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Das Ende des Zelluloids ist schon lange vorhergesagt worden. Doch jetzt, wo Filmemacher von Hollywood bis zum East End neue digitale Techniken für sich
entdecken, stehen wir vor einem gewaltigen Umbruch, egal ob es sich um "No-Budget", "Low-Budget"oder Studioproduktionen handelt. Mit der Ankunft von digitalem Videomaterial und computerbasierter
Postproduktion verblasst das Mysterium "Filmproduktion". Negativschnitt am Schneidetisch, Filmentwicklung und die optische Verarbeitung machen Platz für einfachere, moderne Methoden.
Aber während
das Mysterium schwindet, rückt die Möglichkeit, selbst einen Film zu machen, in greifbare Nähe. Genauso wie Sampler und Synthesizer die Musikproduktion revolutioniert haben und durch sie eine Vielzahl neuer
Musikgenres entstanden, besitzt das digitale Filmemachen das Potential, zur Initialzündung für den Independent Film in Großbritannien und weltweit zu werden. Durch die neuen Möglichkeiten, Bilder zu kreiieren und zu
bearbeiten, werden die Sprach- und Bildwelten des Films neu definiert.
Abseits der Video-Kultur wechseln kreative Talente aus Bereichen, die ursprünglich nicht viel mit Film zu tun hatten, hinüber zur Arbeit
mit Bewegtbildern. Das Onedotzero-Festival / Version 1 war hierfür ein Beispiel. Grafikdesigner, die es gewohnt sind, mit Werkzeugen für digitales Imaging zu arbeiten, waren die ersten, die ihre Talente in diesen
neuen Bereich einbrachten. Die Resultate sind weit von den Hi8-Heimvideos entfernt, die so lange am unteren Ende des Independent-Films in diesen Landen zu sehen waren. Die Tyrannei des britischen
Küchenspülen-Realismus neigt sich ihrem Ende entgegen.
Dort, wo neue Regisseure von außerhalb der wohlbehüteten Welt des professionellen Films auftauchen, entsteht bemerkenswertes Kino - die Kraft der Bilder
bei Greenaway, dem "Bildermaler", zeugt davon (Greenaway war nicht von ungefär einer der ersten Regisseure, die die digitale Bildbearbeitung genutzt haben). Sogar ein so intellektueller Filmemacher wie Wim
Wenders setzt hochqualitative HDTV-Videotechnik spielerisch ein, und gelangt so zu erfrischenden und engagierten Bildern (man betrachte die Traumsequenzen in "Bis ans Ende der Welt"). 100 Jahre Film gehen
zu Ende, und der Imperativ wechselt von Lumière zu Méliès, vom Realismus zur Illusion. Die Art und Weise, in der wir Bilder verändern können, gestattet uns, sowohl seltsame, verunsichernd irreale Welten, als auch
ausufernde Fantasien umzusetzen. Die Dinge werden durch den Prozessor verschmolzen und verändert, ehemalige Grenzziehungen zwischen diesen Schulen und ihren Traditionen verwischen.
Die Fähigkeit, gefilmte
Bilder zu morphen, zu kolorieren und endlos zu variieren kommt erst richtig zur Geltung, wenn das ursprüngliche Bild digital aufgenommen wurde. Die Qualität bleibt stets konstant - das Bild besteht aus binärem Code:
Nullen und Einsen. Man sollte das Ende des Zelluloids nicht zu lange betrauern, da eine Neugeburt der Kreativität aus diesem Code ermöglicht wird. Wir können mit den bewegten Bildern in überraschender und
raffinierter Weise spielen, neue Bilder kreieren, die über die Spezialeffekte im Gegenwartsfilm hinausgehen. Es ist bisher der Werbung und der Musikindustrie überlassen worden, diese neuen Entwicklungen aufzunehmen
- aber hier entsteht natürlich nur selten ein komplexer narrativer Kontext. Der inspirierende und ambitionierte Weg, den das Kino in den späten 60er und 70er Jahren mit seinen Experimenten mit kombinierten und
kollidierenden Bildern beschritten hat, kann wieder beschritten werden zu einer Zeit, in der die Werkzeuge hierfür bezahlbar werden.
