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von phiox » Sa 27 Nov, 2021 15:10
Thomas uns Boris - erfreulich, dass wir hier sachlich kommunizieren, das ist konstruktiv und macht dann auch Sinn
der Beitrag ist etwas umfänglich geworden, aber niemand muss es lesen, in diesem Forum ist so eine Ausführung wohl ohnehin etwas deplatziert, wie mir scheint
Thomas,
zu deinem ersten Punkt: „ Story, Bild (incl. Licht) und Ton sind die 3 elementaren Elemente eines jeden Films. In der Regel bewertet jeder Zuschauer, ob bewußt oder unbewußt, danach dein Werk.“
klar, Film besteht aus diesen Elementen, daher sollten alle drei stimmen, auch der Ton, und der gefällt mir eben nicht, wenn er Fake ist, zumindest in diesen Doku Filmen, die uns die Natur zeigen wollen. In fiktionalen Filmen ist dies natürlich etwas ganz anderes.
Zu Punkt zwei: „Mit deiner momentanen Einstellung zu Ton dürfte es Bildmaterial mit Tele gar nicht geben.“
Selbstverständlich kann ich Tele filmen und habe dann eben die Atmo als akustischen Raum. Gerade habe ich in einen Film von Kieling hineingeschaut, der zufällig im TV lief. Im Tele: Es gab u.a. einen Tiger in Indien, er lag im Wasser, dann bewegte er sich hinaus und begab sich im Gras auf die Pirsch. Dazu gab es weder Wassergeräusche, noch Getapse und auch kein Rascheln von trockenen Gräsern zu hören, stattdessen hörte man lediglich Vögel, die dort im Dschungel die Atmo geben und die man eben auch hört, wenn man den Tiger beobachtet. Das finde ich vollkommen okay, alle Kunstgeräusche hätten mich gestört, wären eben nur Fake.
Du schreibst: „Du kommst in einem professionellen Naturfilm also alleine aus Gründen der akustischen Logik nicht um die Nachvertonung herum.“
… na eben doch, Kieling ist einer der bestrenommierten Filmemacher und er arbeitet sehr professionell, ein prominenter Name in diesem Metier. An den Bildern, inklusive Ton, stimmt nach meinem Empfinden alles, ich habe beim betrachten keinerlei Dissonanzen verspürt. Jetzt weiß ich nicht, ob er es immer so macht, es würde an meiner Kritik aber nichts ändern, wenn auch er künstlich generierte Geräusche verwenden würde. Who knows, ob es da nicht eventuell auch irgendwelche Rechtslagen und Verträge gibt, die zu solchen Modifikationen nötigen.
Zu drei: Du möchtest deine akustischen Produkte von Geschmacksverstärkern absetzen und versuchst dies, indem du letztere unzutreffend charakterisierst:
„ Geschmacksverstärker, die ich nicht haben will, sind Flugzeuggeräusche, Motorsägen, Autos etc, wenn sie in der Szene keine Rolle spielen, oder man sie nicht im Bild sieht.“
Das sind für die Natur Fremdgeräusche, die nicht von Vögeln oder anderen Tieren kommen. Geschmacksverstärker versuchen aber nicht Tomatensuppe mit Terpentin oder Diesel zu verfremden, sondern sie wollen Aromen erzeugen, die zu den Tomaten gehören, jedoch mangels Qualität nicht vorhanden sind. Deine Charakterisierung mit Motorgeräuschen entspricht nicht der Funktion von Geschmacksverstärkern, die Beispiele sind das Gegenteil, eine Verfremdung die einem Vergällen entspräche.
Du aber versuchst Geräusche zu produzieren, die keine Fremdgeräusche sein sollen, sondern analog zu den fehlenden Aromen der Tomatensuppe vorgeben, zu dem eigentlichen Produkt zu gehören, nur leider sind es Kunstgeräusche, wiederum analog zu den chemischen Kunstprodukten der Geschmacksverstärker.
Nach meinem Eindruck ist es die Logik der Vermarktung, die hier das Produkt und die Produktion bestimmen. Wenn der Handel die Nahrungsproduktion permanent mit weiteren Chemikalien ergänzt, dann versucht er dies mit der Phrase zu legitimieren, dass der Verbraucher es so wünscht. Damit kaschieren sie aber nur, dass sie die Verbraucher täuschen, um möglichst gewinnbringend Produkte zu verkaufen. Deine Geräusche sind Täuschung und sie dienen der besseren Vermarktung. Damit setze ich dich lediglich analytisch gleich, eine Bewertung oder ethische Gleichsetzung will ich nicht vornehmen.
