72cu hat geschrieben: ↑Mo 21 Jul, 2025 22:00
Vielen Dank für Deine sehr interessante und ausführliche Antwort!
Gerne möchte ich aus Interesse an allen Aspekten an dem Projekt so viel wie möglich selbst machen. Das heißt aber natürlich nicht, dass ich unbedingt alles selbst machen "muss".
Das wird auch gar nicht möglich sein. So ziemlich jeder Hauptposten in einem Filmteam ist ein Fulltime Job. Als Einzelkämpfer wirst Du nicht weit kommen. Alleine sich um die Vermarktung zu kümmern ist viel zeitaufwändiger als sich Außenstehende das überhaupt vorstellen können. Und wenn einem die Erfahrung fehlt, dann braucht man für alles noch viel, viel länger und macht zudem auch noch dauernd Fehler.
72cu hat geschrieben: ↑Mo 21 Jul, 2025 22:00
Angenommen, ich würde in einem Schnittprogramm (welchem?) alles so aufbereiten, wie Du geschrieben hast, also mit allen Kanälen gertennt etc., so dass ein Profi damit weiterarbeiten könnte,
Schneiden kannst Du in vielen Programmen, ob das nun Premiere Pro, Davinci Resolve, Magix Vegas oder was auch immer ist. Im Schnitt legt man gezielt Spuren für bestimmte Audioteile an, zb jeden Darsteller auf eine eigene Spur. Diese Spuren werden später in einem sogenannten Bus zusammengefasst. Quasi ein Ordner für die zusammengehörigen Spuren.
Dann kann man Effekte und Bearbeitungsschritt auf diese Gruppe, oder eben auch auf die einzelnen Spuren anwenden.
Bei den Soundeffekten verfährt man ebenso, ähnliche Geräusche auf einer Spur oder in einer Spurgruppe.
Atmo, Musik usw.
Wenn am Schnitt nichts mehr geändert wird - also der aktuelle Stand eingefroren wird, dann kann man diese Audiospuren in einem speziellen Austauschformat an die Tonbearbeitung weitergeben. Das sind aber alles Workflows die man vorher mit den entsprechenden Gewerken besprechen und testen muss. Wenn man das Know-How zur Tonbearbeitung und zum Mischen selbst hat, kann man eventuell auch in seiner Schnittsoftware bleiben, bei Davinci Resolve wäre das zum Beispiel die Fairlight Page. Meist kommen eine ganze Reihe von verschiedenen Programmen und Tools zum Einsatz.
Als Beispiel nehme ich unseren Film "Das Neue Normal" her.
Gedreht auf einer Sony FX6. Ich habe mit der Kamerafrau in der Vorproduktion Tests gemacht um für uns die besten Einstellungen im Setup zu finden. Daraus habe ich dann eine technische Richtlinie verfasst, welcher Codec, welche Settings, Dateibenennung, tägliche Sicherungen des Materials, wie die Tonaufnahme und das Syncen abzulaufen hat.
Das Team hat dann in mehreren Wochen-Blöcken gedreht, das gesicherte Material kam täglich zu mir zum groben Vorsichten, Tonsyncen und für die Dailies (Videovorschauen mit einer Show-LUT, also einem Look damit man sieht wie es aussieht und eingebrannten Metadaten als Info) - alles in Davinci Resolve. Nach den Drehblöcken habe ich dann mit dem Regisseur an dem grundsätzlichen Look gearbeitet und eine grobe Farbkorrektur erstellt. Er bekam dann von mir diese Vorschauen mit dem groben Grading und angezeigten Timecodes und anderen Infos für den Schnitt.
Diese Vorarbeiten von mir waren schon mal zwei Wochen Arbeit, oder mehr.
Den ersten Schnitt hat der Regisseur in knapp drei Wochen gemacht (Premiere Pro), danach noch eine Woche Musiksuche, einpassen, ersten Soundeffekte usw.
Danach kam das Projekt zu mir und ich verschaffte mir einen Überblick über das verwendete Material und die Problemstellen bei Bild und Ton. Damit konnte ich für die Farbkorrektur schon vorselektieren und den Look verfeinern.
Es waren viele Außenshots auf einem Hochhausdach mit ständig wechselnden Lichtverhältnissen, die zueinander vereinheitlicht werden mussten.
Nach einer Woche Pause machte sich der Regisseur an die zweiten Überarbeitung des Schnitts, dann die dritte und vierte Verfeinerungsrunde. Nochmals ein paar Wochen. Danach exportierte ich das Projekt als XML aus Premiere und importierte es in Davinci Resolve. Die komplette Farbkorrektur dauerte ca. 3 Wochen. Danach zum Feedback an Regie und Kamera. Mit deren Feedback ging es dann nochmals 1 Woche ans Überarbeiten.
Als nächstes ging ich den Ton an. Die Dialoge mussten sauber aus der in den Aufnahmen allgegenwärtigen Stadtatmo herausgearbeitet werden, Lautstärken angeglichen, Störgeräusche reduziert oder entfernt werden. Die Soundkulisse musste nun erweitert oder neu gebaut werden, passende Sounds gefunden und eingesetzt werden. Der Film war sehr dialoglastig und brauchte nur wenige SFX, aber viel zusätzliche Atmo.
