Axel hat geschrieben:Die Heldenreise benötigt, um zu funktionieren, eine Antwort auf Wünsche und Ängste in unserer Psyche.
cantsin hat geschrieben:Hierzu ein schönes Zitat von der
Website des Instituts für Angewandte Narrationsforschung der Hochschule der Medien Stuttgart:
"Weder haben theoretische Modelle wie beispielsweise Lotmans Grenzüberschreitungstheorie oder Ansätze aus dem französischen Strukturalismus (Genette, Barthes etc.) signifikanten Eingang in die Methodenlehre der Praktiker gefunden, noch sind die dramaturgischen Ausdifferenzierungen der „Praktiker“ – etwa Erzählmodelle wie die „Heldenreise“ – von den Theoretikern der Erzähltheorie breit wahrgenommen worden."
Es gäbe also auch für die Praktiker noch einiges zu lernen - übrigens auch von moderneren Erzählformen wie im nouveau roman oder von Autoren wie Italo Calvino. Dann würden auch Filmplots weniger stereotyp und vorhersagbar.
Es ist typisch amerikanisch, dass die Heldenreise als Erzähl-Rezept angesehen wird, mit dem Bücher und Drehbücher überprüft oder schlimmer noch: geplant werden.
Der Ursprung ist gar nicht philologisch, sondern anthropologisch, soziologisch, ethnologisch. Die
Mythen aller Völker in allen Kulturen (und Religionen) haben gemeinsame Merkmale, vor allem sehr ähnliche
Inhalte. Angefangen, etwas willkürlich, bei den "Erzählungen" der Höhlenmalereien. Die Form, das Medium, ist austauschbar. Der Inhalt ist etwas offenbar grundsätzlich Menschliches, die triumphale Überwindung von Problemen (jedweder Art). Die Figur, die dieses, lehrreich und beispielgebend für die Zuhörer, Betrachter, Leser, Zuschauer, erreicht, ist mit außergewöhnlichen Eigenschaften versehen.
In Wirklichkeit greift keine Erzähltheorie. Nirgends. Bei Bond schon gar nicht. Ein wesentlicher Bestandteil der Heldenreise ist, dass die Figur, der
character, beim Ausgangspunkt der Erzählung sich der Aufgabe als nicht gewachsen fühlt und sie gar nicht annehmen will (Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen). Dass Bond ein Schäferstündchen mit einem Playmate unterbrechen muss, um bei M zum Rapport anzutreten, reicht wohl nicht, um der Theorie gerecht zu werden. Alle übrigen Merkmale der Heldenreise ließen sich ebenfalls nur mit der Devise
Was nicht passt wird passend gemacht anwenden.
Was ist also der Mythos (und dass es einen Mythos "Bond" gibt dürfte wohl unstrittig sein)?
Fleming beschreibt Bond in den ersten Romanen als gutaussehend, aber mit kalten Augen und einem brutalen Zug um den Mund. Sinnlich, aber absolut rücksichtslos. Intelligent und
ungebunden. Er wollte ihn anfangs als seelenloses Instrument der britischen Regierung sehen.
Letztlich bleibt Bond ein Rätsel. Ein Spion, der aus dem Nichts kam (nix da "Skyfall"). Gut, dass er auf
unserer Seite ist. Aber fragt euch selbst: haben die Pläne der Schurken euch jemals ernsthaft geängstigt?
War es nicht immer eher die Rücksichtslosigkeit, die Grausamkeit, die Unabhängigkeit (Treue gegenüber Britannien? Aber klar doch, solange ich dadurch geile Autos kriege, Q's Männerspielzeuge und die aufregendsten Girls treffe! Dem Kaiser, was des Kaisers ist), was auch immer? Musste Bond je über sich selbst hinauswachsen (grundsätzliches inhaltliches Merkmal des klassischen Helden)? Oder war es nicht immer die sture, aber äußerlich gelassen-elegant-spöttische Haltung
It's my way or the highway, die ihn uns bewundern ließen? Er war nie der strahlende Ritter/Retter, der nach Gauck-Art erbaulichen Bullshit von sich gibt. Er tut das Nötige, aber er tut es *gern* (Welches war in der Spionage-Berufsschule sein Lieblingsfach? Berufsethik oder Killen mithilfe lustiger Gadgets?), und seine Kommentare sind bestenfalls flapsig.
Ist Bond sympathisch? Möchte man ihn zum Freund? Nach Feierabend ein Bierchen zischen (mag er ja eh nicht, ist ihm nicht kultiviert genug)?
Ist er nicht eher der totale Kotzbrocken, der man in vielen Fällen gern mal selbst wäre und vielleicht sein sollte? Er ist vielleicht ein Korrektiv zu unserer einengenden sozialen Angepasstheit. Aber
als Mensch wäre er komplett asozial.
Das lässt mich schlussfolgern, dass Bond gar kein Held im strengen Sinne ist, kein Vorbild. Er lässt uns davon träumen, unsere eigene Normalität abzulegen. Inkognito, undercover. Nie in der Rolle eines kleinen Mannes, sondern immer "oben". Unsere Gegner sind aufgeblasene Wichte, ihre Bosheit komplett unrealistisch, nur ein Vorwand für uns, ein bisschen mit ihnen zu spielen, bevor wir sie umbringen (wofür wir praktischerweise auch noch die Lizenz haben). Unsere moralische Legitimation stammt noch aus Zeiten des Kalten Krieges, von einst, als zivilisierte Leute "Hey, wir sind die Guten" noch nicht mit einem Augenzwinkern sagten.