Hallo handiro,
zu Deiner Frage, wie sich das mit der Gewichtsjustage an Deinem Stabilisierer verhält, muss ich etwas weiter ausholen.
Prinzipbedingt folgt die Justage jeden Systems denselben Grundsätzen. Der Masse der drehfertigen Kamera wird eine in etwa gleiche entgegengesetzt und diese etwas weiter weg vom Schwerpunkt des Systems verschoben. Das bewirkt, daß sich die Verbindungsstange (Post) zwischen Kamera (oben) und Monitor und Akku (unten) von selbst senkrecht ausrichtet. Wenn unten keine Monitor und Akku ist, wohl aber Gegengewichte, ändert das aber nichts an diesem Prinzip.
In der Regel sind die Komponenten unterhalb des Schwerpunkts (Gimbal = kardanische Aufhängung) aber leichter, als die Kamera-Einheit oben drauf.
Stell' Dir jetzt eine Spielplatz-Wippe vor, auf der ein dickes und ein dünnes Kind sitzt. Natürlich hat das dünne Kind keine Chance, die Waage zu halten - außer, es velängert seinen Teil, auf dem es sitzt.
Durch die Hebelwirkung wird der Gewichtsunterschied zwischen dick/dünn oder in Deinem Fall zwischen Kamera und (unteren) Gegengewichten ausgeglichen.
Das hat allerdings gewisse Grenzen, weil bei einem allzu langen Post nach unten hin einige Nachteile eintreten.
Einmal besteht die Gefahr, daß durch einen sehr nach unten verlängerten Post beim Laufen die Gegengewichte, bzw. Monitor und Akku gegen die Knie stoßen. Man müsste in entsprechenden Situationen den Stabilisierer (Rig) weiter von sich wegbewegen.
Das ist aber anstrengender, weil es die Rückenmuskulatur stärker beansprucht und deshalb zu vermeiden.
Auch könnte das Rig bei möglichst tiefen Einstellungen den Boden berühren, bzw. bekommt man mit einem langen Post die Kamera nicht tief genug.
Ein weiterer Grund spricht gegen ein allzu langen Post - außer, wenn man eine sehr hohe Positionierung der Kamera-Optik (high mode) erreichen will:
Eine (standardmäßig zu vermeidende) größere Länge des Post erzeugt ein seltsam träges Verhalten des Rigs besonders in schnellen Situationen. Es ist deshalb eine universellere kürzere Justage zu bevorzugen - insbesondere dann, wenn man nicht absehen kann, was einen beim Dreh im Freestyle-Mode und womöglich noch unter Zeitdruck erwartet.
Auf Workshops lernt man, das Rig ggf. den verschiedenen Situationen anzupassen. Jeder Operator hat allerdings eine in etwa vergleichbare Universal-Justage seines Systems, die einen ziemlich großen Spielraum bietet.
Du musst also ein Optimum herausfinden, um möglichst kräfteschonend arbeiten zu können. Daher wirst Du wahrscheinlich lieber den Post nach unten etwas verlängern, statt zusätzliche Gewichte zu montieren, um ihn verkürzen zu können.
Es ist aber so, daß die werksseitige Position und Beschaffenheit der unteren Elemente in etwa daraus resultiert, welches Kameragewicht zu erwarten ist. Die wirksamen Hebelkräfte sind herstellerseitig eingeplant, sodaß sich mehr oder weniger eine praktikabele Länge des ganzen Post ergibt.
Manche Hersteller liefern Tabellen, aus denen sich je nach Kamera eine Gewichtung ablesen lässt.
Es gibt ein Video, das recht gut die Prinzipien der Justage veranschaulichen und Dir Deine Frage noch umfangreicher beantworten:
http://www.tiffen.com/images/content/pilotVideoCode.htm
Hier werden auch noch andere Aspekte (z.B. dynamische Balance) erklärt.
Abschließend noch zur Frage nach dem richtigen "Einpendeln" - also dem Einstellen des Bodengewichts (bottom heavyness/bottom weight):
Lässt man den Post innerhalb etwa 2 Sekunden aus der Waagerechten in die Senkrechte pendeln, hat man einen guten universellen Wert eingestellt. Natürlich schwingt der Post über die senkrechte Lage weiter und bleibt nicht unten stehen.
Es geht nicht darum, das Bodengewicht so einzustellen, daß der Post unten angekommen stehen bleibt, sondern nach den besagten ca. 2 Sekunden durch die Senkrechte schwingt. Sonst wäre das viel zu gring und man müsste das Rig unnötigerweise ständig in seiner Lage halten.
Es ist aber das Prinzip, das es sich selbst senkrecht hält und man den Post in bestimmten Situationen sich selbst überlassen kann, um dessen senkrechten Stand weniger durch die Hand und Fingerspitzen zu stören.
Das ist alles Inhalt von Workshops und nach einer gewissen Übungszeit wendet jeder Operator diese Grundlagen automatisch an, ohne noch lange darüber nachdenken zu müssen.
Soweit für diesmal
Grüße
Andreas Küster