Ich bin vielmehr der Ansicht, dass wenn eine Reportage/Doku negative Entwicklungen aufdeckt, darf sie nicht einseitig sein. Nur durch ein gewisses Maß an Ausgewogenheit kann es mir gelingen, Zuschauer, die zum ersten Mal mit dem von mir aufgedeckten Sachverhalt konfrontiert werden, von meinem (verständlich subjektiven) Standpunkt zu überzeugen.Axel hat geschrieben: ... Ich glaube, wenn eine Reportage/Doku negative Entwicklungen aufdeckt, muss sie auch einseitig sein. Weil die Interessengruppen, die für die negativen Entwicklungen mit verantwortlich sind, ein Interesse daran haben, etwas zu verschleiern, damit keine Änderungen stattfinden. Die Verschleierung zeigt die Dinge nur von ihrer positiven Seite und verschweigt die Kehrseite oder lügt über deren Ausmaße. Dass ein negativer Zustand trotz Nachteilen für viele aufrecht erhalten werden kann, liegt daran, dass die dafür Verantwortlichen Macht haben. Sie sind etabliert und genießen gesellschaftliches Ansehen, während ihre Kritiker leicht in den Geruch kommen, Systemfeinde zu sein oder sich eben durch eine Anti-Haltung zu profilieren. Das ist auch meistens mehr oder weniger ausgeprägt der Fall. ...
So tun, als wäre der eigene Standpunkt objektiv, indem er formal ausgewogen ist, ist natürlich sehr clever. Ob es auch sauberer Stil ist, darüber kann man streiten. Und das ist der Punkt: Tatsachen, die kritisiert werden, fungieren in einer Debatte wie eine These, zu der die Kritik die Antithese ist. Propaganda behauptet, jede Argumentation überflüssig zu machen, weil sie eine Lösung präsentiert oder eine objektive "Wahrheit" verkündet. Das ist aber nur ein Trick. Propaganda ist, zu behaupten, mit der Einführung von Mindestlöhnen wäre Gerechtigkeit getan, und alles wäre in Ordnung. Das macht sich gut in einer Bütt´, aber in einer Diskussion erwidert der Kontrahent, diese Mindestlöhne müssten in Asien durchgesetzt werden, wohin nämlich bei hohem Lohnniveau die Arbeitsplätze wandern, und deren Hungerlöhne müssten erstmal mit den hiesigen Löhnen verglichen werden, sowohl um der Gerechtigkeit (was für ein schwammiger Begriff) als auch um der praktischen Durchführbarkeit willen. Einem mündigen Zuschauer gaukelt man nicht vor, es sei alles ganz einfach, wo es doch komplex ist, und man verschleiert nicht seinen Standpunkt, auch auf die Gefahr hin, für weniger kompetent gehalten zu werden. Partei zu beziehen bedeutet, keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit zu erheben, wie es Propaganda tut, denn eine absolute Wahrheit gibt es nicht.Kino hat geschrieben:Ich bin vielmehr der Ansicht, dass wenn eine Reportage/Doku negative Entwicklungen aufdeckt, darf sie nicht einseitig sein. Nur durch ein gewisses Maß an Ausgewogenheit kann es mir gelingen, Zuschauer, die zum ersten Mal mit dem von mir aufgedeckten Sachverhalt konfrontiert werden, von meinem (verständlich subjektiven) Standpunkt zu überzeugen.
Was für eine Ausgewogenheit? Die Fakten müssen akkurat sein. Sie überhaupt offenzulegen, schafft erst Ausgewogenheit. Man kann natürlich ironisch-satirisch auch die Lichtseite eines Mißstands hervorheben: Indische Kinder kriegen Krebs durch Pestizide in der Baumwolle für deutsche T-Shirts? Mag sein, man darf aber nicht unerwähnt lassen, dass diese deswegen auch günstig und für Hartz IV-ler erschwinglich sind ...Kino hat geschrieben:In meinen Augen verliert der Dokumentar im gleichen Umfang an Glaubwürdigkeit, in dem er bei der bloßen Darstellung des Sachverhalts diese Ausgewogenheit verlässt - er macht im Extremfall nichts anderes, als sein Antagonist, dem er ggfls. Verschleierung vorwirft. Natürlich bleibt es ihm unbenommen, aus den vorab erteilten Informationen anschließend sein Fazit zu ziehen bzw. diese Informationen zu werten und zu würdigen.
