Bildlauf hat geschrieben: ↑Mi 06 Sep, 2023 23:35
1 - Bei run and gun ähnlichen Dingen oder Reportagen hat eine Handheldkamera schon sein Berechtigung.
2 - Wirkt organischer, dynamischer und "echter"
3 - Ansonsten bin ich Fan von Bewegung und wenn man ruhig hält und etwas weiß was man tut, sieht das auch schön und lebendig aus.
1 - Zunächst frage ich mich, warum eigentlich?
Ich hab jede Menge Run&Gun mit Stativ gemacht - ist also rein technisch überhaupt kein Problem.
Und ja, es ist deutlich anstrengender, unbequemer, nerviger, man muß wirklich wissen was man tut und dabei auch noch die ganze Zeit absolut 150% auf Zack sein um sowas professionell durchziehen zu können - aber die Ergebnisse belohnen einen dann für die extra Mühe.
Oft höre ich von der Angst dabei irgendwas zu verpassen, aber das ist eigentlich nur genau das - Unsicherheit und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten - das kann man aber mit der entsprechenden Erfahrung und Professionalität überwinden.
2 - Was genau bedeuten diese Buzzwords für dich in dem Zusammenhang, und warum?
Organisch/Dynamisch finde ich in dem Zusammenhang extrem schwierig und erläuterungsbedürftig.
Bei "echter" frage ich mich - echter als was eigentlich?
Welche Aussage will ich denn mit wackligem/handheld Material eigentlich treffen und kommunizieren?
Zunächst mal signalisiert das dem Zuschauer entweder Amateurmaterial oder eine Not/Gefahren/Zeitdruck Situation, die es nicht zuläßt ein Stativ aufzustellen.
Kriegsberichterstattung vom Normandie Strand, Live aus einem Erdbebengebiet, Krawalle bei einer Demo, Redakteure die Politikern hinterher rennen und unangenehme Fragen stellen etc.
Das andere ist der POV eines Beobachters, wo man quasi simuliert durch die Augen eines anderen zu sehen - was natürlich eigentlich Quatsch ist, weil unser Sehapparat besser stabilisiert als jeder Gimbal, aber das hat sich halt so als Kamerasprache eingebürgert und ist in die Sehgewohnheiten eingegangen. Ist also eigentlich eher etwas zweifelhaft, aber es wird verstanden.
Und jetzt fragen wir uns nochmal, gibt unsere Drehsituation und Story irgendwas von oben gesagtem tatsächlich her?
Wenn nicht, warum bewege ich dann die Kamera? Weil es Dramaturgie und Story hilft, oder um das Material künstlich zu sensationalisieren?
Was mich direkt zum nächsten Punkt bringt:
3 - Ich hab ganz oft den Eindruck, daß diese Art Bewegung immer öfter hauptsächlich zum reinen Selbstzweck, für vermeintlich fancy Footage benutzt wird, statt über den Grund einer Kamerabewegung im dramaturgischen Sinne nachzudenken - also die Frage, was will ich mit dieser Bewegung eigentlich ausdrücken, und in welcher Weise unterstützt sie meine Story?
Wenn man das jemanden fragt, der gerade mit nem Gimbal ziellos und nach Zufallsprinzip in der Luft rumsildert, bekommt man dann Sätze wie "Sonst schlafen mir die Leute ja ein" zu hören
Übersetzt bedeutet das eigentlich nur: mein Motiv, meine Inhalte, mein Licht mein alles ist so langweilig und uninteressant, daß ich halt versuche es mit irgendwelchen Parallaxen Mätzchen noch halbwegs zu "retten" - was natürlich regelmäßig schief geht, weil man dem Material das natürlich auf den ersten Blick ansieht.
Wenn das der Fall ist, hat man eigentlich erst mal ein paar andere Baustellen, die man bedienen muß.
Was bleibt?
Die bewegte Kamera ist ein mächtiges dramaturgisches Element und Werkzeug in unserer Toolbox. Allerdings nur wenn es auch entsprechend dramaturgisch, gezielt und zur Unterstützung der Story eingesetzt wird, nicht "because we can".
Side note: Eine völlig statische Kamera kann - in der entsprechenden Situation richtig eingesetzt - hingegen noch dramatischer und mächtiger sein, als jede Bewegung.
Wenn man also die Kamera bewegt, muß man sich dieser Macht bewußt sein, und sie auch bewußt einsetzen.
Pauschale Bewegung, Luftslidern, freihand Rumeiern etc. als Standard oder Dauerzustand macht nicht nur den Schnitt problematisch, sondern trivialisiert das ganze bis zu dem (Tod)Punkt wo die Leute wirklich anfangen zu gähnen.