bild, wird das "Mehr" der Möglichkeiten im wahrsten und zweideutigen Sinne zu einem riesigen neuen Ozean, in den man hineintauchen kann oder den man übersegeln kann, je nachdem.

Aber dazu muß man zunächst die Technik in den Griff bekommen. Technik per se erzählt erst mal rein gar nichts. Man muß sie dazu bringen. Und mit einer neuen Technik gut erzählen tut man erst dann, wenn man nicht mehr an sie denken muß, wenn sie sich nicht mehr aufdrängt.

Wir haben uns alle ein bißchen angewöhnt, den Begriff "digital" mit "spektakulär" gleichzusetzen. In einem so unspektakulären Genre wie dem Dokumentarfilm aber ist die digitale Technik gerade dabei, den 16mm-Film überflüssig zu machen, ohne irgendwelche Effekte, nur mit handlicher, leichter, unaufdringlicher und kostengünstiger Alternativtechnik. Gerade hier stellt sich die digitale Technik den Inhalten bescheiden zur Verfügung, anders als sie anfangs wahrgenommen wurde. So einen weltweit erfolgreichen Film wie BUENA VISTA SOCIAL CLUB hätte man auf Celluloid nicht drehen können.

Digitale Technik wird viele kleinen Formen des Erzählens wiederbeleben und überleben lassen.. In der digitalen Zukunft wird die Artenvielfalt des Kinos wieder gepflegt werden können. Die Blockbuster wird es immer geben. Aber auch kleine Filme werden ihre Zielgruppen erreichen können, nicht zuletzt durch neue Distributionsformen, die erst durch digitale Träger und digitale Projektion möglich werden. Die gesamte Hierarchie und Power-Struktur der Großen Verleiher und Studios, die wir heute kennen, wird in diesem Prozess neu aufgemischt werden. Lokale Geschichten und lokale Stars werden wieder ihre Chance bekommen, einfach weil sie lokal auswertbar werden. Spezifierung wird wieder mehr gefragt sein, Kino für Minderheiten, ausgefallene Filme.

Das Hauptthema in Richtung Zukunft ist die Theaterauswertung. Hier, im Kinosaal, schnurren noch die alten Projektoren ganz wie im Prinzip die ersten Filme der Brüder Lumière zu Ende des 19.ten Jahrhunderts. Das Kino ist eine letzte Bastion alter photomechanischer Techniken.

Aber nicht mehr lange.

Schon in ein paar Jahren werden in den meisten Kinos die Bilder von einem digitalen Band kommen, werden High-Definition Datenprojektoren und digitale Technik auf breiter Front Einzug halten. Die Vorzüge sind nicht von der Hand zu weisen. Digitale Bildträger sind wesentlich leichter und billiger als Filmkopien, sie reißen nicht, verkratzen nicht unweigerlich durch die mechanische Beanspruchung. Die Bilder stehen ruhig auf der Leinwand, das Format entspricht immer dem, welches die Produzenten vorgesehen hatten. Auch nach 1000 Vorführungen wird der Film fehlerfrei und klar und brilliant auf der Leinwand erscheinen. Neben Bändern und Bildplatten werden Filme auch über Kabel oder Satelliten in die Kinos gebracht werden können.

Vor allem und zuerst im Werbebereich wird die Installation von digitalen Projektoren von den Kinos voll genutzt werden können. In der Kindervorstellung kann eine andere Werbestaffel und andere Vorfilme laufen als abends oder in der Spätvorstellung. Die Agenturen können ihre Produkte und ihre Kampagnen wesentlich effektiver einsetzen und feintunen: Ist es heiß, wird für das Cabrio geworben, wenn es regnet, für das Coupé.

Diese Revolution im Bereich der Werbung wird aber nur der Vorläufer sein für die Große Revolution, vor der das Kino steht. E-Cinema. Digital aufnehmen und bearbeiten können wir heute schon. Das digitale Abspielen wird das nächste Kapitel sein. Ich bin ganz sicher, daß es schon in einem Jahr eine ganze Reihe von Kinos geben wird, und daß wir schon in zwei, drei Jahren wieder eine Stufe weiter sind. Insgesamt wird es vielleicht fünf Jahre dauern. Bis die neue Technik ins letzte Dorfkino durchgekommen ist, werden es 20 sein. Die Kinos werden wesentlich flexibler ihr Programm gestalten können. Derselbe Film kann nachmittags mit Untertiteln, abends synchronisiert und in der Spätvorstellung in der Originalfassung gezeigt werden, je nachdem, wie es die Marktgegebenheiten und Publikumswünsche angeraten scheinen.

Beim Siegeszug der digitalen Technik wird die Speicherung, Archivierung und Verwaltung von Filminhalten eine gewichtige Rolle spielen. Denn gerade hier kommt es ja darauf an, die Inhalte, den "Content", der nächsten Generation zugängig zu machen. Das bedeutet zunächst einmal die hochauflösende Digitalisierung vieler Filme der letzten 100 Jahre. Die Speicherung auf Festplattensystem wird es gestatten, diese Inhalte, nämlich 100 Jahre Filmgeschichte, jederzeit, an jedem Platz und online zur Verfügung zu haben.

Die Digitalisierung und der "Versand" von audiovisuellen Inhalten, auf neudeutsch "digitales content management" hat ein gigantisches Potenzial. Die Zukunft gehört der digitalen Speicherung bewegter Bilder auf Servern, und damit der Möglichkeit, Bilder auf Knopfdruck über Datenleitungen abzurufen. Diese Dienste werden zunächst von Fernsehsendern für Werbung werden, später wird die Distribution von ganzen Kinofilmen, der dazugehörigen Trailer und Werbefilme derartig erfolgen. Zur Zeit geben die Verleiher in Deutschland jährlich 150 Millionen Mark für die Herstellung von Kopien und für deren Versand aus. Das macht immerhin knapp 20% des gesamten Verleihumsatzes aus. Auch wenn die Belieferung der Kinos über Server nicht umsonst sein wird, nach der ursprünglichen massiven Anstrengung wird sich diese neue digitale Technik sicherlich rechnen.

©2000 wim wenders


Dieser Text ist eine Zusammenfassung von zwei Vorträgen von Wim Wenders zum Thema "Digitaler Film", gehalten auf der Mecon 2000 (Juni) + auf dem Investment-Dialog 2000 der GZ-Bank (September).

 

AVIDStonehead Cut

>> diesen Text im Forum diskutieren!

+++ Die netLoungeDV ist ein Projekt von slashCAM-VideoX +++