Oder De-Konstruktivist, was nicht einen Verfechter der Zerstörung bezeichnet, sondern ebenfalls einen Konstruktivisten, der ständig darauf hinweist, dass sein Konstrukt eben willkürlich konstruiert ist, als Ismus in der Theorie zuerst ziemlich anstrengend, mündet das in der griffigen Formel: "Alle Kunst ist Schwindel, aber auf hohem Niveau"PowerMac hat geschrieben:Es gibt keinen Objektivismus - um das zu verstehen, muss man kein radikaler Konstruktivist sein.
Und das sind die Termini, bei denen ich mir Armin Maiwald als "Erklär-Bär" wünsche. Ich hab´s mit Wikipedia probiert - leider nicht zu meiner vollen Zufriedenheit. Bis dahin reduziert sich mein Verständnis auf den Schlusssatz.Axel hat geschrieben:Oder De-Konstruktivist, was nicht einen Verfechter der Zerstörung bezeichnet, sondern ebenfalls einen Konstruktivisten, der ständig darauf hinweist, dass sein Konstrukt eben willkürlich konstruiert ist, als Ismus in der Theorie zuerst ziemlich anstrengend, mündet das in der griffigen Formel: "Alle Kunst ist Schwindel, aber auf hohem Niveau"PowerMac hat geschrieben:Es gibt keinen Objektivismus - um das zu verstehen, muss man kein radikaler Konstruktivist sein.
;-)
Selbstverständlich ist es nicht unanständig die globalen finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge zu dokumentieren. Wagenhofers Thema ist ja auch nicht Gegenstand meiner Kritik. Ich war nur sehr enttäuscht darüber, wie es dargestellt wurde.DWUA hat geschrieben: ...
Doku
Ist eine Doku, die zufälligerweise zur rechten Zeit erscheint,
obwohl sie schon älteren Datums ist, unanständig?
Eine Möglichkeit, ein polarisierendes Thema "ausgewogen" zu behandeln, ist, eine Reportage über die Argumente der Parteien zu machen. Erst schien alles so zu sein, wie es soll (einführende Erklärung), dann schrieb eine Zeitung soundso, der Verantwortliche (on?) sagte soundso. Ein Protokoll, wie in der Schule. So sehen viele öffentlich-rechtliche Fernsehberichte aus, private Beiträge schneiden das so, dass der Beschuldigte von Anfang an als der Schuldige feststeht. Wenn die Meldung eine Ente war, ist´s dem Sender egal, das war an dem Tag die "Fakten"-lage, und das Modell für das Konzept heißt "Mann beißt Hund".DWUA hat geschrieben: "...kann man relativ objektive Dokumentation nur über
Dinge/Personen drehen, die nicht polarisieren."
Abgesehen davon, dass es "relativ objektiv" nicht gibt,
hat er Recht.
Andersrum:
Man kann aber auch "Berichte" erstatten, die Polarisierung(en)
dokumentieren.
Und Dokus drehen, die polarisieren.
Hervorhebung von mir. Manchmal süß, die Objektivität ...Bachmann [Attentäter ] hatte Ausschnitte aus der National-Zeitung bei sich, darunter die Titelzeile „Stoppt den roten Rudi jetzt“ und Fotos von Dutschke. In seiner Wohnung fand sich ein selbstgemaltes Porträt Adolf Hitlers. Man vermutet daher rechtsextreme Motive.
finde ich übrigens - polarisierend gesprochen - unsinnig. Daß es de facto im heutigen Fernsehen so ist wie er schreibt, heißt nicht, daß es so sein soll oder muß. Ganz im Gegenteil!Ein Dokumentarfilm darf so subjektiv durch den Autor gefärbt sein, wie ein weißes Hemd unter roten Hosen in der Waschmaschine nach dem Waschgang. Nichts muss, es existieren keine Regeln darüber, wie objektiv ein Film sein muss.
Wir interpretieren archäologische Fragmente und schließen - ziemlich gewagt - auf die Stunden vor und nach dem Ausbruch. Der Geschichtsschreiber Plinius war kein Augenzeuge (okay, ich hab´s gecheckt, er behauptet, einer gewesen zu sein, was bringt uns das in puncto reality? Cäsars "Berichte" über die gallischen Kriege sind "aus erster Hand", wenn auch in der dritten Person geschrieben, wohl, um "objektiver" rüberzukommen, sie sind dennoch Propaganda). Trotzdem wird alles inszeniert wie eine Lindenstraße-Folge (im Infotainment-Bereich sowieso, und ansonsten ist "die Faktenlage" unglaublich dünn und gibt keinen Film her - Wir warten übrigens alle noch auf einen Trailer zu "Herculaneum"). Was wir also als gesichert zeigen können, sind Aschemumien und ein paar pornografische Mosaiken auf Ruinen-Wänden. Oder irre ich mich?Thomas Mann hat geschrieben:Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?