Nach wie vor will ich niemandem etwas vorschreiben, oder diese Dinge allgemeingültig als negativ beurteilen, aber ebenso wie ich diese Produkte im Detail subjektiv ablehne, so lehne ich es ab, dass die Logik des Marktes unsere Kultur vereinnahmt oder gar dominiert, ein klassischer Begriff lautet Kommerzialisierung. Es ist also eine Idiosynkrasie, die aber schon diesen Nexus zum großen Ganzen aufweist, somit in sozialphilosophische Aspekte der Gesellschaftskritik verweist. Das ist jetzt ein jäher Sprung in eine Makroperspektive und hat etwas von dem bekannten Narrativ über den Flügelschlag eines Schmetterlings.
An Boris:
Deine Ansicht: „ Aber da es unmöglich ist so nah bei den Tieren zu sein und zu lauschen wie die tönen, müssen die Filmemacher doch ganz einfach schummeln…Sonst wird es ein Stummfilm.“
Das habe ich oben mit Kieling beantwortet, und wenn du das Wort `schummeln` benutzt, gibst du mir Recht, es ist Fake und ein Dokumentarfilmer sollte nicht täuschen. Nebenbei bemerkt, 'schummeln' ist eine Bezeichnung, die verharmlost, Kinder schummeln bei Spielen und das tolerieren wir, zumindest ist dies kein grobes moralisches Fehlverhalten, Täuschung wäre in unserem Kontext zutreffender. Es gab kürzlich einen solchen Skandal, ein preisgekrönter Dokufilm, die Filmemacherin hatte getäuscht, ich meine diesen Film über die Prostituierten in Wohnmobilen, mir fällt der Titel gerade nicht ein. Das war eine andere Art von Fake, besagt aber, dass Dokus keinen Fake enthalten sollten, es sei denn man zeichnet sie entsprechend aus, etwa mit 'augmentet reality' oder ähnlich. Das ist dann aber schon ein andres Genre.
Weiter schreibst du: “Ausserdem ich will gar nicht wissen was bei teuren Natur Dokus alles so geschummelt wird, und schon gar nicht das dabei womöglich auch noch Tiere gequält werden…Wir kennen doch die Spezies Mensch, sie geht für Geld über Leichen.“
Dazu zwei Entgegnungen, sie sind einander etwas ähnlich:
- Wenn es andere gibt, die gar noch Schlimmeres machen, ändert das etwas an der Qualität dieser hier diskutierten Produktion, oder an der Kritik daran?
- Wenn es solche Abgründe gibt, in die sich einige begeben, sollte dies dann unsere Referenz sein? Sollten wir uns an solchen Verhaltensweisen orientieren, um unsere Richtung und unsere Maßstäbe zu finden?
Interessant ist es an dieser Stelle, dass dein Beispiel (über Leichen gehen), nicht zu einer massiven Abgrenzung führt, etwa mit der Haltung: 'keinen Millimeter werde ich in diese Richtung gehen'. Stattdessen passiert das Gegenteil, die moralischen Abgründe werden genutzt, um in diese Richtung gehende Handlungsräume zu legitimieren, etwa mit der Argumentationsfigur: 'das hier ist ja vergleichsweise nicht so schlimm wie jene Leichen'. Legen wir den Fokus einmal auf diese Mikroperspektive, dann frage ich mich, warum kommt es zu einer solchen Maxime? Mir scheint, die Rationalität des Marktes, hat hier eine Fernwirkung die bis hinein in ein Detail dieser Art wirkt. Du bist in diesem Kontext Marktteilnehmer und jeder will doch auch ein 'Guter' sein, daher kommt der seichte, unsichtbare und interne Druck, die Dinge etwas anders sehen zu wollen. Hinzu kommt, dass ein Mainstream eine normative Gravitationskraft entfaltet, nur weil er Mainstream ist, es werden Dinge tolerabler, da sie doch so weithin bestätigt sind. Das soll hier aber nur als eine mögliche Hypothese stehen, nicht als Behauptung.
Boris und Thomas, interessant finde ich an dieser Stelle, dass eine Weichenstellung stattfindet, ausgehend von diesen kleinen Geräuschen. Während bei euch ein Nexus zum Markt gegeben scheint, ihr möchtest dort mit den Produkten reüssieren, ist bei mir von dieser Stelle ausgehend ein Nexus zur Gesellschaftskritik gegeben und prompt ergeben sich unterschiedliche Bewertungen und Handlungsmaxime. Es erleichtert unsere Diskussion, dass es hier um nicht sehr bedeutsame Details geht, nicht um Leichen, sondern um Fake-Geräusche, daher kann ich es leicht hinnehmen, wenn ihr so weiter macht.
