iasi hat geschrieben: ↑Di 12 Mai, 2020 07:35
Ich halte es wie Roger Deakins:
Flares, Verzeichnungen, Abschattungen, Breathing und all die anderen Dinge "auf dem Bild" reissen den Zuschauer aus dem Bild.
Will man dies bewußt als filmsprachliches Mittel einsetzen, so spricht zwar nicht dagegen, aber doch nicht aufgrund eines
Looks, den sich das Bauchgefühl wünscht. Man sollte alte Linsen und Techniken vermeiden, die einem den "natürlichen" und ungestörten Blick auf das Bild versperren.
Ich hab die Episode leider aus Zeitgründen noch nicht gehört und Deakins Meinung ist zu respektieren. Es sollte allerdings in eigene Überlegungen einfließen, dass das aus Perspektive eines DPs gesprochen ist, der zu jedem Zeitpunkt 150+ Zuarbeitende in allen Gewerken hat um sicherzustellen, dass es dann wirklich am Lichtweg vom Motiv in die Kamera passt.
Da sind die Studiofugen perfekt verkittet und man muss nicht evtl. aus Kostengründen möglicherweise suboptimal on Location drehen. Mindestens 10 Leute in HMU kümmern sich um alle körperlichen Aspekte der Talents bevor überhaupt Kostüm beginnt. Im Licht werkelt ein Tagesbudget, das ist bei anderen das komplette Drehtagsbudget inkl. Buyouts. Aus dieser Perspektive mit Idealbedingungen vor der Kamera zu arbeiten macht es einem leicht zu sagen es soll nichts den Blick auf dieses vor der Kamera minutiös kontrollierte Bild versperren.
Das das Gesamtresultat möglicherweise die Storystimmung besser kommuniziert, wenn ich 60% des Bilds im Gegenlichtflare verstecke, statt auf die geballte budgetbedingt-unkontrollierbare Grausamkeit vor der Kamera zu blicken, ist auf den Stufen darunter vielleicht die (traurige) Wahrheit. Wo Deakins sicher recht hat ist der Ansatz, dass es doch bitte der Story & Authentizität dienen möge. Aber das können Flares und Distortion teilweise, wenn das Gegenteil zu sehr ablenken würde. Letztendlich ist auch Vieles Geschmack und hängt von Sehgewohnheiten ab. Alte Anamorphoten rufen möglicherweise in manchen Erinnerungen & Gefühle hervor, die sich in Kombination mit Sehgewohnheiten auf die subjektive Wahrnehmung der Geschichte defintiv (produktiv!) auswirken können.
Film ist ein recht junges Medium, da bildet sich erst so etwas wie eine epochal-medieninterne Sprache heraus mit der Schwierigkeit, dass die erzählten Geschichten multimedial- und multidimensionaler sein können, als z.B. in der Malerei. Dass Mindhunter sphärisch dreht, sich aber in moderaten Dosen Stilmittel und Unzulänglichkeiten der 70er Technik für eine 70er Story bedient (rein in der Post, Distortion alter Anamorphoten der "Epoche") halte ich für legitm, es verkauft das Setting sicher besser als ungefilterte & abgeblendete Master Primes. Aber eben aus einer Praxistauglichkeit heraus, wo man nicht mit den Unzulänglichkeiten der Originaloptiken arbeiten will. Wenn Sandgren für First Man 16mm und IMAX mischt tut er das vmtl in dem Wissen, dass im letzten Drittel und am Ende der Reise sich der luftleere, totenstille Raum in kornlosem IMAX erst verkauft wenn die Filmrealität auf der Erde in grainy 16mm etabliert ist. Startet er mit IMAX geht der Effekt völlig verloren.
Mir hat mein Kamera-Prof. im Studium mal vorgeworfen die Schauspieler zu schonungslos der allsehenden Kamera auszuliefern. Dass das mit oscarreifen Schauspielern am Ende gut gehen kann (aber nicht muss!), aber spätestens in der Liga darunter aufhört, habe ich daraus mitgenommen. Dass vielleicht bestimmte Techniken als Stilmitel, sofern sie nicht als Selbstzweck funktionieren sondern die Story unterstützen können legitim sind, zeigt vielleicht das First Man Beispiel oben. Dass Deakins Story immer an oberste Stelle stellt, glaube ich ihm persönlich seit 1917 in keinem Wort mehr, ich habe selten einen Film gesehen der ein so reines Gimmick war wie genannter. Und eines muss man bei allem Respekt vor den alten Granden sagen: Junge und geniale DPs wie z.B. Bradford Young entwickeln das Medium auf eine Art weiter, erzählen Geschichten in zeitgemäßer Form, ohne dass Kameraarbeit dadurch schaden nehmen würde. Andere honorige-DPs (da nehm ich Deakins jetzt trotzdem mal aus) ballern die Spitzlichter mit Alexa auf 800 noch wie zu 50D-Zeiten, aber fürchten sich vor Filtern und Flares und allem was noch so artifiziell sein könnte. Ist Klar, die permanente Sliderfahrt um "das Bild dynamischer zu machen" ist es sicher (artifiziell), aber nicht jedes Stilmitteln vernichtet die Story, sofern es nicht zum Selbstzweck verkommt.