commander hat geschrieben: bisher habe ich nur das "Lehrbuch zur Filmgestaltung" von Pierre Kandorfer zur Hand, welches gut die technischen und theoretischen Hintergründe erklärt, aber wenig angewandetes oder gestalterisches durchleuchtet.
Dieses Buch ist dogmatisch und konservativ zum Ersticken! Und der Autor weiß es selbst nicht einmal, er erklärt ja nur den Status quo der professionellen Filmproduktion. Fairerweise muß man sagen, daß natürlich die Technik in den letzten drei Jahrzehnten einige Sprünge gemacht hat. Trotzdem ist das Ergebnis Hausmannkost, als würde man Kochbücher aus den 50ern (Das Kochbuch der guten Hausfrau) mit einem Buch "von" Jamie Oliver vergleichen, dem wahrscheinlich eine Gewürzwaage fremd ist.
In diesem Buch
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3 ... 53-6830964
, in dem es ebenfalls um technische/gestalterische Grundlagen bei der Filmbeleuchtung geht, wird ebenfalls zunächst jede Abweichung von der klassischen Anordnung nahezu als Ketzerei hingestellt. Zum Glück werden am Ende drei lebende Kameramänner interviewt, die praktisch unisono sagen, sie hätten diese Lehrmeinungen durch Erfahrung
überwunden.
Sehr erhellend ist z.B., was Axel Block zu
Der Name der Rose sagt:
AB: Ein klassisches Beispiel für eine grandiose Fehlbesetzung (des Kameramanns Tonino Delli Colli, d.A.) ist meiner Meinung nach "der Name der Rose".
Author: Warum?
AB: Einem Regisseur (J.J.Annaud, d.A.), der versucht, so authentisch wie möglich zu sein, so als hätte man damals gedreht, dem kann man nicht einen Kameramann geben, der aus der Studiotradition kommt und auch so dreht. (....)
Author: Der Film spielt doch im doppelten Sinne in einer lichtlosen Zeit. Es wird alles nur von Ölfunzeln beleuchtet.
AB: Damit hat er aber nicht gearbeitet, sondern mit einem Inky von dort, einem Dachl hier, einer Kante von da. Ein klassisches Licht, ohne Frage ein sehr gekonntes Licht. (...)
Author: Hätten Sie hier jemanden geeigneter gefunden (...) ?
AB: Ja, jemanden, der in dieser Richtung mehr gearbeitet hätte, nicht mit diesen Studioeffekten. (...)
Author: Was meinen Sie mit Studioeffekten?
AB: Die klassische Ausleuchtung, Führung, Kante, Aufhellung, (...)
Bedingt durch gering empfindliches Filmmaterial, langsame Optiken und eine sehr frühe Aufgabenteilung, wurden die Lichtsetzer im klassischen Kino zu Spezialisten, die die Regeln ihrer Zunft festschrieben. Heutige Kameramänner sind freier in der Wahl ihrer Mittel, aber sie sind eher Puristen als die Gründer, weil sie nicht darauf angewiesen sind und es ablehnen, ihre Bilder schablonenhaft auszuleuchten. Stattdessen nehmen sie die menschliche Wahrnehmung, die ja sehr trügerisch ist, zum Vorbild und spielen damit.
Kandorfer und seine Spießgesellen hätten z.B. Orson Welles sicher gerne aufgefordert, jenen
newsreel-Teil im intro von Citizen Kane neu zu drehen, in dem einige Aufnahmen (u.a. von Kanes Privatzoo) sehr weit hinter dem Niveau der
matte paintings dieser Zeit zurückbleiben. Es macht Spaß, sich ein Remake vorzustellen, das unserem Stand der Film- und Tricktechnik entspricht ... (Auch heute gilt: Alles, was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Löbliche Ausnahme ist Peter Jackson. Der wandelnde Baum sieht aus wie mit StopMotion aufgenommen, der gebrochene Staudamm hat nichts von Petersons Maya-Riesenwellen und sogar der Zoo im Intro von King Kong sieht aus wie ein
matte painting.)
Wie auch immer, um Citizen Kane auszuleuchten, brauchte es einen Handwerker (wie auch für Barry Lyndon). Man muß die klassische Beleuchtung verstehen und beherrschen, um sie um neue Möglichkeiten zu erweitern.
Na und? Im Fernsehen wird ja auch alles wiederholt ...