pillepalle hat geschrieben: ↑Mo 12 Aug, 2024 13:00
Ja, ein paar Dinge sind aus technischer Sicht nicht korrekt.
Was mich, von solchen Details abgesehen, vor allem nervt an solchen "Reviews", ist, dass sie zu 95% aus Nacherzählungen der Kamera-Spec Sheets bestehen und bestenfalls zu 5% aus wirklichen Praxistests bzw. Praxiserfahrungen.
Ich sehe da auch die Mainstream-YouTube-Influencer-Kultur auf einem absteigenden Ast. Die begonn ja mal mit den Jungs von DigitalRev in Hongkong, deren Praxistests daraus bestanden, dass sie Canon-, Nikon- und Sony-Kameras mit Golfschlägern und Bunsenbrennern traktierten. Das zumindest hatte noch echten Erkenntniswert zur Robustheit der Kameras.
Eigentlich taugen fast nur noch YouTube-Tests, die mehrere Jahre nach dem Kamera-Release gemacht werden, meistens nach dem Motto "How good is a Nikon Z6 in 2024" oder "Nikon Z6 - long-term review".
Mich interessieren persönlich alle Hybridkameras in der Preisklasse bis maximal 4000 EUR - und auch inklusiv Gebrauchtgeräte -, weil ich Künstler und Designer bei ihren Kamerakäufen berate. Das sind Leute, die beruflich mit Kameras arbeiten [oft auch sehr spezialisiert, z.B. hauptsächlich für Repro oder Timelapses, die aber i.d.R. nur eine Kamera kaufen, die für sie alles erledigen muss], aber in eine Lücke zwischen Amateur- und Profifotografie fallen und sich meist bei der Technik und den Marken wenig auskennen.
Ich halte die DR-Aufregung um die Z6iii für einen Nothing Burger, weil die Kamera mit elektronischem Verschluss (dramatisch...) besseres Rauschverhalten hat als Konkurrenzmodelle wie die R6ii und man sowieso bei Kameras mit stacked sensor weiss, welche Vor- und Nachteile man sich damit einhandelt. Für Anwendungen wie Timelapse oder Burst-Fotografie würde ich die Z6iii auf meinem heutigen Kenntnisstand weiterempfehlen, weil sie preiswerter ist als Konkurrenzmodelle wie die Sony A9/ii/iii und Canon R3, und der relativ hohe Preis des Bodys sich dadurch teilweise relativiert, dass man mit der Kamera eigentlich immer mit elektronischem Shutter fotografieren kann und daher nach ein paar hunderttausend Auslösungen kein teurer Austausch des mechanischen Verschlusses nötig ist.
Für mich persönlich und meine experimentelle Raw-Burst-Foto-Videografie wäre sie sogar ziemlich perfekt, zumal mit ihren 20fps (hier nervt mich bei der Pana S5ii, dass sie nur 9fps und 30fps Burst-Fotografie kann, aber keine Framerates dazwischen, bzw. keine Drosselung auf 20fps), wobei der tiefe Buffer auch eine tendenziell gefährliche Verführung wäre, weniger ökonomisch zu arbeiten. Hinzu kommt noch das Nikkor 40mm/f2 Objektiv als ein echtes Trigger-Objektiv (da ich ja der Meinung bin - und das Künstlern manchmal auch sage -, dass man heutzutage Kamerasystem-Entscheidungen nur auf der Grundlage bestimmter Objektive treffen kann; z.B. war früher das Sigma 18-35mm/1.8 ein Kaufgrund für eine Canon- oder Nikon APS C-DSLR und ist heute das Viltrox 27mm/1.2 ein Kaufgrund für eine Sony-, Fuji- oder Nikon-APS C-Spiegelloskamera.)
Die echten Nachteile der Z6iii sind in meinen Augen: hoher Bodypreis im Vergleich zur Konkurrenz (R6ii, R8, A7iv, A7cII, ZV-E1, S5ii/x), die fehlende Dual Card-Aufnahme (trotz vorhandener zweier Card Slots), der leichte Sensorcrop bei UHD-Aufnahme, die krummen 4K-Auflösungen bei RAW-Aufnahme, plus die Tatsache, dass die Kamera bei IBIS und Video-AF eher Mittelklasse ist, ditto bei Laufzeit/Hitzebeständigkeit, das Fehlen eines digitalen Accessory-Hotshoes (samt entsprechender Aufsteck-/XLR-Interface-Möglichkeiten wie bei praktisch allen anderen Hybridkamera-Herstellern) und sowieso die eher schwache/mittelmässige Tonsektion der Kamera, sowie Nikons noch unausgereifter Log-Workflow. Und dann ist Nikon halt ein Spätzünder im Hybridkamerageschäft und sitzen viele Leute schon in anderen Systemen, was noch mal ein schwieriges Argument für eine mögliche Anschaffung einer Z6iii ist. Nikon müsste da eigentlich mal Knaller-Marketing machen und die Kamera in einer zeitlich begrenzten Rabattaktion à la Blackmagic richtig billig 'raushauen, um Leute zum Umstieg zu triggern. - Alle o.g. Kritikpunkte würden sich aber stark relativieren, wenn sich der Preis der Kamera mittelfristig bei 2000-2500 EUR einpegelt.
Ich rate übrigens semiprofessionellen und Künstler-Hybridkamera-Anschaffern im Zweifelsfall immer zu Sony E-Mount, einfach weil das am besten ausgebaute und etablierte Spiegellos- und Hybridkamerasystem ist, für die meisten Leute wegen des AFs und des guten Preis-/Leistungsverhältnis bei den Objektiven auch das technisch beste System und weil die aktuellen Kameras (a6700, FX30, A7iv, ZV-E1, A7sIII) alle runde Geräte sind. Allen Canon DSLR-Besitzern rate ich im Zweifelsfall zu Canon-Spiegelloskamera. Nikon hat in meinem Kollegen- und Bekanntenkreis in den letzten 10 Jahren soviel Kunden verloren, dass diejenigen, die noch Nikon-Kameras besitzen, meistens alte APS C-DSLRs rumliegen haben, bei denen die Mitnahme alter Objektive aufs neue System kein Argument ist. Künstler, die aus der Analogfotografie kommen, lieben oft die Fuji-Kameras. Panasonic empfehle ich, wenn überhaupt, eigentlich nur auf explizite Nachfrage, wegen Nischensystem usw.. - mit Ausnahme von alten MFT-Bodies wie der GH5/s, die im Gebrauchtmarkt spottbillig sind und das richtige, wenn man für unter 1000 EUR eine stundenlang laufende Video-Arbeitspferd-Kamera haben will.
Aus meiner Perspektive muss Nikon noch mehr tun - vor allem bei den Nachfolgern der Z5 und der APS-C-Kameras -, um im Hybridmarkt unter 3000 EUR richtig Fuss zu fassen, und damit auch in meiner persönlichen "Zielgruppe" von Künstlern/Bildgestaltern, die beruflich Kameras anschaffen. Oder es muss noch ein paar Jahre dauern, bis z.B. eine Z6iii zu erschwinglichen Preisen auf dem Gebrauchtmarkt landet.