pillepalle hat geschrieben: ↑So 28 Mär, 2021 10:55
Man braucht doch nur ein altes 35er, statt dem Artisan kaufen. Ist genauso kompakt und hat den Vintage look 😊
Ggfs. ist so ein altes 35mm-Objektiv deutlich teurer als 7Artisans/TTartisan oder selbst als ein Voigtländer. Altglas hat z.T. einen hohen Sammlerwert, siehe einschlägige Auktionen auf Catawiki, Westlicht oder Kataloge von Fachhändlern wie
https://fotohandeldelfshaven.nl/winkel/?orderby=date .
Da hier in der Diskussion die Kategorien munter durcheinander gehen, hier mal ein Versuch, Ordnung in die Begriffsverwirrung zu bringen. "Vintage-Objektiv" bedeutet:
- echte historische Objektive, aus dem 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert, der Vorkriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit: z.B. Petzval-Objektive, Super-Balthare, Cooke Speed Panchros, historische Zeiss Tessare und Biotare, Leica Schraubgewinde-Objektive. Diese sind oft teure Sammlerstücke für mehrere tausend Euro, haben i.d.R. keine Coatings/Vergütung und starken 'Charakter', der auch digitalen Kamerabildern die Anmutung von Stummfilm- oder klassischer Fotoästhetik gibt. Ein heutiger Filmregisseur, der mit diesen Looks arbeitet, ist z.B. der Kanadier Guy Maddin. Die preiswerteste Weise, an ein Äquivalent dieser Vorkriegs-Optiken zu kommen, sind einige Objektive aus sowjetrussischer und DDR-Produktion, die auf Vorkriegs-Objektiven beruhen - allerdings vergütet sind -, wie z.B. das Helios-44M, Jupiter-8 und Meyer Trioplan. Daneben gibt es noch Kleinhersteller, die Retro-Neuauflagen historischer Objektive auf den Markt bringen wie z.B. Lomo mit seinem Petzval-Objektiv.
- Japanische und westeuropäische Foto-Objektive aus den 50er bis 70er-Jahren. Hier ist "Vintage" sehr relativ. Einige Objektivreihen wie z.B. die Canon FDs (und älteren Canon-M39-Messsucher-Objektive) und Pentax M42-Takumare haben einen weicheren Look als heutige Objektive und werden deshalb gerne eingesetzt. Andere hatten schon damals moderne Konstruktionen, die nach wie vor gebaut werden: Z.B. ist das heutige Nikon AF 50mm/1.8 in der seiner optischen Konstruktion AFAIK weitgehend identisch mit dem Nikon Ai-s (und Serie E) 50mm/1.8, und basieren die heutigen Zeiss CP.2-Objektive auf den Zeiss/Contax-Objektiven der 70er Jahre (die deshalb gerne gebraucht gekauft und als Budget-CP2s adaptiert werden). Auch hier sind die Preise auf dem Gebrauchtmarkt nicht günstig. Z.B. kostet ein Zeiss-Contax Distagon 35mm/1.4 gebraucht ca. 1600 EUR; für den Preis kriegt man auch das moderne (Samyang) Xeen 35mm/T1.5 als Neuware. Auch ein 'altes' Nikon Ai-s 35mm/f2, Micro-Nikkor 55mm/3.5 oder Zeiss-Jena Pancolar 50mm/1.8 aus DDR-Produktion sind heute noch sehr gute Objektive.
- Ein eigenes Kapitel sind Filmkamera-Objektive, z.B. Angenieux-, SOM Berthiot- und Schneider- und Cooke-/Sopelem-Zooms aus den 70ern für 8mm, 16mm und 35mm-Filmkameras, oder c-mount- und Arri Std-Objektive. 35mm-Objektive sind fast immer richtig teuer und gebraucht kaum unter 1000 EUR zu finden. Einzige Ausnahme sind hier russische (Lomo-) Filmobjektive für 35mm-Konvas-Kameras (mit dem Arri Std-ähnlichen OCT-18-Mount), die man i.d.R. über Ebay aus ex-UdSSR-Ländern für ein paar hundert Euro finden kann - und die aber wie alle 35mm-Kinoobjektive nur den s35/APS-C-Bildkreis abdecken, nicht Vollformat.
- Noch einmal ein eigenes Kapitel sind anamorphe Objektive, in dem z.B. alte Iscorama-Objektive Mondpreise von mehreren tausend Euro auf dem Gebrauchtmarkt erzielen (obwohl sie zu ihrer Herstellungszeit AFAIK relativ preiswerte Consumer-Objektive waren).
- Heute bringen Hersteller wie Cosina-Voigtländer mit ihren "Classic"-Objektiven sowie Kleinhersteller wie MS Optical alte optischen Formeln (aber mit modernen Coatings) weiterhin auf den Markt. Chinesische Hersteller wie TTartisan und 7Artisans machen im Prinzip dasselbe, auf ähnlichem Niveau, aber preiswerter. Hier hilft natürlich, dass erstens alle Patente an diese Formeln abgelaufen sind und zweitens wegen der einfacheren optischen Konstruktionen (mit weniger Linsen, ohne asphärische Elemente etc.) die Herstellungskosten geringer sind. Die chinesischen Herstellern haben - im Gegensatz zu Voigtländer und MS Optical - speziell für APS-C gerechnete Objektive im Angebot, die nochmal kleiner und preiswerter sind.
- Dann gibt's noch offenbar das Vorurteil unter Fotografen/Fotoamateuren, dass alle vollmanuellen Objektive "vintage" sind, auch wenn sie moderne, auf hohe optische Auflösung getrimmte Konstruktionen mit komplexen Linsengruppen und modernen Coatings sind wie z.B. die Samyangs.
- EDIT - beinahe vergessen: Und heutige Hersteller bringen z.T. ihre modernen Objektive in "classic-" oder "Vintage"-Look-Baureihen mit weniger starken Coatings/Vergütungen 'raus, wie z.B. Sigma mit seinen "Classic Primes" und Arri mit seinen "Signature Primes".