@Jan
Da du zu Deinem Drehbuch auch das Schaubild mit den Wendepunkten der Mutter dargelegt hast und sowohl in Stefan Cerosimos
Das erste Mal, als auch in Stefans
The Forgiveness das Fehlen von Wendepunkten beanstandet hast, sind Wendepunkte aus meiner Sicht ein ziemlich wichtiger Bestandteil dieser Thread Diskussion.
Du hast mich um meine Meinung bezüglich deines Drehbuchs gebeten und dass sollte ich auch noch schön negativ machen, weil du ein Maso wärst. Nun, da ich kein Sado bin und ich dir bereits damals hier schon unter deinem ersten Pseudonym mitteilte, dass ich dich in deiner Form der Selbstprojektion nicht zu unterstützen gedenke, werde ich dir den zweiten Teil deiner Bitte nicht erfüllen. Jedoch kann ich dir meine ehrliche Meinung mitteilen, weshalb das Drehbuch "Die Vergebung" aus meiner Sicht nicht "zündet".
Vorwarnung: Es folgt ein langer Text.
Vorbildlich konstruierst du artig nach den Regeln von diversen Drehbuchgurus die in unzähligen Büchern, Seminaren, Projektarbeiten, Dissertationen, YouTube Tutorials und was noch alles zum Besten gegeben wurden dein Drehbuch und deine Geschichte. Doch genau deswegen
wirkt die Geschichte eben
konstruiert und
deswegen zündet es nicht. Es beginnt schon in der ersten Szene in der die Mutter vom Tod der Familienmitglieder erfährt:
Polizist klingelt, Mutter schwant übles, Polizist bestätigt es, Mutter weint.
Selbst ich mit meiner Arroganz mich als ausgewiesenen Cineasten zu bezeichnen könnte Dir nicht die Anzahl benennen wie oft ich solche Szenen in weiß der Geier wie vielen Filmen schon gesehen habe. Konstruiert, vorhersehbar.
Und so zieht es sich das ganze Drehbuch über weiter. So stringent du deine Wendepunkte einbaust, so stringent ist die Vorhersehbarkeit des Plots.
Dabei argumentierst Du, dass man schon die Regeln des Drehbuchschreibens einhalten sollte, ähnlich einem Rezept zum Backen eines Kuchens oder bestimmter TÜV Vorgaben für die Zulassung eines Autos.
Doch wie dir schon bereits in
in diesem Thread nicht nur von mir mitgeteilt, begehst du beim Beharren auf das strikte Einhalten der Wendepunkte den verheerenden Fehler, dass Du dem Publikum dabei alles vorkaust. Somit enttarnt sich die
Konstruktion und der Plot wird
vorhersehbar. Aus Vorhersehbarkeit resultiert Desinteresse und Langeweile.
Ich hatte bereits dieses Zitat ...
Zusammenhang ist nicht gleich Ursache!
... gepostet und genau das trifft es auf den Punkt.
Ja es stimmt zwar: analysiert man die erfolgreichen Filme, die mitreißenden und bewegenden Geschichten, kommen immer irgendwelche Wendepunkte vor, dennoch sind es nicht sie, die dafür sorgen, dass der Film gut, die Geschichte mitreißend ist, sondern etwas anderes, was von den ach so hoch geschätzten Drehbuchexperten (warum auch immer) vollkommen ignoriert wird in ihren Ratschlägen: Die Katharsis.
Erst die Katharsis macht die Geschichte für den Zuschauer interessant, die Wendepunkte ergeben sich automatisch aus dieser. Erst die Katharsis von Rotkäppchen vom neugierig naiv unschuldigen Mädchen zum erschreckten Kind, das vom Wolf gefressen wird ist die eigentliche Essenz der Geschichte.
Auch bei The Big Bang Theory (um mal zu deiner Sitcom Argumentation zu kommen) ist es die Katharsis des Dr. Sheldon Cooper vom kauzigen Sonderling mit semiautistischen Zügen zum einigermaßen normal agierendem Menschen die diese Sitcom so erfolgreich macht, nicht die fünf Wendepunkte pro Episode.
Und selbst die Katharsis von Jesus, vom Sohn eines einfachen Zimmermanns zur selbst bestimmten Opferung am Kreuz für die Menschheit; die Katharsis des Mohammed vom wohlhabenden Kaufmann zum Propheten; die Katharsis von Siddhartha Gautama zum Buddha ist es was die Menschen in diesen verschiedenen Religionen bewegt und sie daran bindet.
In Stephan Cerosimos
Das erste Mal gibt es vielleicht keine die in der Form von dir geforderten Wendepunkte, doch dieser Kurzfilm erzählt in den zwei Minuten und Vierunddreißig Sekunden die Katharsis des jungen Mannes zum Mörder und das
in einer nicht sofort vorhersehbaren, weil nicht konstruiert wirkenden Form.
In Stefans
The Forgiveness fehlen ebenfalls die ach so wichtigen Wendepunkte, wie du immer wieder zu betonen nicht müde wirst. Doch auch hier wird in drei Minuten die Katharsis des Vaters vom trauernden Mann um des Verlusts seiner Familie zum Mann mit neuem Lebensmut erzählt und das ebenfalls in einer nicht konstruiert wirkenden Form.
Bei beiden Kurzfilmen ist die Katharsis die Essenz, das worum es letztendlich geht und genau deswegen sind beide Filme im Original bei weitem besser und "zündender" als die Versionen die du daraus gemacht hast, weil du (und das ist nicht beleidigend oder provokativ gemeint) in deinem Beharren auf die Wendepunkte und somit auf das Gerüst der Konstruktion den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst.
Meine Meinung.