beiti hat geschrieben:In den Anfangsjahren des Fernsehens gab es noch keine Videokameras; da wurde Reportage-Material auf 16 mm in 25 fps gedreht, und niemand glaube deshalb, einen Spielfilm zu sehen.
Die Fernsehqualität war grottenschlecht. Auch das mit Studio-Videokameras aufgezeichnete Material war Mist. Es sah einfach alles total beschissen aus. Deswegen kam niemand auf die Idee, sich zu beklagen. Friss oder stirb. Auch im analogen Kino der 70er und 80er war Bildqualität, wenn man Abspannschrift entziffern konnte, was dann der Erwähnung wert war (nichts gegen die Qualität des Materials, die Abspielanlagen waren primitiv). Dein Argument ist wie der Vergleich zwischen Recycling Toilettenkrepp mit Hakle Feucht auf einem Plumpsklo mit Donnerbalken.
beiti hat geschrieben:Mit Aufkommen der Soaps und Sitcoms in Amerika gewöhnten sich die Zuschauer daran, dass umgekehrt auch Fiktionales eine höhere Bewegungsauflösung haben kann. (Bei uns in Deutschland kam das wegen der schlechten Normwandlung nicht so deutlich rüber.) Spätestens die "Lindenstraße" ebnete dann auch in Deutschland den Weg für höhere Frameraten.
Grund für den Lindenstraßen-Dreh auf Video war die Produktionsgeschwindigkeit. Man wollte aktuell sein. Wer jemals längere Zeit in den Sets der Lindenstraße in Bocklemünd war, weiß, wie liebevoll das Setdesign war und ist, sieht, wie professionell die Lichtausstattung ist. Hätte man 1985 die erste Folge in den Originalsets bereits mit der 5D Mark II drehen und in HD ausstrahlen können, wäre man höchst zufrieden gewesen. Heute ist die Serie ästhetisch wesentlich hochwertiger als viele Privat-TV-soaps, damals aber empfanden *alle* ("Blindenstraße") den Look der Lindenstraße als besonders billig und schäbig, etwa im Vergleich zu 16mm Produktionen wie Derrick (die freilich heute ob ihrer verblassten Farben, Grobkörnigkeit, usw.
auch unter qualitativen Gesichtspunkten nicht mehr erträglich sind). Generell passt die Ästhetik in Lindenstraße aber zum kleinbürgerlichen Sujet. Das Dudeldidei zum Cliffhanger spottet dessen Bedeutung (unerträgliche Spannung, die einen auf die nächste Episode fiebern lässt). Konflikte unter deutschen Gartenzwergen: Dafür reichen 25i/50p.
beiti hat geschrieben:Die normalen Zuschauer verdauen viel mehr, als sich manche Experten vorstellen können oder wollen. Klassische Kino-Ästhetik, wie sie von Experten so gern angemahnt wird, interessiert 95 % der Kinogänger nicht.
Nicht bewusst, weil sie keine Ahnung davon haben. Aber bei diesen Dingen geht es ohnehin mehr um Unterschwelliges. Weswegen diese Ästhetik-Threads so ausufern.
beiti hat geschrieben:Ich behaupte, man könnte komplette Kinofilme mit Klein-Sensor-Camcorder (also durchgehend hoher Schärfentiefe) und 60 fps drehen, und die große Mehrheit der Zuschauer würde sich nichts dabei denken.
Never! Das ist schlicht Quatsch. Sie würden vielleicht ein weiteres Mal ins Kino gehen, wenn der Film sie reizt, aber danach nie wieder.
beiti hat geschrieben:Man könnte für die meisten Filme sogar den Ton in Mono abmischen (also so, dass alles aus der Center-Box kommt), und den meisten Zuschauern würde mangels Direktvergleich nichts auffallen.
Doch. Die brauchen keinen Direktvergleich. Seit es Surroundanlagen gibt, sind Zuschauer mit dem Ton megakritisch. In reinen Dialogfilmen, bei denen sowohl aus praktischen Gründen (zu ortende Geräuschquellen sind in einem Saal wegen der Entfernungen problematisch) als auch durch die Handlung begründet (Sprecher befinden sich i.d.R. ziemlich zentriert im Bild) das meiste effektiv nur aus dem Center kommt (so gesehen mono ist), gibt es nicht selten Beschwerden, der Surround würde fehlen. Aber auch die Bildqualität ist stärker ins Bewusstsein der Zuschauer gerückt.
Möglicherweise wird es eine Änderung der Sehgewohnheiten geben. HFR sind nicht das Ende des narrativen Kinos. Passt vielleicht nur (noch) nicht so gut zu einem solchen Märchenwald-Ambiente wie beim Hobbit.