Wir wachsen in eine digitale Demokratie hinein, in der durch
Dezentralisierung und den Zugang zu Informationen mehr und mehr Entscheidungen unserer Kontrolle unterliegen. Es gilt einer modernen Gesellschaft als selbstverständlich, dass die Macht bei den Bildermachern liegt -
aber wenn jeder diese Bilder produzieren kann, dann bedeutet dies eher eine individuelle Stärkung als eine Beunruhigung. Die uns in den nächsten Jahren bevorstehende Explosion an digitalen Informationskanälen
(Internet und Fernsehen) gibt uns erstmals in der Geschichte die Möglichkeit, eine Vielzahl an Perspektiven und Anschauungen zu repräsentieren und zugänglich zu machen. Inhalt und Originalität werden dann regieren,
und wir Konsumenten von Bildern und Informationen übernehmen die Kontrolle. Die "Desktop- Publishing-Revolution" der 80er Jahre spiegelt sich in der "Desktop-Video-Revolution" von heute wieder.
Digitales Video bedeutet, dass es keine Entschuldigungen mehr für schlechte Bildqualität gibt, und dass die Produktion von sendefähigem Material theoretisch für jeden möglich ist. Mit der einfacheren
Bedienung und der Verfügbarkeit jener Werkzeuge für das Aufzeichnen unserer Passionen verschiebt sich die Kontrolle weg von einigen wenigen Privilegierten. Die DV-Filmproduktion befreit sich von sperrigen
Support-Rigs und großen Filmcrews, und ist damit prädestiniert für jene Art des Guerilla-Filmens, welches das Amerikanische Independent-Kino von den frühen 80er Jahren zu seinem wundersamen Wachstum in den 90ern
geführt hat. Mittlerweile sind jene Jungfilmer zu solch Underground-Ikonen herangereift wie Gus Van Sant, Jim Jarmusch und Hal Hartley. DV eignet sich wie kein anderes Medium für dieses Arbeitsmodell des
Guerilla-Filmens.
Natürlich ist digitales Video kein Wundermittel, und in Bezug auf pure Bildqualität kann es nicht mit 35mm oder 70mm Zelluloid mithalten, aber einem Vergleich mit Super16mm hält es schon
durchaus stand. Und während vielleicht eine ältere Generation über Pixel im Gegensatz zur Filmemulsion die Nase rümpfen mag, existiert auch eine jüngere, die unvoreingenommen visuelle Lust oder gar einen Kick beim
Anblick von projizierten Videobildern verspürt. Die Zeiten sind vorbei, in denen ein Film, der von einem neuen Effekt oder einer neuen Art des Schnitts Gebrauch machte, verächtlich als bloßer MTV-Blow-Up für den
Kinosaal kritisiert werden konnte. Zwar existiert noch eine Situation, die von uneinheitlichen Standards und teilweise teurer Technologie geprägt ist, aber die nahe Zukunft verspricht billiges, zugängliches
Equipment, welches Zelluloid-Qualität qua digitaler Technik möglich macht.
Neue Möglichkeiten eröffnen sich in allen Bereichen, von der Produktion bis zur Distribution, die immer noch eines der
Haupthindernisse bei der Finanzierung und der Vorführung von Independent Filmen ist. Wenn sich jetzt Kinoketten für die Idee interessieren, Filme über Glasfaserkabel direkt in den Projektor von einer Quelle aus
einzuspeisen (und hiermit Millionen bei der Erstellung kostspieliger Filmkopien einsparen), werden die Möglichkeiten, die das offene System Internet bereithält, evident. Mit immer schnelleren Internetverbindungen
wird "Video-On-Demand" zur Realität. Die Etablierung von Netzwerken mit hoher Bandbreite bedeutet für den Independent Filmer, dass er die Kartelle der Kinoketten umgehen kann, und sein eigener Verleih
werden kann. Und genauso wie das Tonstudio im Wohnzimmer seit den 90er Jahren in Sachen Musik existiert, könnte das Filmstudio in deiner Wohnung das Modell für die nächste Dekade werden. (...)
"Now
reference and reality disappear altogether, and even meaning - the signified - is problematized. We are left with that pure and random play of signifiers that we call postmodernism., which no longer produces
monumental works of modernists type but ceaselessly reshuffles the fragments of preexistent texts, the building blocks of oldeer cultural and social production, in some new and heightened bricolage: metabooks which
cannibalize other books, metatexts which collate bits of other texts - such is the logis of postmodernism in general, which finds one of its strongest and most original, authentic forms in in the new art of
experimental video" [Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism - Frederic Jameson]
© 1997 matt hanson matt@onedotzero.com onedotzero
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