Das Wort Avatar leitet sich aus dem Indischen ab, wo es einen Gott meint, der sich als Mensch tarnt. Heute meint man eine virtuelle Person in einem Computerspiel oder - ähm - einem Internet-Forum.
James Cameron war sich bei der Erfindung seines Films Avatar sämtlicher Bedeutungen des Wortes bewusst, und auch aller daraus resultierenden Bedeutungen, das sieht man dem fertigen Film in jeder Minute an.
Der Hauptdarsteller, ein im Einsatz in Kolumbien verwundeter und seither gelähmter Marine, soll ein aus einer DNS-Mischung (sein Zwilling und ein "Na'vi") gezüchtetes Kunstwesen in Gestalt eines Ureinwohners des Planeten Pandora steuern und den "Feind" unterwandern.
Das riesige blaue Feenwesen, ein "edler Wilder", ist dabei natürlich sein Avatar, womit scheinbar der Titel des Films bereits ziemlich platt erklärt ist.
Weit gefehlt: Es folgt Stufe eins der Story-Überraschungen dieses sensationellen Kino-Erlebnisses (es gibt noch weitere, aber ich verrate sie nicht). Immer stärker setzt der Film auf den Wunsch des Zuschauers, in die überwältigende Welt Pandoras einzutauchen. Wenn Jake in der realen Welt der Menschen "erwacht", kommt man runter von einem aufregenden Trip, zurück in einen Alltag, der mit Leben nicht so viel zu tun zu haben scheint. In kürzester Echtzeit ist Jake unser Avatar, und Cameron versäumt nicht, das ein paarmal überdeutlich zu zeigen.
Die spielerische Art, mit der Jake sprechen, jagen und lieben lernt, erleichtert der Vorstellungskraft die Möglichkeit, alles andere zu vergessen und die virtuelle Realität zu glauben. Es ist nicht die Leistung der GCI-Animatoren, es ist ein Verstehen der Wünsche des Zuschauers und deren konsequente Erfüllung und Gefährdung durch die "Realität". Darin, und nicht in einer "Böses Militär vs. liebe Indianer" - Romantik, liegt der Kern des Konflikts von Avatar.
Was bei Spielsüchtigen sich in Weltflucht erschöpft, ist im Kino eine Utopie. Und da wir vorhin von Indien sprachen, komme ich darauf zurück. Dieser Tage kam eine Reportage über Bollywood (zufällig reingezappt, daher keine Senderinfo usw.). In Indien gibt es seit etwa 3500 Jahren das Kastensystem. Die englische Kolonialmacht kaute an dem zähen Leder, konnte es aber kaum aufweichen. Offizielle Verbote und "Abschaffungen" seit den 1950er Jahren führten immer wieder zu Hungerstreiks und Selbstverbrennungen. Aber im indischen Kino ist der Mythos von der kastenübergreifenden, romantischen Liebe der größte Hit!
Kino ist der Traum vom Möglichen - oder glaubt jemand, dass ohne obligatorische schwarze Präsidenten im Kino Obama jemals eine Chance gehabt hätte?
Nach diesen Superlativen bin ich froh, auch etwas einschränken zu können: Das Militär ist ein bisschen klischeemäßig verstockt, daher kommt hier der Bösewicht quasi zu Besuch aus dem Kasperletheater. Aber vielleicht ist das auch realistisch?
Wer kann, sollte den Film natürlich in 3D sehen. Die Szenen auf dem Militärstützpunkt shuttern (unvermeidbar, zu viele Schwenks über vertikale Linien), und das wird durch 3D leider noch verstärkt. Aber im organischen Dschungel - Cameron sei Dank der größere Teil - ist das nicht mehr sichtbar. Aber auch in 2D wird der Film knallen.
Im Vorfeld hörte man, es sei eine Pocahontas-Geschichte. Kann man wohl so sehen. Pocahontas mit Departed und einem kräftigen Schuss Matrix. Platons Höhlengleichnis (Wikipedia!) kommt einem durchaus auch in den Sinn.