pillepalle hat geschrieben: ↑Mo 17 Jan, 2022 02:35
So ganz stimmen Deine Überlegungen in der Praxis aber nicht, denn Du gehst hier mit Deinem Geldschein-Beispiel von reiner Repro-Fotografie aus. Vermutlich also auch nicht unbedingt das wofür man sich eine Leica anschafft :)
Da hast Du natürlich recht (obwohl ich mir bei der heutigen Zahnärzte-Zielgruppe da auch nicht mehr so ganz sicher wäre...)
Bei den meisten realen Motiven handelt es sich um dreidimensionale Objekte, wovon der Großteil der Bildpunkte außerhalb der Schärfeebene liegt. Ein unpräzises Fokussieren verlagert den Bildpunkt zwar an eine minimal andere Stelle als eigentlich gewünscht, ändert aber meist wenig an der Gesamtauflösung des Bildes.
Ja, das stimmt natürlich, wenn da auf der (nicht optimalen bzw. leicht verschobenen) Fokusebene auch ein Objekt liegt. Man kann aber auch Pech haben, z.B. wenn man als Straßenfotograf eine Person oder ein Objekt ablichtet, hinter dem erst einmal ein paar Meter lang nur Luft ist.
Bei Porträtfotos kann es bei den heutigen Extrem-Megapixelzahlen ja schon ggfs. zum leichten Problem wereden, wenn die Fokusebene auf der Augenbraue statt auf der Pupille liegt, selbst wenn man abgeblendet fotografiert [weil dann trotzdem das Iris-Muster des Auges leicht geblurt abgebildet wird], weshalb dafür moderne Kamera mit Eye-AF angesagt sind.
Bei Leica ist daher die Frage, ob deren M-System eigentlich noch zeitgemäß ist, oder ob nicht der Paradigmenwechsel zum SL-System ansteht - bzw. welche Vorteile das M-System eigentlich noch ggü. dem SL-System hat, da man ja auch manuelle M-Objektive am SL-System verwenden kann. (Bzw. welchen Grund ein Zahnarzt noch hat, sich eine M11 statt einer SL2 zu kaufen...) Und dann sind wir halt bei den Straßenfotografen, deren zone focussing-Workflow und Wunsch nach möglichst kleinen Kameras.
Es gibt natürlich Grenzen, an denen ein praktisches Arbeiten unpraktisch wird, aber wenn man diese kennt und bei der Arbeit berücksichtigt, dann läßt sich sicher auch noch mit einer M11 gut arbeiten. Nur wenn man naiv ist und von einer 60MP Kamera immer die dreifache Qualität einer 20MP Kamera erwartet, wird man entäuscht werden. Ob man das als Street-Fotograf jetzt braucht, sei mal dahin gestellt.
Ja, eben, nur um den letzteren Punkt ging es mir. Und für street photography haben 60MP eben auch zahlreiche technischen Nachteile wie u.a. höheres Rauschen pro Pixel, kürzere benötigte Verschlusszeiten (wenn 60MP die Zielauflösung sind und man motion blur verhindern will) und erhöhter rolling shutter bei elektronischem Verschluss. Eigentlich sind diese Sensoren - im Fall der Leica M11 handelt es sich wohl um denselben Sensor wie dem der Sony A7R iv - ja für Studio- und Landschaftsfotografie vom Stativ gedacht. Die würde normalerweise auch kein Action- oder Sportfotograf verwenden.
Für mich stellen aber auf der anderen Seite auch nicht die modernen Hightech-Kameras (wie die A1,R3, oder Z9) die Krone der fotografischen Schöpfung dar
Für mich auch nicht, aber sie - bzw. deren Sensoren - sind für Action-, Sport- und Reportagefotografie optimiert, und das sind beinahe dieselben Anforderungen wie street photography. Z.B. wäre eine Leica M11 mit dem stacked-CMOS-Sensor einer dieser drei Kameras und ganz ohne mechanischen Verschluss (so, wie auch bei der Z9) eine logische Weiterentwicklung des ursprünglichen Leica-Meßsucherkonzepts einer möglichst kompakten und zugleich hochqualitativen Straßenkamera gewesen. Wenn das Weglassen des mechanischen Verschlusses im Kameragehäuse Platz geschaffen hätte für einen optisch stabilisierten (bzw. beweglich gelagerten) Sensor, wäre das noch besser gewesen und noch näher am eigentlich praktischen Nutzen/Einsatzzweck einer Leica M.
Wie man arbeiten möchte ist eine bewußte Entscheidung. Nicht jeder hetzt durch die Gegend, oder überläßt beim Schnappschuß alles der Kamera (Fokus, Belichtung und den richtigen Moment durch 30fps). Eine 'antiquierte' Technik zu verwenden kann auch eine bewußte Entscheidung zur Entschleunigung sein und den Moment bewußt zu erleben.
Ja, da bin ich schon bei Dir - wobei man dann IMHO lieber gleich zu einer klassischen analogen (Kleinbild-Film-) Leica greift.
Aber die street photographer, wie ich sie weiter oben in dem YouTube-Video verlinkt habe, verwenden die Leica M ja nicht zu diesem, sondern genau zum umgekehrten Zweck: weil man mit einem vollmanuellen Objektiv + optischem Meßsucher mit der zone focussing-Technik
schneller schießen kann als mit AF. Der Fotograf in dem Video hat ja die Stellung des Fokusrings so in seinem 'muscle memory', dass er den Fokus mit dem Daumen bereits in dem Moment zieht, in dem er die Kamera hochhebt und ans Auge hält - kein AF und kein elektronischer Sucher kann mit dieser 'zero latency' mithalten (sondern dürfte im Regelfall genau die kritische Sekunde zu spät sein) ...
Wobei es auch in der Szene durchaus ein Konkurrenzparadigma gibt, in Gestalt der Ricoh GR: die vermutlich einzige digitale Kamera, die primär für street photography entwickelt/optimiert wird. Mit ihrem sog. "snap focus" bietet sie eine echte Alternative zum klassischen zone focussing. ("Snap Focus" ist ein elektronischer zone focus, bei dem sich 1m, 1,5m, 2m, 2,5m, 3m, 5m oder unendlich als Fokus-Preset einstellen lässt und die Kamera in Verbindung mit der eingestellten Blende auch das DoF anzeigt. Die Kamera lässt sich so einstellen, dass sie bei direkt durchgedrücktem Auslöseknopf den Autofokus überspringt, ins Snap-Fokus-Preset geht und direkt auslöst. Das ist nochmal effizienter/schneller für street photography als ein focus limiter, wie ihn z.B. Fuji anbietet.)