100 Drehtage - wann war die Tussi zum letzten mal an einem Set?Die Filmschaffenden kehren der Branche den Rücken
Arbeitsalltag beim Filmdreh: 60-/70-Stundenwoche, rüder Umgangston, Sexismus, prekäre Verhältnisse fallen als Stichworte auf der Tagung „Arbeitsbedingungen in der Filmbranche“ der Evangelischen Akademie Bad Boll im Hospitalhof in Stuttgart. Andererseits gilt aber auch: 40 Prozent der Filmschaffenden seien mit den Arbeitsbedingungen zufrieden, 80 Prozent gingen gerne zur Arbeit, zitierten Fritzie Benesch und Judith Frahm aus einer Studie bei der Einführungsdiskussion der Tagung.
„Allerdings sollte Leidenschaft für die Sache nicht mit Selbstausbeutung und Opferbereitschaft verwechselt werden“, so die Moderatorinnen.
Faire Arbeitsbedingungen und Sexismus sind schön länger Thema
Faire Arbeitsbedingungen und Bezahlung und die Beseitigung von Missständen wie Sexismus sind seit Längerem Thema, die MeToo-Bewegung hat einiges in Bewegung gesetzt. Auch der Streik der Drehbuchautoren in den USA für Regelungen zum Einsatz generativer Künstlicher Intelligenz haben Impulse gesetzt, sodass sich auch die hiesige Filmbranche neu aufstellen muss und will. Denn immer mehr Filmschaffende kehren der Arbeit am Set desillusioniert den Rücken.
Der Südwesten als Filmstandort stellt sich den Herausforderungen, weshalb die Veranstaltung in Stuttgart beispielsweise auch von der Filmcommission Region Stuttgart, dem Haus für Film und Medien Stuttgart, der Initiative Fair Film, der AG DOK Berufsverband Dokumentarfilm und dem Filmverband Südwest mitgetragen wurde.
Ein Ansatz von Verbesserung bringt der neue Tarifvertrag, den die Produktionsallianz Film und Fernsehen, die Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) und die Schauspielgewerkschaft BFFS am 12. Oktober abgeschlossen haben: Man habe sich, so Verdi-Verhandlungsführer Matthias von Fintel „auf erträglichere Arbeitszeiten in Filmproduktionen geeinigt“. So wird etwa die Tageshöchstarbeitszeit auf zwölf Stunden begrenzt, – mit entsprechenden Zuschlägen. „Das alles ist der größte Fortschritt für Filmschaffende seit Jahrzehnten“, so von Fintel.
Hinzu kämen eine branchenweite betriebliche Altersvorsorge mit vier Prozent Arbeitgeberzuschuss, Regelungen zur zusätzlichen Vergütung der Wochenarbeitszeiten über 50 Stunden und eine zweimalige Gagenerhöhung um je 2,5 Prozent. „Arbeitszeitverkürzungen, mehr Freizeit, ein Gagenplus, eine Altersversorgung auch bei Streaming und Kinoproduktionen sowie Regelungen für KI-Einsatz setzen für Filmproduktionen historisch neue Maßstäbe und verbessern die Arbeit am Filmset“, so von Fintels Fazit. Die Neuregelungen gelten ab Mai 2025.
Auch im Bereich Filmförderung ließe sich eine entsprechende Steuerung vornehmen. Die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg etwa hat diese in ihre Förderrichtlinien aufgenommen. „Für die MFG sind eine sozial nachhaltige Produktionsweise, eine faire Bezahlung und die Einhaltung von sozialen Standards von wesentlicher Bedeutung“, heißt es dort. Das heißt, dass beispielsweise tarifgebundene Bezahlung und Absicherung im Rahmen der Beschäftigungsdauer in der Kalkulation Berücksichtigung finden. Außerdem könne die Jury, „Filmvorhaben, deren Realisierung nur unter prekären Bedingungen für die Beschäftigten möglich ist, aus diesen Gründen“ ablehnen.
Umfrage zeigt, dass sich etwas an der Führungskultur ändern muss
Doch neben besseren Rahmenbedingungen muss sich auch etwas an der Führungs- und Arbeitskultur beim Film ändern. Das zeigte die von Daniel Danzer präsentierte anonymisierte Umfrage unter Filmschaffenden. Aus den verschiedenen Statements wird deutlich: Schlechte oder auch keine Entlohnung, extreme Arbeitszeiten, überforderte Teams, fehlende Wertschätzung gehören in allen Filmgewerken zum Arbeitsalltag, hinzu kommen bürokratische Strukturen bei den Öffentlich-Rechtlichen und in der Filmförderung. „Es ist die Spitze des Eisbergs, und der Eisberg ist groß“, so Danzer.
Deshalb müssten Strukturen geschaffen werden, die es begünstigen, faire Arbeitsbedingungen umzusetzen. Die Leute kämen schon von der Uni in die Berufswelt mit dem Mindset der Selbstausbeutung, weil man dort mit viel Engagement und wenig Geld gearbeitet hat, diese Haltung werde im Berufsleben ausgenutzt, so ein Teilnehmender. Deshalb sei es wichtig, Strukturen zu schaffen, die anderes Arbeiten ermöglichen – weg vom Geniekult, man müsse Expertise dazuholen, Fortbildungen und Führungsberatung ermöglichen.
Dass es anders geht, zeigen Best-Practice-Beispiele wie die mit dem Fair Film Awards 2024 der Initiative Fair Film ausgezeichnete Produktion „Für immer Freibad“. Daher gilt das Fazit zur Arbeitssituation in der Filmbranche, das Benesch/Frahm schon am ersten Abend der Tagung zogen: „Es hat ein System, es ist ein System, man ist Teil davon und man kommt in diese Muster hinein. Es liegt an allen, um etwas zu verändern.“
Gagen für Filmschaffende
Laut Gagentabelle für Film- und Fernsehschaffende liegt die wöchentliche Gage seit 1. April 2023 für Regieassistenz bei 1553 Euro, eine Kamerafrau verdient 3151 Euro, die Lichtassistenz erhält mit Produktionserfahrung 943 Euro, Maskenbildner 1482 Euro.
Während der Dreh eines 90-minütigen Spielfilms zwischen 15 und 100 Drehtagen in Anspruch nehmen kann, kann der Dreh für einen Unternehmensfilm innerhalb von ein bis zwei Tagen abgeschlossen sein. Zeitdruck bei der Produktion führt zu langen, stark verdichteten Arbeitstagen.
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Und ansonsten - ist ja schön das die Angestellten wieder Tariferhöhungen und sonstige Extras bekommen, aber wie viele in der Branche sind schon angestellt?