Im Falle der Bankenkrise, die nicht seit 2000 Jahren als fossiles "Dokument" vor uns liegt, ist die Faktenlage mehr als unsicher. Alles ist im Fluss, keiner hat den Überblick. Eine Mischung aus Unwissen, Verschleierung und schlicht zu großer Komplexität. Immer wieder wird hier darauf hingewiesen, dass bei der Entwicklung der Krise psychologische Faktoren eine Rolle spielen, darum schwer einzuschätzen. Als wäre der gewohnte Gang der Dinge davon nicht gefärbt!camworks hat geschrieben:wer sowas absichtlich (pfui!) oder unabsichtlich (=schlechter journalist) wegläßt, der hat nach meiner meinung das thema "dokumentation" verfehlt.
*unabhängig davon, ob das thema polarisiert. polarisieren bedeutet doch, daß es verschiedene ansichten vom thema gibt. dann kann und sollte man sie auch zeigen, um dem zuschauer eine meinungsbildung zu ermöglichen!
Plinius der Jüngere hat meines Wissens als einziger von Anfang bis Ende des Ausbruchs berichtet. Er war ganz offensichtlich Augenzeuge, denn er berichtet von einer gewaltigen schwarzen Wolke, die mit ungeheurer Geschwindigkeit den Vesuv hinunter walzt und dann erst über die Stadt und danach sogar über das Wasser rollt.Axel hat geschrieben:Ja, die Vesuv-Katastrophe zu dokumentieren, das ist ein gutes Beispiel. Was wissen wir tatsächlich?
...
Der Geschichtsschreiber Plinius war kein Augenzeuge (okay, ich hab´s gecheckt, er behauptet, einer gewesen zu sein, was bringt uns das in puncto reality?
Ich bin überrascht, dass Du die Frage „alternativ“, d.h. Doku oder Polemik stellst. Ich hatte Dich so verstanden, als das Du dem Dokumentarfilmer keinerlei Schranken auferlegst, somit dem Stilmittel der Polemik auch in einem Dokumentarfilm Einzug gewährst.PowerMac hat geschrieben:Bowling for Columbine. Dokumentarfilm oder krass subjektive Polemik?
wer ist "wir"?DWUA hat geschrieben:Eure Orthodoxie in allen Ehren. Auch wir sind bestrebt, den Dekalog (hier Nr. 8) einzuhalten.
das ist natürlich ein hilfreiches argument ;-) LOLDWUA hat geschrieben: Fakt 2:
Der Film wurde zunächst in Europa prämiert;
danach in den U.S.A. mit dem Oscar 2003 ausgezeichnet.
(Als beste "Documentary" !)
offensichtlich [leider ohne ;))) ].DWUA hat geschrieben: Fakt 6:
Außer Geburts-, Baby- und Hochzeitsfilmern ist sowieso niemandem
mehr zu trauen... ;)))
erstens hieß es sinngemäß "machart für eine doku schlecht, ansonsten unterhaltend/gut".DWUA hat geschrieben:Es heißt hier, in den letzten Postings, "Film (Inhalt) zwar gut", "Machart (Einseitigkeit, Verarschung) aber schlecht".
Das, wovon die Mehrheit glaubt, es sei die Realität, ist eine Übereinkunft aus sehr, sehr vielen Kompromissen, angefangen bei denen, die unser Menschsein und die damit verbundenen sogenannten Naturrechte betreffen. Dazu gibt es im Forum eine Debatte ("Vegetarismus"), die von Objektivität nur so strotzt.camworks hat geschrieben:"bowling for columbine" ist meines erachtens gut, weil er die leute unterhält und er außerdem kurzweilig ist. eine doku ist er nicht, weil moore beim dreh und schnitt stark manipulierend eingegriffen hat. er rechtfertigt es wohl mit "der zweck heiligt die mittel", was ich für mich nicht akzeptieren kann. man darf/sollte nicht lügen, bloß weil mein ziel ein gutes ist. vor allem, weil man das ziel oftmals genau so gut auch ohne lügen erreichen kann.