Somit also muss ich bekennen, meine Wahrnehmung und Wertung dieser Details in der Mikroebene stehen unter einer Fernwirkung, wie ich sie oben hypothetisch angenommen habe. Nicht aber eine Fernwirkung der Marktlogik, sondern aus einem theoretischen Konstrukt der Gesellschaftskritik, etwa zu verorten mit der 'Kritischen Theorie'. Die ökonomische Rationalität, tendenziell freigesetzt von normativen Diskursen und moralischen Limitierungen, frisst sich wie ein unsichtbares Pilzmyzel normsetzend in unsere Lebenswelt und Kultur, solche Fäden dringen vom System in die feinen Kapillaren, in die Mikroebene, in der Wertungen, Entscheidungen und die Konstruktion von Weltbildern stattfinden. Das findet chronisch statt, schleichend, unterhalb des kognitiven Radars, mit einer unheilvollen Unsichtbarkeit *** es Lebenswelt und Kultur. Diese meine Darstellung ist ähnlich der Kolonialisierungsthese von Habermas, allerdings will ich mit meinem Krümel Analyse keine Vergleiche ziehen zu so einem gewaltigen Theoriegebäude.
Dann könnte man sagen, - so what - kein Grund zur Aufregung, wir entscheiden uns an diesem Punkt marktaffin und können so weitermachen, unser Produkt lässt sich verkaufen, an Kunstgeräuschen geht die Welt nicht unter und du biegst an dieser Stelle eben anders ab. Das mag wohl sein, aber von diesen Fäden jenes Pilzmycels und den damit affizierten Entscheidungen gibt es Milliarden täglich, wenn damit die Ökonomie dominant und subkutan die Welt gestaltet, dann wird aus den Fäden ein Strick an dem sich die Welt erhängt. Dass dies nicht nur Dystopie ist, sondern Realität, erfahren wir in dieser Zeit immer deutlicher. Um mich dem zu widersetzen bin ich etwas hartnäckig, sobald ich diesen Kontext zu ersehen glaube, beispielgebend - ungleich bedeutsamer und mutiger - ist etwa die kleine große Greta, sie biegt auch an einer Stelle ab und segelt nach New York, statt zu fliegen, großartig.
Es gibt also drei Ebenen meiner Kritik:
- die Fakes stören mich, gerade auch, weil der Markt sie mir hinwirft (Ästhetik)
- keinen Millimeter gebe ich einem Raum in dem am Ende Leichen liegen, wie Boris schreibt (Ethik)
- die destruktive, totalitäre Dominanz des Marktes erfordert Gegenwehr und politische Visionen u.a. aus dem Kreis der Kulturschaffenden (Politische Ebene)
Damit sind die harmlosen Geräusche jetzt idiosynkratisch überhöht, klar, die sind viel zu harmlos. Zudem wäre diese Diskussion eigentlich überdimensioniert, wäre da nicht diese Verbindung von Ästhetik und Kulturschaffen mit dem Politischen. Das ist für mich das eigentlich relevante in diesen Überlegungen, im Kulturschaffen und der Lebenswelt die politische Perspektive einzubeziehen und das ist hier nur einmal exemplarisch geschehen. Ob das nun gelungen ist, kann ich nicht sagen, sollte es gelungen sein, dann erhöht es vielleicht die Aufmerksamkeit und Sensibilität hinsichtlich dieser Perspektive, das hielte ich für relevant, die Diskussion wäre damit konstruktiv und sinnvoll.
Kurz will ich noch erwähnen, Thomas und Boris, kritisch und ablehnend bin ich hier nur gegenüber den politischen Strukturen und Realitäten, gegen euch habe ich gar nichts. Das sei nur bemerkt für den Fall, dass ich mich missverständlich ausgedrückt habe.
Zudem bin ich nun hoffnungslos off-topik in einem technischen Forum. Um dem dystopischen Tenor, der natürlich in Bezug auf Kunstgeräusche überzogen ist, etwas Schönes beizufügen, möchte ich hier mit den Musikern 'Kummer' enden, die kürzlich bei Jan Böhmermann waren und der Dystopie einfach eine Ermutigung entgegensetzten: „ … die Menschen sind schlecht und die Welt ist am Arsch, aber alles wird gut, das System ist defekt, die Gesellschaft versagt, aber alles wird gut, dein Leben liegt in Scherben und das Haus steht in Flammen, aber alles wird gut, es fühlt sich nicht danach an, aber alles wird gut …..“
Das sangen sie mit Kunstgeräuschen, die mir allerdings sehr gut gefallen, wenn ihr auch solche Geräusche machen würdet, dann fände ich das großartig!
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phiox am So 28 Nov, 2021 12:05, insgesamt 1-mal geändert.