Die Musik kam von Artlist, wurde von mir aber für den Mix extra überarbeitet. Und natürlich muss die auch auf Surround hochgemischt werden.
Wenn das alles steht, erfolgt die Mischung, mir war es wichtig, dass der Dialog eine gute Sprachverständlichkeit aufweist. Im Mix muss man also alle Elemente zusammenbringen, aber gleichzeitig darauf schauen, dass alles ausgewogen klingt und die Musik oder SFX nicht die Sprache übertönt und unverständlich werden lässt.
Die Tonbearbeitung insgesamt waren nochmals 3-4 Wochen Arbeit. Bei einem Actionfilm dauert das noch viel länger.
Vor- und Abspann müssen designed werden, die Liste der zu erwähnenden Personen wird immer länger und ist doch lückenhaft. Irgendjemanden vergisst man immer zu danken, irgendein Name ist immer falsch geschrieben. Logos der Sponsoren müssen aufgetrieben werden, oftmals noch überarbeitet (weil nicht alle schicken ordentliche Qualität im geforderten Dateiformat).
Danach eine neue Version fürs Feedback, nochmals Änderungen und Anpassungen.
Dann ein erstes DCP fürs Kino, Probeschauen in einem Kino, Notizen, Änderungen, Anpassungen.
Und das ganz nochmals von vorn. Mehrfach. Irgendwas ist immer.
Als nächstes die Untertitel. Basierend auf einer deutschen Transkription und dem Drehbuch setzt man die ersten Untertitel, das Timing ist wichtig, die Länge der Untertitel zu berücksichtigen. Sie sollen sich so lesen lassen, als wäre es der gesprochene Dialog. Arbeit: ca. 5 Tage, jetzt dank Spracherkennungstools ginge es schneller, vielleicht sogar in 2-3 Tagen. Dann die englische Übersetzung der Untertitel, es muss im Kontext und sinngemäß übersetzt werden, Wortwitze, Scherze, kulturelle Eigenheiten verständlich übertragen werden. Das Timing der Untertitel muss adaptiert werden an die andere Sprache. Für Festivals sind Untertitel Pflicht.
Parallel dazu kurbelt der Produzent im Hintergrund, versucht Medientermine zu bekommen, Zeitungsartikel, TV-Beiträge, Interviews - einfach alles, was das Interesse weckt. Verhandlungen mit Kinos, Vertrieben müssen geführt werden. Die Premiere organisiert, weitere Sponsoren aufgetrieben werden. Festivals gecheckt und Einreichungen erstellt.
72cu hat geschrieben: ↑Mo 21 Jul, 2025 22:00
eine bestimmt schwierige Frage - wie hoch wären dann ganz grob die Kosten, das professionell überarbeiten und für eines der Medien aufbereiten zu lassen? - Sagen wir der Einfachheit wegen am Beispiel eines Tatorts (Meine Idee ist ganz weit weg von einem Tatort, aber nur mal als Anhaltspunkt.) Ich habe mir gedacht, dass ich bei den Gesamtkosten gerne unter 100000 € bleiben wollen würde.
Ich kann nicht für den Tatort sprechen, aber für ein gutes Tonstudio für Filmton und Mischung würde ich mal von rund 1.000 Euro oder mehr am Tag ausgehen - bei 6-8 Wochen vielleicht 30.000 Euro. Das kann auch weniger sein mit der Gefahr dass die Qualität nicht so gut ist (da haben wir selbst schon schlechte Erfahrungen gemacht, weshalb ich mir das Knowhow dann über die Jahre angeeignet habe, in entsprechende Ausstattung investierte und es für unsere Projekt nun selbst mache).
Und im Kino hört man gnadenlos jede Schwachstelle im Ton.
72cu hat geschrieben: ↑Mo 21 Jul, 2025 22:00
Die Vermarktung ist natürlich eine extrem wichtige Sache. Davon habe ich natürlich erst recht keine Ahnung, und habe noch fast gar nicht darüber nachgedacht. Es geht mir aber auch darum, die Erfahrung einmal gemacht zu haben. Erfolg dabei ist natürlich wünschenswert.
Man kann sein Geld auch gemütlicher verbrennen... ;-)
72cu hat geschrieben: ↑Mo 21 Jul, 2025 22:00
Wie hoch sind die Kosten, wenn man in Cannes oder der Berlinale mitmacht?
Die Wahrscheinlichkeit in Aufführungsliste von Cannes oder der Berlinale zu kommen, ist eher gering. Aber das sind gar nicht die Kosten die ich meine. Während bei Cannes und bei der Berlinale Filme gezeigt werden, läuft im Hintergrund der Filmmarkt, wo sich Filmanbieter und internationale Einkäufer treffen können.
In der Zeit ist in Cannes alles sauteuer, vom Kaffee und Essen angefangen bis zum Hotel. Das alles kostet richtig viel Geld. Und im Vorfeld muss man auch schon Monate vorher Netzwerken um überhaupt vielleicht an Einkäufer ranzukommen. Verhandlungssicheres Englisch braucht man auch.
Als Niemand nimmt einen da keiner wahr. Kosten? Viele Tausend Euro jeweils.